Wynn kam langsam näher.
Drei Schritte vor dem Mann blieb er stehen.
Als der Blick des Cowboys über die zusammengekrümmte Gestalt des Greises glitt, blieb er auf seinen wächsernen Händen haften, die einen uralten Colt umspannt hielten.
Die Augen des Alten hafteten starr an dem Gesicht des Besuchers. Es war etwas Hartes darin, etwas Unbeugsames. Auch Angst war darin, aber vor allem etwas, das wie Eisen war, wie Stahl, etwas, das den Cowboy stehenbleiben ließ.
»Ich bin ein Freund«, sagte Wynn Evans leise.
Dann hatte er das Gefühl, daß der Greis ihn vielleicht nicht verstanden haben könnte, deshalb wiederholte er seine Worte lauter.
Der Mann im Lehnstuhl nickte hölzern. Es war etwas Makabres in diesem Nicken. Der Cowboy hatte das Gefühl, daß dieser lebende Totenkopf gar nicht mehr fest auf dem Körper dieses Menschen sitze.
Da hörte er den Greis sagen: »Doch, ich bin der alte Willem Termolen. Und eigentlich...«, er unterbrach sich und lachte schrill, »und eigentlich sollten Sie mich hier gar nicht mehr finden. Ich gehöre schon längst da draußen hin.« Er hob den Colt und machte eine vage Bewegung zur Tür hin. »Aber er hat mich vergessen, anscheinend – der Sensemann. Ich habe lange Jahre auf ihn gewartet. Ich lebe nicht nur zehn Jahre zu lange, sondern schon dreißig.«
Wynn hätte gern gefragt, wie alt er denn war.
Da sagte Termolen: »Es ist verrückt auf der Welt. Erst wird man nicht schnell genug groß, dann glaubt man, man könne ewig fünfunddreißig bleiben. Und dann ist man plötzlich fünfzig. Und dann hat man Angst, alt zu werden. Die hatte ich zwanzig Jahre...« Er unterbrach sich wieder mit einem schrillen Lachen. »Zwanzig Jahre hatte ich Angst davor. Dann habe ich aufgehört zu zählen und habe nur noch gewartet..., auf den Tod. Aber er kam nicht. Immer, wenn die Tür aufgeht, denke ich, er kommt.« Der Alte legte den Colt mit seiner skurrilen Bewegung neben sich auf einen Hocker. Die knochige Rechte fuhr unbeholfen über den Schädel und blieb einen Moment im Nacken, dann fiel sie auf die Stuhllehne zurück.
Sollte er etwa alleine hier leben? überlegte Wynn. Ausgeschlossen. Der Mann war doch völlig hilflos. Kaum noch ein lebendiger Mensch.
Und da geschah etwas, das dem harten, rauhen Weidereiter einen eisigen Schauer über den Rücken rinnen und die Haare auf seinem Scheitel hochstehen ließ:
Der Alte spannte die Hände um die Enden der Armlehnen, zog sich mit einem Ruck hoch, stand vor Wynn und ging langsam durch die Halle zu einem Schrank, kramte da geräuschvoll herum und zündete schließlich eine Kerosinlampe an.
»Hier ist es immer dunkel. Ich wollte die Fenster früher oft vergrößern. Aber ich bin nie dazu gekommen. Erst ließen mir die Sioux keine Zeit, und dann mochte ich auch nicht mehr.«
»Sie leben allein hier?« fragte Wynn.
»Ja, kommen Sie, setzen Sie sich. Ich habe sogar einen Brandy für Sie. Es kommt so selten einer vorbei. Und der schiefe Jefferson bringt nur jeden Monat was...«
Wynn kam an den Tisch und starrte den Alten ungläubig an. »Sie leben tatsächlich allein?«
Die dürren Hände des Greises stellten zwei Gläser auf den Tisch. Und dann sah der Cowboy, wie der Mann ruhig die Flasche hob und ohne zu zittern einschenkte.
Der Greis hob das Glas, blickte den Cowboy mit seinen Falkenaugen kurz an und goß dann den Whisky in seinen Hals. Sofort stakste er wieder zu seinem Stuhl zurück und ließ sich mit einem harten Ruck hineinfallen.
Dann saß er wieder da wie vorhin und nickte. »Ja, so ist das Leben, Freund. Als ich von Holland kam, war ich zwanzig. Ein halbes Jahrhundert habe ich gebaut, gekämpft und geschuftet. Und dann habe ich auf den Tod gewartet. Und jetzt bin ich neunundneunzig...« Er lachte wieder schrill, und seine Hände lagen ganz still auf dem tiefgrauen Stoff seiner Beinkleider.
»Neunundneunzig«, wiederholte der Cowboy fassungslos.
Mit einem Ruck hob der Alte den Kopf. Das Licht der Lampe warf einen gelben Schimmer in sein knochiges Gesicht. Ernst und stahlhart blitzten die Augen den Cowboy an. »Ja, Sohn – neunundneunzig! Und wenn du am 24. Oktober wiederkommst und mich hier noch sitzen siehst, dann bin ich hundert. – Jawohl. Hundert Jahre. Kein Spaß, Sohn. Leider kein Spaß. Als ich fünfzig war, hatte ich keinen größeren Wunsch, als hundert zu werden. Aber als ich dann siebzig war, fünfundsiebzig und die Crew langsam auseinanderfiel, weil Bill Cumberland mir die Cowboys wegholte, ich schließlich allein hier hockte, da mochte ich kein Jahr mehr geschenkt haben. Und da hat der Herrgott mir eins gepfiffen. Wann’s aus ist, bestimme ich, hat er gesagt. Und da sitze ich nun und warte. Bin steinalt und kaum noch ein Mensch und kann es nicht ändern. Draußen geht das Leben weiter. Die Roten sind tot, und meine beiden Kinder sind schon längst unter der Erde. Mein Enkel ist schon tot und alle meine Freunde...«
Der Alte schwieg, ließ seinen Kopf sinken und starrte auf die klobigen, breiten Dielenhölzer.
»Wann sind Sie nach Kansas gekommen?« fragte Wynn.
Der alte Rancher zog die Luft tief ein. Dann lachte er hart auf. »1794 – ja, da faßt du dir an den Kopf. Am 16. April 1794 kam ich in Boston an. Und hier bin ich seit fünfundneunzig. Damals war es hier sehr still und sehr einsam. Selbst die Roten mieden die Gegend, weil hier schlechtes Weideland für ihre Herden war. Ich habe keinen besseren Boden schaffen können; aber ich habe hier ausgehalten, weil mir das Land gefiel. Es hat mir diese Liebe nie gedankt. Es hat mich geschlagen, dieses Land. Die Roten kamen, und als sie einmal hiergewesen waren, kamen sie immer wieder. Und schließlich hatten sie sich die Zähne an mir ausgebissen. Der Vater des Häuptlings Rote Wolke hat hier auf dem Hof gestanden und gerufen, daß ich Eisenkopf sei, und daß er sich nicht mehr um mich kümmern wolle... Ja, und dann kamen schöne, gute Zeiten. Ich holte mir eine Frau, von einem Trail aus Texas brachte ich sie mit. Und...« Plötzlich flog der Kopf des Alten hoch, wieder blickten seine Augen ernst und hart, und seine Stimme klang schneidend. »Wer sind Sie überhaupt?«
Der Fremde nahm seinen Hut ab. »Mein Name ist Wyatt Earp.« Er hatte es nicht fertiggebracht, in dieses Gesicht eine Unwahrheit zu sagen. »Ich bin US-Hilfsmarschal in Wichita...«
»Marshal? Wichita?« wiederholte der Alte. »Wichita! Ich war ein paarmal dort. Damals war es noch ein kleines Nest. Es hat ja später sogar zwei Saloons gehabt. Doch, es ist groß geworden. Zwei Saloons, einen Barbier, zwei Mietställe und drei Stores... Doch, es ist eine große Stadt geworden...«
Wyatt Earp hatte nicht das Herz, dem Alten zu sagen, daß es jetzt in Wichita dreizehn Saloons gab, fünf Barbiere, sieben Mietställe und eine Unzahl von Läden.
Ja, er hatte dem Alten seinen wirklichen Namen genannt, obgleich er dies mit seinem Plan nicht ganz zu vereinbaren wußte. Die Kunde von dem Tod des Small-Ranchers Hunter war nach Wichita gedrungen. Hartmann hatte einem fahrenden Händler aufgetragen, in Wichita dem jungen Marshal Wyat Earp von der Ermordung Hunters zu berichten. Auch von dem rauhen Gebaren, welches die Männer der Cumberland-Ranch an den Tag legten, hatte der Händler in Wichita erzählt.
Obwohl Wyatt Earp mehr als genug Arbeit in der lebendigen Stadt hatte, machte er sich mit dem Einverständnis des Marshals von Wichita auf den Weg nach Norden. Er wollte untersuchen, wie der Small-Rancher Hunter ums Leben gekommen war, und er hatte sich ferner die lebensgefährliche Aufgabe gestellt, den Männern der Cumberland-Ranch auf die Finger zu sehen. Das konnte er nicht mit dem Stern auf der Brust. Ja, er konnte es nicht einmal wagen, seinen Namen zu nennen, denn auch den hätte jemand in der Gegend kennen können, obgleich Wichita eine halbe Ewigkeit von der Weide der C-Ranch entfernt lag.
Aber dem Alten, dem hatte der Marshal keine Unwahrheit ins Gesicht sagen können, in das Gesicht, das vor ihm war, und das ein ganzes volles Jahrhundert über die Erde hatte ziehen sehen.
Da fragte der Greis: »Und was wollen Sie, Marshal?«
Wyatt versetzte: »Es ist wegen Bill Cumberland...«
»Ha! Cumberland!« unterbrach ihn der