»Du bist verrückt, Earp! Binde mich los!« Der Marshal war ihm unheimlich geworden.
Die Reiter hatten den einzelnen Mann jetzt entdeckt. Ohne ihr Tempo zu vermindern, hielten sie auf den Hügel zu. Nur etwa fünfzehn Yards vor dem kleinen Abhang brachten sie ihre Tiere zum Stehen. Ein ledergesichtiger hagerer Bursche mit pulvergrauen Augen beugte sich weit vor, stützte sich lässig auf das Sattelhorn und quäkte: »Hallo, wer ist denn das?«
Wyatt blickte den Mann ruhig an.
Als der keine Antwort bekam, fauchte er den Marshal an: »Hey, was soll das, Brother? Bist du taub?«
Wyatt lächelte sanft. »No – glücklicherweise nicht.«
Der Ledergesichtige, anscheinend der Anführer der Grenzgeldjäger, sah seine Freunde an. »Hey, Boys, was halten wir von ihm?«
»Er soll hundertzwanzig Bucks rausrücken, dann kann er weiterrollen.«
Der Ledergesichtige grinste. »Du hast es gehört, Brother.«
Wyatt nickte. »Yeah.«
»Und –?«
»Ich habe das Geld nicht!«
»Er lügt!« bellte Jack Donegan dazwischen. »Nehmt ihn auseinander, Boys! Zerhackt den Spitzel!«
»Hey, da ist noch einer! Also zweihundertundvierzig Bucks, Brother!« stellte der Anführer lakonisch fest.
Wyatt blieb ruhig stehen.
Donegan brüllte in die Stille. »Macht ihn fertig, Boys! Es ist Wyatt Earp –!«
Der Ledergesichtige nahm die Hände vom Sattelhorn und fixierte den Marshal scharf. »Was will der Frosch da im Busch?«
»Das haben Sie doch gehört«, versetzte Wyatt.
Der Anführer blickte seine Leute an, kniff dann die Augen zusammen und belferte: »Er sagt, du seist Wyatt Earp!«
»Yeah – das sagte er.«
»Na, und?«
»Na, und?«
»Bist du etwa – Wyatt Earp?«
»Yeah!«
Der Ledergesichtige musterte den Mann oben auf dem Hügelkamm wieder eingehend.
Schließlich brüllte einer seiner Leute: »Laß dich nicht von ihm foppen, Ed! Wenn das Wyatt Earp ist, bin ich Bat Masterson!«
Grölendes Gelächter folgte diesen Worten.
»Ruhe!« befahl Ed. Dann wandte er sich Wyatt wieder zu. »Was suchst du hier oben, Brother?«
»Ich bin auf dem Weg nach Sheridan.«
»Und was willst du dort?«
»Das geht Sie eigentlich einen Dreck an, Ed – aber ich will es Ihnen sagen: Ich bringe einen Mörder nach Sheridan.«
Der Ledergesichtige wies mit dem Daumen auf die Büsche, ohne Wyatt aus den Augen zu lassen. »Den Frosch da?«
»Yeah.«
Ed blickte eine Weile schweigend vor sich hin. Man sah, daß er angestrengt nachdachte. Endlich hatte er einen Entschluß gefaßt, den er sogleich mit erhobenem Kopf verkündete: »Eh – das macht also zweihundertundvierzig Bucks für euch beide mit euren Gäulen.«
»Es ehrt mich, Ed, daß Sie mir soviel Geld zutrauen, aber ich bedaure…«
Der Anführer legte die Rechte an den Griff seines Colts. »Schluß jetzt, Brother, mir ist es einerlei, wem du den Namen stiehlst. Meinetwegen kannst du dich auch Napoleon, Lincoln oder Black Bull nennen. Ich will nur meine zweihundert Eier. Klar?«
»Völlig klar«, versetzte Wyatt.
»Pafft ihn weg!« brüllte Donegan.
Der Ledergesichtige schien sich mit dem einzelnen Mann da oben trotz des steigenden Unwillens seiner Leute noch zu amüsieren. »Hey, Brother – selbst wenn du Wyatt Earp wärest, was hast du dir dabei gedacht?« fragte er grinsend.
»Wobei?«
»Was willst du gegen uns unternehmen?«
»Nichts, wenn ihr weiterreitet.«
Schallendes Gelächter.
Ed feixte, als es still geworden war. »Du bist tatsächlich eine Type, Brother. Was glaubst du wohl, wie lange wir normalerweise mit einem einzelnen Mann verhandeln? Eine Minute.«
»Schnell verdientes Geld«, meinte Wyatt.
Ed rieb sich das Kinn und stützte sich wieder auf den Sattelknauf. »Du machst mir wirklich Spaß, Napoleon.«
»Wir wollen weiter, Ed!« drängte ein Kerl mit herkulischen Formen und fahlgelbem Gesicht.
»Halt’s Maul, Cole!« versetzte der Anführer, ohne den Mann anzusehen. Dann aber befahl er Wyatt hart: »Schluß jetzt, Amigo, raus mit dem Geld!«
»Ich habe es nicht.«
»Dann gib, was du hast!«
Wyatt hatte die Beine gespreizt. Locker hingen die Arme neben den Hüften. »Ich habe nur Kugeln zu vergeben, Ed!«
Schweigen.
Donegan starrte auf den Marshal. Fassungslos und mit geweiteten Augen stierte er auf den Mann, der da mehr als zwei dutzend Reitern gegenüberstand, die zu allem entschlossen waren.
»Mach ein Ende, Ed«, drängte ein kleiner, dicker Bursche mit roter Nase und flachsblondem Haar.
»Ja, knall ihn ab!«
Wyatt fragte: »Wer nicht zahlt, stirbt?«
Ed nickte. »Du bist ein helles Köpfchen, Napoleon.«
Mehrere Banditen drängten ihre Pferde an den Anführer heran und redeten erregt auf ihn ein. Immer lauter wurde der Disput.
Ed schob seinen Gaul vor. »Schade, ich hätte mich gerne noch eine Weile mit dir unterhalten, Brother – aber die Boys haben’s eilig! Fangen wir an!«
Wyatt hatte sich in die Mulde fallen lassen und schoß zurück.
Auf diesen Ruf hin zogen die Banditen ihre Colts und feuerten los.
Zu seinem Erstaunen sah Jack Donegan jetzt, daß der Marshal zwei Revolver hatte. Wo mochte er den zweiten bisher versteckt gehalten haben?
Seine Schüsse peitschten hageldicht nach unten. Und dann heulte seine Winchester auf.
Er hatte so rasend schnell vierzehn Schüsse abgegeben, daß die Horde da unten kaum zum Schießen gekommen war und jetzt in wilder Hast zurückstürmte. In einem Abstand von hundert Yards hielten die Banditen an und sammelten sich.
Vierzehn von ihnen lagen verwundet vor dem Hügel.
Wyatt lud seine Waffen wieder auf und gab mit der Winchester schnell hintereinander noch acht Schüsse ab.
Drüben knickten acht GrenzgeldjägerGäule zusammen.
Wütendes Geheul scholl zu den Hügeln hinüber.
Dann bellten Schüsse.
Und wieder brüllte das schwere Gewehr des unheimlichen Schützen aus der Erdmulde heraus.
Vielleicht hätten die Banditen doch etwas ausgeheckt, um den einzelnen Mann da oben zu stoppen. Aber sie waren kopflos geworden. Ihr Anführer lag tot drüben vor dem Hügel. Jetzt schrie, brüllte und tobte alles wild durcheinander. Und dann preschte einer plötzlich nach Norden davon.
Drei andere folgten ihm.
In fünf Minuten war der Plan frei.
Wyatt nahm seine Waffen und verließ die Mulde. Er band Donegan los – und weiter ging der Ritt von