Die böse Begierde. Stefan Bouxsein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Bouxsein
Издательство: Bookwire
Серия: Mordkommission Frankfurt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783939362081
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Das Mordopfer. Du weißt schon. Ein heikler Fall.«

      »Ja. Deswegen rufe ich auch an. Ich habe gerade gebucht. Sieben Tage Teneriffa.«

      »Ja, wie jetzt? Ich kann nicht, sagte ich doch eben.«

      »Eben. Deswegen habe ich gebucht. Morgen früh um fünf geht der Flieger. Ich fliege zusammen mit Johanna.«

      »Aha.« Siebels kratzte sich am Kopf und schaute zu Till hin. »Ist das eine Verschwörung? Polizistenfrauenweihnachtsboykott? Nehmt ihr Frau Jensen auch mit?«

      »Nee, Frau Staatsanwalt bleibt hier. Ist ja keine Polizistenfrau. Vielleicht backt sie euch ein paar Plätzchen, wenn Johanna und ich am Pool liegen und uns von muskulösen Animateuren die Rücken eincremen lassen.«

      »Baby, dein Rücken gehört mir. Und der Rest auch.«

      »Wow. Mein kleiner Brummbär verwandelt sich in einen Supermacho. Ich sollte öfter mal mit Johanna was unternehmen.«

      »Vielleicht sollte ich mich doch besser auf meine alten Tage noch mal umorientieren und Till heiraten. Der steht mir wenigstens immer treu zur Seite«, säuselte Siebels.

      Till stand neben ihm und hörte neugierig zu. Mit zwei auf die Schläfe ausgestreckten Fingern deutete er an, dass er sich lieber erschießen würde.

      »Ich muss Schluss machen. Schreibt uns mal eine Postkarte. Frohe Weihnachten, meine Süße.«

      »Hallo? Was heißt hier Frohe Weihnachten? Morgen früh fahrt ihr zwei uns gefälligst zum Flughafen. Dann kannst du mir ein frohes Fest wünschen.«

      »Um fünf?«

      »Nein. Um vier. Um fünf geht doch schon der Flieger.«

      »Na dann. Bis später.« Siebels steckte sein Handy wieder ein und wendete sich Petri zu. »Unsere Weiber hauen ab. Die fliegen in die Sonne und wir haben einen nackten Mann am Hals. Ist das gerecht?«

      »Tut mir wirklich leid, dass der nackte Mann keine Frau ist«, gab Petri sein Bedauern kund.

      »Du musst morgen früh unsere Frauen um vier Uhr zum Flughafen bringen«, gab Siebels Till Anweisung.

      »Ach, Johanna fliegt mit Sabine?«

      »Jepp.«

      »Ich bringe sie zum amerikanischen Militärflughafen nach Wiesbaden. Da können sie eine Maschine nach Afghanistan nehmen.«

      »Manchmal hast du richtig gute Ideen. Hattest du auch schon eine zum Spiegelspruch?«

      »Logisch. Bruder Jakobus. Der ist Mönch, der kann Latein, den finden wir in der Innenstadt, in der Liebfrauenkirche.«

      »Wir nicht. Du. Ich fahre mit Dr. Petri zum nackten Mann. Wir treffen uns später im Präsidium. Lass dich von einer Streife hinfahren.«

      5

      Er hatte sich nach dem Gottesdienst und dem Gespräch mit dem Abt wieder in seine Zelle zurückgezogen. Ganz bewusst hatte er eine der kleinen Kammern gewählt. Nur ein schmales Bett und ein kleiner Tisch standen in dem Raum. Auf dem Tisch lag der braune Ledereinband, den er auf dem Bett sitzend anstarrte. Durch das kleine Fenster fiel das Sonnenlicht. Er versuchte, sich das Gesicht der Frau vorzustellen, die diese Zeilen für ihn verfasst hatte. Das Gesicht der Frau, wie es im Jahr 1940 ausgesehen haben mochte. Als sie 20 Jahre alt und schwanger war. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sie am Abend mit ihrem Mann Fritz vor dem Radio saß und den Stimmen lauschte, die vom Krieg berichteten.

      Er spürte eine Veränderung in sich. Sein Körper fing an, sich zu verkrampfen. Viele Jahre hatte er dieses Leiden nicht mehr gespürt. Nun war es anscheinend mit dem braunen Ledereinband zurückgekommen. Er verließ seine Zelle und machte sich auf die Suche nach Bruder Thimotheus. Schlurfend ging er durch die Gänge des Klosters und trat in den Klostergarten ein. Wie er es sich gedacht hatte, fand er den alten Mönch in dessen Kräutergarten. Bruder Thimotheus war mittlerweile fast 90 Jahre alt und kannte die Heilwirkung Hunderter von Kräutern. Für jedes Leiden wusste er den heilenden Tee zu kreieren. Es gab keine Kranken im Kloster dank des Kräutergartens, in dem er nun vor dem alten Mönch stand.

      »Die Krämpfe kommen wieder«, sagte er nur.

      Der Alte schaute auf. »Hast du es schon mit Beten versucht, lieber Bruder?«

      Er schüttelte traurig den Kopf. »Was soll ich Gott anrufen, wenn er mich doch zu dir schickt.«

      »Gottes Wege sind unergründlich«, gab der Alte zur Antwort. »Es wundert mich, dass dein Leiden nach so langer Zeit erneut auftritt. Ist etwas geschehen? Betrübt etwas deine Seele? Hast du dein Gleichgewicht verloren?«

      »Ja, Bruder. Es ist etwas geschehen. Ich habe das Gefühl, als wäre ich plötzlich wieder dort, wo ich einst herkam. Draußen in der Welt.«

      »Nun gut. Komm mit mir. Die Kräuter sind bereits in meiner Kammer. Ich will dir deinen Tee bereiten. Aber trinke ihn mit Bedacht. Nur eine kleine Dosis der heilenden Kraft für den Anfang.«

      Die beiden Mönche gingen langsamen Schrittes zurück hinter die Mauern des Klosters. Er hatte große Angst, dass es wieder schlimmer werden würde. So wie früher, als er noch ein Knabe war. Als er zuckend auf dem Boden lag und keine Kontrolle über seinen Körper mehr hatte. Einige der alten Mönche hatten damals Angst vor ihm. Sie sahen den Teufel in seinem Leib. Manchmal verlor er sein Bewusstsein. Bruder Thimotheus nahm sich seiner an und probierte verschiedene Kräuter an ihm aus. Keines schien zu helfen. Doch eines Tages kam Thimotheus mit einer großen Kanne Tee, die eine neue Kräutermischung enthielt. Nachdem er die ganze Kanne ausgetrunken hatte, fühlte er, wie seine Muskeln sich etwas entspannten. Er trank den Tee fortan jeden Tag und seine Anfälle wurden erträglicher, die Abstände zwischen den einzelnen Anfällen immer größer und größer. Bis sie gar nicht mehr auftraten. Thimotheus setzte die Dosis der heilenden Kräuter nach und nach zurück, bis der Tee gar nichts mehr von dem heilenden Kraut enthielt. Sein Patient blieb trotzdem fortan von weiteren Anfällen verschont. Er galt als geheilt.

      Sie gingen in die Zelle von Thimotheus, wo zahlreiche getrocknete Kräuter an den Wänden hingen. Es roch wie in einem Zaubergarten. Der alte Mönch bereitete schnell den heilenden Tee und gab seinem Bruder zu trinken.

      »Ich danke dir und danke Gott für die Weisheit, die er dir in die Wiege gelegt hat. Doch ich fürchte mich ein wenig. Du bist nun schon 90 Jahre alt und erfreust dich noch bester Gesundheit. Doch auch dein Leben ist nur von begrenzter Dauer. Darum möchte ich dich mit reinem Herzen bitten, mir das Rezept des heilenden Tees zu verraten.«

      »Nun trinke erst einmal, mein lieber Bruder. Werde gesund und stark und finde das Gleichgewicht deiner Seele wieder. Nur der Kranke benötigt die Medizin. So bete, dass du gesund bleibst und verlasse dich nicht auf die Kräuter, sondern allein auf Gott. Aber fürchte dich nicht. Wenn Gott mich zu sich ruft, so bleibt das Geheimnis der heilenden Kräfte, die Gott in die Natur gelegt hat, in unserem Orden zurück. Hunderte Rezepte sind niedergeschrieben. Unser ehrwürdiger Abt ist in jedes Geheimnis eingeweiht. Er hat bereits einen treuen und gottesfürchtigen Bruder aus unserer Mitte auserkoren, der nach mir kommt und alles so hält, wie ich es gehalten habe. Nichts geht verloren.«

      »So soll es sein, denn es ist der weise Ratschluss des Allmächtigen«, antwortete er und ging mit der Kanne zurück in seine Zelle.

      Dort trank er noch eine Tasse des frisch gebrühten Kräutertees, bevor er den braunen Ledereinband zur Hand nahm und sich mit dem Niedergeschriebenen befasste.

       Nun war er da, der Weltkrieg. Immer mehr junge Männer verwandelten sich in Soldaten und zogen an die Front. Im Mai nahmen sie Holland, Belgien und Luxemburg ein, wir hörten es im Radio. Die deutsche Armee kämpfte tapfer und siegreich, zerschlug die neunte französische Armee bei Giraud. Die Stimme von Hitler wurde lauter und lauter in unserem Radio. Und tausendfach erschallte die Antwort des deutschen Volkes. Heil Hitler. Auch Fritz wollte endlich an die Front, wollte kämpfen und