•Bruder Jakobus, Liebfrauen, Hintergrundinformationen
•Sarah Liebig, Halbschwester, Malerin
•Peter Arenz, Bedeutung im Unternehmen, Erbschaft?
•Klara Arenz, Bedeutung im Unternehmen, Erbschaft?
•Hermann und Eva Liebig, Eltern, Ankunft?
»Die aufgeführten Personen sollten wir so schnell wie möglich befragen«, stellte Siebels fest. »In der Neurologie schauen wir morgen Nachmittag zusammen vorbei. Ich unterhalte mich vorher mit Peter und Klara Arenz. Till, du klärst mit deinem Mönch die Tätowierung unseres großen Unbekannten. O-C-S-O steht auf seinem Arm. Wir müssen ihn identifizieren, vielleicht hilft uns das weiter. Vielleicht verrät er uns ja morgen aber auch selbst, wer er ist? Außerdem gehst du zu dem Hausarzt Dr. Breuer. Lass dir etwas über die Krankheitsgeschichte von Magdalena Liebig erzählen und besorge die Namen aus der Selbsthilfegruppe. Sarah Liebig können wir dann nach der Neurologie zusammen besuchen. Die Eltern werden bis übermorgen dann hoffentlich aus den USA zurück sein und uns zur Verfügung stehen. Ich versuche, diesen Anwalt Dr. Jürgens noch dazwischen zu klemmen. Noch Fragen?«
»Hast du schon von der Spurensicherung was Neues gehört? Können wir den nackten Unbekannten definitiv als Täter ausschließen?«
»Von denen habe ich nur gehört, dass im Haus definitiv keine Kleidung des Nackten gefunden wurde. Das untermauert die Theorie, dass er nicht der Täter ist. Jemand muss seine Sachen mitgenommen haben.«
»Dieser Jemand muss aber nicht der Täter sein. Der Nackte könnte sie getötet haben. Ein möglicher Zeuge ist vielleicht abgehauen und hat die Kleider mitgenommen, damit der Mörder ihm nicht so schnell folgen kann.«
»Möglich. Glaube ich aber nicht. Angenommen, der nackte Mann ist der Mörder. Er hat weder seine Kleider noch die Tatwaffe und es gab nur blutige Spuren von Schuhen, die nach draußen führten. Er könnte Magdalena erstochen haben, als er noch angezogen war, dann wäre seine Kleidung höchstwahrscheinlich blutverschmiert gewesen. Er verlässt nach dem Mord das Haus, entledigt sich der blutigen Kleidung und des Messers und kommt dann nackt zurück, um sich neben die Leiche zu setzen? Das ist die einzige Möglichkeit. Er wird bei der Kälte nicht ohne Kleider in der Öffentlichkeit herumgelaufen sein. Aber das Grundstück liegt einsam und ist von außen nicht einzusehen. Du hast Recht, Kollege. Wir müssen diese Möglichkeit in Betracht ziehen und das Grundstück gründlich absuchen. Am besten mit Hunden.«
»Warum sollte er das tun? Sich nackt neben die Leiche setzen und auf die Haushälterin warten?« Jensen war etwas irritiert.
»Warum knallt er sich nach einem epileptischen Anfall die Stirn an der Wand blutig?«, fragte Siebels und gab sich und dem Staatsanwalt die Antwort gleich mit. »Weil er einen Dachschaden hat.«
»Wie auch immer, veranlassen Sie so schnell wie möglich die Suche auf dem Grundstück.«
Siebels hatte den Hörer schon in der Hand und tippte die Durchwahl der Spurensicherung. Er wollte den Hörer schon wieder auflegen, als doch noch jemand abnahm.
»Siebels hier. Wegen des Falls Liebig, da muss das Grundstück noch durchsucht werden. Kleidung und Tatwaffe. Wie bitte? Mit wem spreche ich denn? Sind Sie neu in der Abteilung? Seit fünfzehn Jahren? Putzen? Ach, Sie sind die Putzfrau. Sagen Sie das doch gleich. Niemand mehr da, aha. Na denn, auf Wiederhören.«
»Nix Spuren, alles sauber geputzt!« Till prustete vor Lachen.
»Feierabend«, beschied Siebels. »Alle daheim, gehen wir auch.«
»Benötigen Sie noch Unterstützung?«, erkundigte sich Jensen.
»Im Moment nicht. Wir führen erst mal die Gespräche und warten, wie sich unser nackter Mann entwickelt, dann sehen wir weiter.«
Als Jensen gegangen war, ließ Siebels seine Füße auf dem Schreibtisch nieder und lehnte sich entspannt zurück.
»Bleibst du noch?«, fragte Till, der sich gerade seine Jacke überzog.
»Unsere Mädels wollen morgen in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen. Bringen wir sie zusammen hin?«
»Das hätte ich jetzt fast wieder vergessen. Soll ich mit Johanna bei euch vorbeikommen? So gegen halb vier?«
»Ja, dann fahren wir zu viert mit einem Wagen zum Flughafen, schmeißen die Mädels raus und machen dann bei uns ein anständiges Frühstück.«
Till hob den Daumen und verdrückte sich.
Eine Stunde später stand Siebels in seinem Schlafzimmer und beobachtete Sabine beim Koffer packen.
»Ohne dich wird das ein blödes Weihnachten.«
Sabine packte ohne schlechtes Gewissen weiter ihren Koffer.
»Dabei hätte ich dir so gerne ein schönes Geschenk unter den Baum gelegt«, sagte er trotzig.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, lächelte Sabine ihn verschmitzt an.
»Und das soll ich ganz alleine auspacken?«
»Auf gar keinen Fall«, gab sie zurück. Dann kam sie langsam auf ihn zu, nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch.
»Ein kleiner Siebels ist unterwegs«, hauchte sie ihm ins Ohr.
Siebels brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, was er gehört hatte.
8
Seine Gedanken kreisten immer um die eine Frage. Wollte er wirklich wissen, was noch alles in dem braunen Ledereinband geschrieben stand? Würde es ihm Frieden geben oder sein Herz zerreißen? Hatte er nicht all die Jahre im Frieden mit sich selbst und mit Gott gelebt? Hatte er nicht alles, was er brauchte, hinter den Mauern des Klosters? Würde er nicht mit jeder Zeile, die er las, ein Stück seiner heilen Welt für ein Stück der Wahrheit opfern? Hatte er jemals ein Verlangen nach dieser Wahrheit verspürt? Jetzt spürte er sie. Der braune Ledereinband zog ihn magisch an. Er konnte sich diesem Dokument nicht entziehen. Jetzt nicht mehr. Was dort geschrieben stand, das war seine Prüfung. Die Prüfung Gottes. Er trank einen Schluck des Kräutertees. Er sollte nicht zu viel davon trinken, ermahnte er sich selbst. Seit er den Tee wieder trank, war er von weiteren Attacken verschont geblieben. Er schlug den braunen Ledereinband auf.
Mein Leben, Wilhelmine Arenz
Die Zwillinge waren gesund und munter und Fritz ein stolzer Vater. Im Juni 1941 begann der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Drei Millionen Mann waren in der Armee für den Angriff bereitgestellt und Richtung Osten gezogen. Fritz blieb daheim bei Frau und Kindern. Am Tag saß er im Archiv, nutzlos für die Firma und nutzlos für den Führer. Den Feldzug gegen den Bolschewismus verfolgte Fritz am Radio. Abends, wenn die Zwillinge schliefen und ich das Essen bereitete. Dann saß er in seinem Sessel und lauschte dem Sieg. Die vierte sowjetische Armee bei Brest-Litowsk war schneller zerschlagen, als die Stimme im Radio berichten konnte. Fritz war stolz, ein Deutscher zu sein. Heil Hitler. Es ging voran. Die deutsche Armee eilte von Sieg zu Sieg und Fritz wollte nicht mehr im Archiv und nicht mehr im Sessel sitzen. Er wollte an die Front. Wollte seinen Söhnen später von seinen Heldentaten berichten. Mit jeder weiteren Eroberung von russischem Boden nahm sein Wunsch nach Heldentum zu und sein Verlangen nach Familienglück ab. Abend für Abend saß er vor dem Radio. Abend für Abend schwärmte er mir vor, wie tapfer er kämpfen würde, wäre er nur schon an der Front. Jeden Abend öffnete ich meine Lippen, doch meine Zunge konnte die Worte nicht formen. Menschen wie dich braucht der Führer nicht. Zuckende Soldaten schießen schlecht, weißt du das nicht, Fritz? Epilepsie ist eine Krankheit. Eine Krankheit, die ein Deutscher nicht hat. Ohne die Tropfen in deinem Tee bist du kein Soldat, sondern ein Risiko.
Ich konnte ihm das nicht sagen. Ich hatte den Gedanken, ihm keine Tropfen mehr in den Tee zu geben. Wenn er wieder diese Anfälle bekommen würde, wäre es vielleicht einfacher,