»Ich bin immer froh, in Gesellschaft von Rauchern zu sein. Eine Zigarette würde mir jetzt auch guttun.«
Kurz darauf stiegen kleine Rauchkringel auf und Siebels freute sich diebisch, als er seine erste Aschespitze in das glänzende Kristallglas des Aschenbechers schnippte.
Dr. Jürgens schnippte etwas Asche hinterher, bevor er auf die Frage von Siebels einging.
»Die Arenz-Werke sind bis heute in Familienbesitz. Walter Arenz, der Firmengründer, hatte großen Wert darauf gelegt, dass das auch nach seinem Ableben so bleibt. Ob das auch in Zukunft so sein wird, ist allerdings fraglich. Etwa zwei Jahre vor seinem Tod hatte Walter Arenz seine diversen Firmen in eine Aktiengesellschaft, die Arenz-Werke AG, umgewandelt. Die Aktienanteile blieben zunächst zu 100 Prozent in seinen Händen. Nach dem Tod von Walter Arenz wurden die Unternehmensanteile unter Wilhelmine Arenz und den Kindern Peter und Klara Arenz aufgeteilt. Wilhelmine bekam 55 Prozent der Anteile zugesprochen, Peter 25 Prozent und Klara 20 Prozent. Testamentarisch hatte Walter Arenz festgelegt, dass Hermann Liebig bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Unternehmen als Vorstandsvorsitzender fungieren solle. Würde er gegen seinen Willen, also auf Betreiben der Eigentümer Wilhelmine, Peter und Klara ausscheiden, hätte er ein Anrecht auf 30 Prozent der Aktienanteile. Das heißt, dass jeder der Eigentümer 10 Prozent von seinen Anteilen an Hermann Liebig abgeben müsste. Damit war auch sichergestellt, dass diese 30 Prozent nicht anderweitig veräußert werden können, solange Hermann Liebig als Firmenchef tätig ist. Unter diesen Umständen mussten sich die Eigentümer natürlich mit Hermann Liebig auch über dessen Gehalt einigen. Aber das war kein Problem.«
»Welchen Wert hat das Aktienvolumen des Unternehmens denn?«, erkundigte sich Siebels.
Dr. Jürgens lächelte. »Es handelt sich um einen mehrstelligen Milliardenbetrag. Wobei sich der Wert des Unternehmens unter der Führung von Hermann Liebig vervielfacht hat.«
»Und was ist mit den Anteilen von Wilhelmine Arenz nach deren Tod geschehen?«
Dr. Jürgens antwortete nicht gleich. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Siebels kam es so vor, als sei sein Gegenüber bei dieser Frage nervös geworden. Der Anwalt griff an seinen Hals und lockerte seinen Krawattenknoten, bevor er nachdenklich antwortete.
»Wilhelmine Arenz hat etwa vier Monate vor ihrem Tod ihr Testament geändert. Sie besaß neben ihren Unternehmensanteilen mehrere Immobilien und ein Barvermögen von etwa zwanzig Millionen Euro. Ihrem Sohn Peter vererbte sie Immobilien im Rhein-Main-Gebiet, ihrer Tochter Klara hinterließ sie Häuser und Grundstücke in Paris, Lissabon und New York. Hermann, ihr Sohn aus erster Ehe und Vorstandsvorsitzender der Arenz-Werke, erbte etwa 80 Prozent des Barvermögens. Mit den restlichen 20 Prozent hat sie eine Stiftung gegründet, die dem Wohle epilepsieerkrankter Kinder gewidmet ist.«
»Den größten Teil ihres Vermögens haben aber die 55 Prozent Anteile an der Firma ausgemacht«, rekapitulierte Siebels. »Was ist mit diesen Anteilen geschehen?«
»Das Aktienvermögen sollte nach dem Willen von Wilhelmine in der Familie bleiben. Wilhelmine hatte mit ihren 55 Prozent den größten Anteil und die Stimmenmehrheit besessen. Sie müssen wissen, dass sich etliche Finanzinvestoren die Finger nach Anteilen an diesem Unternehmen lecken. Peter Arenz ist schon seit Jahren mit einem solchen Investor im Gespräch. Wilhelmine und Hermann haben aber immer gegen einen Einstieg von Fremdinvestoren gestimmt. Die Frage nach der Erbschaft von Wilhelmines Unternehmensanteilen beantwortet sozusagen auch die Frage nach der Zukunft der Arenz-Werke. Solange Hermann und Eva Liebig sich noch aktiv um die Geschäfte kümmern, wird das Unternehmen auch weiterhin in der Familientradition geführt. Aber die beiden gehen auf die siebzig zu. Wilhelmine hat eine Entscheidung getroffen, die einige offene Fragen gelassen hat.«
»Und die wäre?«, fragte Siebels ungeduldig.
»Nun ja. Sie hat die Anteile auf ihre Enkelkinder verteilt. Von den 55 Prozent bekam Sarah Liebig einen Anteil von sechs Prozent. Vier Prozent erbten Freunde der Familie. Dabei handelt es sich um den Hausarzt Dr. Breuer sowie um meine Wenigkeit. Jeder von uns hält zwei Prozent. Die restlichen 45 Prozent sollten unter den Enkelkindern aufgeteilt werden, die bis zum 31. März 2009 ihren Anspruch geltend machen würden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Hermann Liebig so eine Art Treuhänder der Anteile. Sollte er vor dem 31. März 2009 sterben, übernimmt seine Frau Eva diese Funktion. Die Anteile sind bis dahin nicht verkäuflich.«
»Gibt es denn noch Enkel? Meines Wissens nach war Magdalena die einzige Enkelin. Oder haben Peter bzw. Klara Arenz noch Kinder?«
»Es gibt noch Sarah. Aber die wurde ja schon bedacht, sie ist von dieser Regelung ausgenommen. Weder Peter noch Klara haben Kinder.«
»Und wenn Peter oder Klara Arenz bis dahin ein Kind bekommen, hat das Kind Anspruch auf die 45 Prozent?«
»Nein. Es ist klar festgelegt, dass der Erbe oder die Erben zu diesem Zeitpunkt volljährig sein müssen.«
»Ist eine solche Regelung denn nicht gesetzeswidrig?«
»Nun ja, Peter Arenz klagt zurzeit dagegen. Aber ich rechne ihm wenige Chancen auf Erfolg zu. Das Testament wurde von mir so formuliert, dass es allen juristischen Ansprüchen genügt.«
»Hat Magdalena ihre Ansprüche denn schon geltend gemacht?«
»Ja, das hat sie.«
»Und was passiert jetzt mit den 45 Prozent, die Magdalena im nächsten Jahr bekommen hätte?«
»Zunächst nichts. Rein rechtlich könnten sich noch weitere Erben melden. Die Anzahl der Enkel wurde von Wilhelmine nicht festgelegt. Wenn bis zum Ablauf der Frist niemand Ansprüche erhebt, bekommt Magdalena die freie Verfügung über die Anteile zugesprochen und da sie nun tot ist, kommen ihre Erben zum Zuge.«
Siebels grübelte. Es schien ihm fast logisch, dass der Mord an Magdalena etwas mit diesem Testament zu tun hatte. Aber er sah noch keinen Nutznießer.
»Und was hat Magdalena in ihrem Testament verfügt?«
»Das kann ich Ihnen frühestens bei der Eröffnung des Testamentes mitteilen. Wann das sein wird, kann ich erst klären, wenn ich mit ihren Eltern und den anderen Familienmitgliedern gesprochen habe. Ich werde Ihnen dann natürlich Bescheid geben.«
»Rechnen Sie denn noch mit weiteren Enkeln von Wilhelmine? Gibt es da noch unbekannte Erben?«
»Ich habe mir natürlich auch meine Gedanken gemacht. Wilhelmine hat sich etwas gedacht bei der Verfassung ihres Testamentes. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder haben Peter Arenz oder seine Schwester ein uneheliches Kind, das schon erwachsen ist, oder es gibt außer Hermann Liebig, Peter Arenz und Klara Arenz noch ein Kind von Wilhelmine.«
»Und dieses Kind müsste ein erwachsenes Kind haben, das als rechtmäßiges Enkelkind von Wilhelmine Arenz bis März 2009 seine Ansprüche auf die Erbschaft geltend macht«, ergänzte Siebels die Überlegung. »Halten Sie das für realistisch?«
Der Anwalt schmunzelte. »Nein. Ich war sehr überrascht, als Wilhelmine mir ihren letzten Willen diktierte. Aber sie wusste genau, was sie tat. Sie war Kriegswitwe, als sie Walter Arenz kennen lernte. Wer weiß, was in den Wirren des Krieges alles passiert ist? Ich kann jedenfalls nicht ausschließen, dass es noch Enkel geben könnte.«
»Und wie wahrscheinlich ist die Variante eines unbekannten Kindes von Peter oder Klara Arenz?«
»Diese Variante ist genauso unwahrscheinlich und genauso möglich. Mehr kann ich Ihnen dazu leider nicht sagen.«
»Wie alt sind denn Peter und Klara Arenz?«
»Peter ist Jahrgang 1952 und Klara 1953.«
Siebels rechnete nach und machte sich seine Gedanken. »Die Haushälterin der Liebigs beschrieb Peter Arenz als so eine Art Playboy. Wenn das stimmt, wäre es doch durchaus möglich, dass er als junger Mann ein Kind gezeugt hat, von dem nie jemand aus der Familie erfahren hat, oder?«
»Natürlich wäre das möglich. Das