Daneben stand auf einem Holzsockel eine Madonnenfigur. Über den Holzschnitzer war nichts bekannt, aber namhafte Kunstexperten sprachen der Figur einen nicht unerheblichen Wert zu.
»Leider haben das auch unangenehme Zeitgenossen gewußt«, erzählte Sebastian und berichtete von dem Diebstahl der Madonna, der vor Jahren für einiges Aufsehen, weit über die Grenzen St. Johanns hinaus, gesorgt hatte.
»Gott sei Dank ist es meinem Bruder und mir gelungen, die Täter zu überführen und die Madonna wohlbehalten in den Schoß unserer Kirche zurückzubringen.«
Regina nickte. Sie war ehrlich begeistert. Als sie das Gotteshaus betreten hatte, war sie unwillkürlich in dem kleinen Vorraum stehengeblieben und hatte den Atem angehalten. Solch eine Pracht hatte sie nicht erwartet. Rot, Gold und Blau, das waren die Farben, in denen das Innere der Kirche verziert war. Es gab herrlich gestaltete Fensterbilder, mit Motiven aus der Bibel, wunderschöne sakrale Gegenstände, und oben, auf der Empore, stand die gewaltige Orgel, deren Klang noch aus der geschlossenen Kirche schall, wenn sie zum Lobe des Herrn gespielt wurde.
Nach dem Rundgang, auf dem sie mehr erfahren hatte, als jemand, der nicht in den Genuß einer Führung durch den Geistlichen kam, richtete Regina die Grüße von Alois Brammer aus.
»Da sieht man wieder, wie klein die Welt ist«, lachte Sebastian Trenker.
»Vielen Dank für die Grüße. Wenn S’ ihn mal wiedersehen sollten, dann richten S’ ihm doch aus, daß ich mich schon auf eine gemeinsame Bergtour mit ihm freu’.«
»Das will ich gern’ tun«, nickte die Krankenschwester und faßte sich ein Herz. »Da Sie’s gerade ansprechen – die Frau Stubler erzählte auch, daß Sie ab und an Urlauber mitnehmen, wenn Sie auf Bergtour gehen. Sie meinte, ich solle Sie doch mal fragen, ob Sie mich eventuell auch einmal…«
»Aber freilich«, nickte der Bergpfarrer. »Ich habe sowieso vor, Sie einzuladen. Jetzt sind S’ mir mit Ihrer Frage zuvorgekommen. Würd’s Ihnen schon gleich morgen passen? Ich will zum Wendelstein hinauf.«
»Ach, das wär’ ja wunderbar«, freute sie sich.
»Wanderkleidung haben S’ dabei?« vergewisserte Sebastian sich.
»Ja«, nickte die Krankenschwester, »extra eingepackt; Jacke, Hose, Stiefel und einen Hut gegen die Sonne.«
»Sehr gut«, lobte der Geistliche. »Dann schlag’ ich vor, daß ich Sie gegen halb fünf in der Frühe abhol’. Bis zum Kogler, wo wir aufsteigen werden, ist’s ein gutes Stück, wenn S’ glauben, es net zu schaffen, dann können wir mit dem Auto dorthin fahren.«
»Nein, nein«, wehrte Regina ab. »Das schaff’ ich bestimmt.«
»Also, dann bis morgen früh. Und nehmen S’ bloß keinen Proviant mit. Meine Haushälterin packt’ mir immer viel zuviel ein. Aber vergessen S’ net Ihren Fotoapparat.«
Die junge Frau versprach, daran zu denken. Sie verabschiedete sich und ging gutgelaunt zur Straße hinunter. Sie freute sich auf den morgigen Ausflug mit dem sympathischen Geistlichen. Aber nicht nur das bevorstehende Ereignis ließ ihr Herz schneller schlagen.
Regina fühlte sich fröhlich und unbeschwert, wie schon lange nicht mehr, und dazu trug ganz gewiß die Tatsache bei, daß sie sich verliebt hatte.
Verliebt in ihren Lebensretter!
Schon beim Aufwachen hatte sie an ihn denken müssen. Ria Stubler hatte schließlich eine Bemerkung gemacht, als Regina so aufgekratzt zum Frühstück herunterkam, und lächelnd gemeint, sie schaue ganz so aus, als sei sie von Amors Pfeil getroffen worden.
Im ersten Moment war die Krankenschwester erschrocken gewesen.
Sah man es ihr wirklich an?
Doch dann zuckte sie die Schultern. Was soll’s, Hauptsache, ich bin glücklich, hatte sie gedacht.
Als sie jetzt die Straße überquert, schaute sie erst gewissenhaft nach links und rechts, bevor sie die Fahrbahn betrat.
Net, daß mich der Wolfgang jetzt sieht, dachte sie und kam sich eigentlich albern dabei vor.
Natürlich konnte er sie jetzt nicht sehen, aber es war herrlich, einmal albern sein zu können. So mußte es wohl sein, wenn man verliebt war.
Sie hatte gerade die andere Straßenseite betreten, als sie eine ihr wohlbekannte Stimme hörte.
»Bravo, Regina, so ist’s richtig«, lachte Wolfgang Burger, der wie aus dem Nichts vor ihr stand und sie anstrahlte.
*
Die Krankenschwester schaute ihn verwundert an.
»Das gibt’s doch net…«, sagte sie. »Gerade eben noch…«
»Ja? Was war gerade eben?«
Regina hatte einigermaßen ihre Fassung wiedergewonnen. Aber sie spürte schon ihren Puls rasen, als sie dem jungen Bauern die Hand gab.
»Ach, nix«, antwortete sie ausweichend.
Wolfgang sah sie forschend an.
»Gib’s zu«, sagte er. »Du hast’ eben, als du über die Straße gekommen bist, an mich gedacht. Stimmt’s?«
»Woher weißt du das?« fragte sie erstaunt.
Im selben Moment wurde ihr bewußt, daß sie sich gestern abend zwar mit den Vornamen angesprochen, aber sich nicht geduzt hatten. Doch jetzt kam ihr das Du ganz zwanglos über die Lippen, und Wolfgang erging es ebenso.
Er schaute sie mit einem Blick an, daß es ihr heiß und kalt wurde. Dann faßte er ihre Hände und hielt sie fest.
»Weil ich andauernd an dich denken muß, Regina«, erwiderte er mit rauher Stimme. »Seit gestern abend gehst’ mir net mehr aus dem Sinn…«
Wolfgang stockte, weil ihm die Stimme zu versagen drohte, dann räusperte er sich:
»Ich hab’ mich ganz fürchterlich in dich verliebt!«
Regina Werneke glaubte, jeden Moment umfallen zu müssen. Sie hatte das Gefühl, zu schwanken und war froh, daß er sie immer noch an den Händen hielt.
Dann lächelte sie schelmisch.
»So, so, fürchterlich ist’s also, daß du dich in mich verliebt hast…«
Der junge Bauer machte ein erschrecktes Gesicht.
»Nein, so hab’ ich das doch net gemeint«, rief er rasch. »Vielmehr, daß es wunderschön ist. Ich kann’s eigentlich noch gar net glauben. Aber es ist so, ich hab’ mein Herz an dich verloren.«
Regina spürte die Tränen in ihren Augen und sah ihn nur noch durch einen Schleier.
»Du weinst?« fragte Wolfgang bestürzt.
»Doch nur vor Glück«, antwortete sie leise.
»Dann…?dann liebst du mich auch?«
Sie nickte und hob den Kopf. Wolfgang sah die bezaubernden Augen, den Mund mit seinen verlockenden Lippen und konnte sich nicht länger zurückhalten. Er riß sie in seine Arme, und dann war alles um sie herum vergessen.
»Mein Gott, hab’ ich mich vor diesem Moment gefürchtet«, gab er zu, nachdem er sie wieder freigegeben hatte.
»Gefürchtet?« fragte sie belustigt.
»Es ist mir ernst«, sagte er. »Wie konnt’ ich denn wissen, ob ich mir net eine Abfuhr hol’?«
Den ganzen Morgen war er zu keiner gescheiten Arbeit fähig gewesen und wie ein zerstreuter Professor durch Haus und Hof gelaufen. Immer wieder dachte er an die junge Frau, die ihn so verzaubert hatte, daß er sogar bereit war, seinen Grundsatz aufzugeben, in absehbarer Zeit nicht zu heiraten.
Maria Burger konnte das merkwürdige Verhalten ihres Sohnes natürlich nicht verborgen bleiben.
»Was ist denn mit dir los?« fragte sie, als sie