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So eine Brotzeit unter freiem Himmel schmeckte einfach herrlich. Der heiße Kaffee dampfte in den Bechern, und Regina staunte über die vielen belegten Brote, die die Haushälterin dem Geistlichen mitgegeben hatte.
Während sie genußvoll aßen und tranken, unterhielten sich die zwei Wanderer, wobei es in erster Linie die Krankenschwester war, die von sich und ihrem Beruf erzählte. Sebastian Trenker freute sich, zu hören, daß die junge Frau mit ihrem Leben glücklich schien, und doch wirkte sie ein wenig verändert, seit sie sich gestern in der Kirche gesehen hatten.
»Wie kommt’s eigentlich, daß Sie noch net verheiratet sind?« fragte er unvermittelt. »Natürlich brauchen S’ darauf net zu antworten…«
»Schon gut«, schüttelte Regina den Kopf. »Wissen S’, Hochwürden, es gab da mal einen dunklen Punkt, an dem ich mir geschworen hab’, nie wieder einem Mann zu vertrauen. Mit den Jahren wurd’s dann ein ganz normaler Zustand für mich. Ich hab’ einen großen Bekanntenkreis und fühlte mich nie ausgeschlossen. Die Liebe, ja die schien mich indes vergessen zu haben.«
Sie lächelte plötzlich.
»Bis gestern…«
Merkwürdig, dachte sie, einem anderen Menschen hätte ich das nie so schnell erzählt, aber bei Pfarrer Trenker und der Ria ist das etwas ganz anderes. Die beiden machen es einem wirklich leicht, sein Herz zu öffnen.
»Ich glaub’, es ist keine große Überraschung für Sie, wenn ich Ihnen sag’, wer mich seit gestern an nix anderes mehr denken läßt«, fügte sie hinzu.
»Nein«, schmunzelte der Bergpfarrer. »Daß der Wolfgang Burger Sie weit mehr als aus Dankbarkeit für seine Heldentat interessiert, das hab’ ich schon gestern geahnt. Ich freu’ mich für Sie beide, Regina. Er ist ein braver Bursche, der den Hof fleißig in Schuß hält, dabei ist er immer ehrlich und aufrichtig.
Ich vermute, der dunkle Punkt, von dem Sie sprachen, bezieht sich auf einen Mann. In dieser Hinsicht brauchen S’ beim Wolfgang keine Angst zu haben.«
»Ich weiß«, nickte sie. »Irgendwie hab’ ich’s gleich gefühlt.«
»Haben S’ denn auch schon daran gedacht, wie’s mit Ihnen und ihm weitergehen wird, wenn S’ wieder nach Hause fahren müssen? München ist zwar net weit, aber für eine Liebe kann auch die kürzeste Entfernung viel zu lang sein.«
»Natürlich hab’ ich daran gedacht«, antwortete sie. »Aber noch ist ja alles so neu und frisch. So richtig kennen wir uns noch gar net. Aber, ich glaub’, wenn man jemanden aufrichtig liebt, dann spielt so etwas wie Entfernung keine große Rolle.«
Die Krankenschwester trank einen Schluck Kaffee, den Pfarrer Trenker nachgeschenkt hatte. Sie schaute ins Tal hinunter, und ihr Blick wurde nachdenklich.
»Wolfgang hat mir allerdings auch von seiner Mutter erzählt«, fuhr sie fort. »Und von deren Vorstellung, wie ihr Sohn sich verheiraten soll.«
Sie wandte sich zu Sebastian um.
»Glauben S’, die Frau Burger könnte sich gegen unsere Liebe stellen?«
Angst schwang in ihrer Frage mit.
Der gute Hirte von St. Johann zuckte die Schultern.
»Ausschließen könnt’ ich’s net«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Die Maria hat tatsächlich eigentümliche Vorstellungen, was die Zukunft ihres Sohnes angeht, und die Tatsache, daß ihr der Hof noch gehört, und der Wolfgang ihn erst nach ihrem Tode erben wird, macht’s net leichter für ihn. Ich trau’ seiner Mutter sogar zu, daß sie diese Tatsache als Druckmittel gegen ihn benutzt, wenn er net so spurt, wie sie es will.«
Sebastian hob beschwichtigend die Arme.
»Allerdings sollten S’ sich deswegen vorerst keine Gedanken machen«, beruhigte er sie. »Und wenn’s hart auf hart kommt, dann bin ich ja auch noch da. Falls es irgendwas gibt, wobei Sie meine Hilfe brauchen, dann können S’ mich Tag und Nacht im Pfarrhaus erreichen.«
»Danke schön«, lächelte Regina.
Der Geistliche trank seinen Kaffee aus.
»So«, sagte er und verstaute den Becher im Rucksack, »jetzt haben wir aber genug geplaudert. Es wird Zeit, daß wir wieder aufbrechen. Bis zum Wendelstein ist’s noch ein ziemliches Stück.«
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Als sie am späten Nachmittag wieder ins Tal abstiegen, da konnte es Regina gar nicht schnell genug gehen. Die Tour war wirklich anstrengend gewesen, doch die Verabredung, die sie mit Wolfgang hatte, beflügelte ihre Schritte.
Nach der Frühstücksrast waren sie weitergewandert und hatten die Wendelsteinhütte gegen Mittag erreicht. Inzwischen waren zahlreiche andere Wanderer dort eingetroffen, teils in Gruppen, teils alleine, und die Wirtsleute hatten alle Hände voll zu tun. Der herrliche Ausblick von hier oben entschädigte für die Strapazen, und Regina genoß ihn in vollen Zügen.
Pfarrer Trenker erzählte ihr, daß die Hütte und der Wendelstein einmal Schauplatz einer kuriosen Veranstaltung gewesen waren. Damals hatte der alte Brandhuber-Loisl, der selbsternannte Wunderheiler von St. Johann, einem Knecht vorgegaukelt, daß ihm ein Engel erscheine und eine Wunderheilung an ihm vornehme. Der Knecht hatte das Spektakel für bare Münze genommen und die Geschichte weitererzählt, was natürlich auch die Absicht des alten Quacksalbers war. Die Folge war, daß ganze Busladungen Heilungssuchender zum Wendelstein kutschiert wurden.
»Sie glauben net, was sich hier Szenen abgespielt haben«, sagte Franz Rottinger, dem sich jetzt noch die Haare sträubten, wenn er an die Ereignisse dachte.
Der Hüttenwirt hatte ihr Essen an den Tisch gebracht und den letzten Teil der Unterhaltung mitgehört.
»Zum Glück hat Hochwürden dafür gesorgt, daß der Spuk schnell wieder vorbei war.«
Nach dem Mittagessen spazierten sie ein Stückchen hinter der Hütte entlang, und der Geistliche zeigte seiner Begleiterin die alten Pfade, auf denen in früheren Zeiten Schmuggler alle möglichen Dinge über die Grenze gebracht hatten. Am Wendelstein, jenem großen, bizarren Felsen, der dem Ort seinen Namen gab, wurden schließlich noch ein paar Fotos gemacht.
Der Rückweg war leichter als der Aufstieg. Wäre er alleine unterwegs gewesen, so hätte Sebastian einen anderen gewählt, aber er wollte Regina Werneke nicht über Gebühr belasten, und so kehrten sie über den Wirtschaftsweg ins Dorf zurück.
»Herzlichen Dank, Hochwürden«, sagte die Krankenschwester, als sich ihre Wege trennten. »Es war ein einmaliges Erlebnis, an das ich bestimmt noch lange zurückdenken werde.«
»Schön, daß es Ihnen gefallen hat«, freute sich Sebastian. »Bestimmt sehen wir uns mal wieder, solang’ Sie noch in St. Johann Urlaub machen. Und denken S’ daran, was ich gesagt hab – wenn’s Probleme gibt, können S’ sich jederzeit an mich wenden.«
Regina versprach, das zu tun und ging zur Pension weiter. Sie sehnte sich nach einer Dusche und danach, sich umziehen zu können. Als sie dann eine Stunde später ungeduldig im Flur auf und ab ging, schaute Ria sie schmunzelnd an.
»Na, Sie können’s wohl gar net abwarten, was?« meinte die Pensionswirtin. »Aber keine Angst, er wird schon noch kommen.«
Die Krankenschwester lächelte, und wirklich hupte kurz darauf draußen vor dem Haus ein Auto. Sie winkte Ria zu und lief hinaus.
Wolfgang war ausgestiegen und erwartete sie mit ausgebreiteten Armen. Sie sprang hinein und ließ sich von ihm herumwirbeln.
»Grüß dich, mein Schatz«, sagte er und küßte sie zärtlich. »Hattest’ einen schönen Tag?«
»Herrlich war’s«, schwärmte sie. »Ich hab’ so viel Schönes gesehen, fast beneid’ ich dich ein bissel, daß du hier lebst.«
Er sah sie durchdringend