»Ich weiß«, antwortete Sebastian. »Und sie dich auch.« Als er jetzt zum Hof fuhr, kam es ihm vor, als wäre ihm eine Zentnerlast vom Herzen gefallen. Wolfgang fühlte sich wieder so glücklich, wie in dem Moment, in dem er Regina seine Liebe gestanden und sie geküßt hatte.
Im Haus war alles dunkel, als er eintrat. Allerdings fiel durch Franzis Tür ein Lichtschein. Kopfschüttelnd ging er in sein Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Wenig später schlief er beruhigt ein.
Am nächsten Morgen wunderte sich Wolfgang über zwei Dinge. Zum einen begegnete Franzi ihm ganz und gar nicht so, als hätte sie sich gestern eine Abfuhr geholt, und zum anderen saß seine Mutter am Frühstückstisch und lächelte ihn an.
»Guten Morgen, Wolfgang«, begrüßte sie ihn. »Magst’ ein paar Eier zum Frühstück?«
Irritiert murmelte er einen Gruß zurück und schüttelte den Kopf.
»Danke schön, heut net.«
Die Magd war hinzugekommen und schenkte Kaffee ein. Sie aßen schweigend, bis seine Mutter ihm ein paar Dinge, betreffend des Tagesablaufs fragte. Noch immer konnte sich Wolfgang keinen Reim auf ihren Sinneswandel machen. Allerdings war er erleichtert, daß sie wieder mit ihm sprach. Immerhin ein gutes Omen für den Besuch des Geistlichen.
Der traf am frühen Morgen ein. Gleich nach dem Frühstück hatte sich Sebastian auf den Weg gemacht. Die Altbäuerin schaute verwundert auf, als der Wagen auf den Hof fuhr. Noch verwunderter war sie über die junge Frau, die neben dem Geistlichen saß.
»Hochwürden, wollen S’ wirklich zu uns?« fragte sie.
»Ja«, nickte der Bergpfarrer, der alleine ausgestiegen war, »oder besser gesagt, zu dir, Burgerbäuerin.«
»Zu mir…?«
»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
Sie zuckte die Schultern.
»Gehen wir halt hinein.«
Sebastian folgte ihr, ohne seine Begleiterin zum Mitkommen aufzufordern. Maria wunderte sich noch mehr.
*
Das war sie also für ihn, ein Techtelmechtel. Mehr nicht.
Seit sie in ihr Zimmer hinaufgegangen war, saß Regina auf dem Bett. Wie aus unergründlichen Tiefen war alles wieder hervorgekrochen. Die bittere Enttäuschung, die sie erlebt, die Tränen, die sie geweint hatte. Belogen, betrogen und hintergangen hatte man sie, und jetzt wiederholte sich alles.
Wie hatte die Frau gesagt?
Es sei das Beste, wenn sie verschwände. Für die herzkranke Mutter, die sich nicht aufregen dürfe, und für das Kind.
Sein Kind!
Wie konnte ein Mann nur so gewissenlos sein, etwas mit einer Frau anzufangen, wenn eine andere sein Kind unter dem Herzen trug?
Regina verstand die Welt nicht mehr, und am liebsten hätte sie gleich ihren Koffer gepackt – wenn sie nur wüßte, wie sie von hier fortkäme, mitten in der Nacht.
Inzwischen war es früher Morgen, und sie hatte noch kein Auge zugetan. Die Krankenschwester erhob sich und schleppte sich in das kleine Bad. Das kalte Wasser regte ihre Lebensgeister an. Sie hatte einen Entschluß gefaßt; auf keinen Fall konnte sie hierbleiben, bis in der nächsten Woche die Reisebusse kamen, um die Urlauber wieder abzuholen. Sie mußte eine Möglichkeit finden, auf eigene Faust nach Hause zurückkehren zu können, auch wenn sie die Kosten dafür aus eigener Tasche würde bezahlen müssen.
Sie hatte sich das Gesicht gewaschen, um die Tränenspuren zu beseitigen, dann nahm sie den Koffer und öffnete ihn. Als sie ihre Kleider hineinlegte, weinte sie erneut. Aus Scham, so hintergangen worden zu sein, und aus Wut, weil sie wieder auf einen Mann hereingefallen war. Dabei hatte sie sich doch geschworen, daß ihr das nie wieder passieren würde.
Ria Stubler war erstaunt, als sie Regina mit dem Koffer die Treppe herunterkommen sah.
»Ist was passiert?« fragte sie erstaunt.
Die Krankenschwester fiel ihr schluchzend um den Hals. Mit stockenden Worten erzählte sie von dem nächtlichen Besuch der Frau, die behauptete, von Wolfgang schwanger zu sein.
»Nun stell’ erst mal den Koffer ab«, sagte die Wirtin.
»Und dann kommst’ in die Küche, und wir reden über alles. Heißen Kaffee gibt’s auch schon.«
Ria ließ sich noch einmal alles schildern und schüttelte den Kopf.
»Das glaub’ ich alles net«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Davon ist net ein Wort wahr!«
Dann griff sie zum Telefon und wählte die Nummer des Pfarrhauses.
Eine Stunde später waren Sebastian Trenker und Regina Werneke auf dem Weg zum Burgerhof. Es hatte den guten Hirten von St. Johann einiges an Überredungskunst gekostet, sie davon abzuhalten, tatsächlich mit dem nächsten Bus in die Stadt und von dort, mit dem Zug nach München zu fahren.
»Glaubst’ wirklich, ich hätt’ dich net gewarnt, wenn der Wolfgang wirklich so ein übler Bursche wär’?« war sein stärkstes Argument gewesen.
Die junge Frau war überzeugt. Nein, so, wie sie Pfarrer Trenker kennengelernt hatte, traute sie ihm nicht zu, daß er sie blindlings in ihr Unglück rennen ließ.
Jetzt saß sie in seinem Wagen und schaute sich um. Der Geistliche und Wolfgangs Mutter waren vor geraumer Zeit ins Haus gegangen. Weder von Wolfgang, noch von der Magd war etwas zu sehen. Regina spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sich die Tür öffnete, und Pfarrer Trenker ihr zuwinkte. Hinter ihm wurde eine Gestalt sichtbar.
Wolfgang!
Er drängte an dem Geistlichen vorbei und kam auf sie zugelaufen. Regina war ausgestiegen und erwartete ihn.
»Hochwürden hat alles erzählt«, sagte er und nahm sie in die Arme. »Mein Herz, was mußt du durchgemacht haben!«
»Jetzt ist’s ja vorbei«, erwiderte sie und küßte ihn.
Sie schaute zum Bauernhaus.
»Und deine Mutter?«
»Hochwürden hat ihr den Kopf gewaschen, wie man so schön sagt. Aber ich glaub’, was sie am meisten beschäftigt hat, ist das, was Franzi dir angetan hat. Ich hab’ immer gewußt, daß Mutter ein gutes Herz hat.«
Er faßte sie bei der Hand und zog sie mit sich. Vor dem Bauernhaus blieben sie stehen, und Wolfgang schob Regina vor.
»Mutter, das ist sie«, sagte er. »Das ist meine Regina, die Frau, der meine ganze Liebe gehört, und die ich dir als Schwiegertochter vorstellen möcht’.«
Die Krankenschwester sah Maria Burger unsicher an, dann blickte sie zu Sebastian, der ihr aufmunternd zunickte.
Die Altbäuerin betrachtete sie einen Moment stumm, dann breitete sie die Arme aus.
»Verzeih mir«, bat sie unter Tränen. »Verzeih’ mir, und mach’ meinen Bub glücklich.«
»Das werd’ ich«, versprach Regina mit erstickter Stimme.
Wolfgang nahm wieder ihre Hand und drückte sie zärtlich.
»Jetzt wird endlich alles gut«, sagte er.
Die Krankenschwester schaute sich um, und er deutete ihren Blick richtig.
»Franzi packt ihre Sachen«, erklärte er. »Ich hätt’ ihr vieles verziehen, aber was sie getan hat, das ging zu weit.«
»Aber gleich entlassen…?« fragte Regina.
»Ich kümmere mich um sie«, erklärte Sebastian. »Mach’ dir ihretwegen keine Gedanken. Sie muß eine neue Stelle finden, und sie braucht Zeit, um darüber nachzudenken, was sie beinahe mit ihren Lügen verursacht