»Was machen wir denn jetzt?« fragte sie.
Wolfgang Burger hatte schon den ganzen Tag darüber nachgedacht, was sie an diesem Abend unternehmen sollten. Ein zu großes Programm schied natürlich nach dieser sehr anstrengenden Bergtour aus.
»Wir könnten zum Achsteinsee hinausfahren«, schlug er vor. »Um diese Zeit herrscht dort längst net mehr soviel Trubel wie am Tag. Und es ist sehr romantisch dort; der See und die Berge im Hintergrund, dazu die untergehende Sonne. Und zum Essen gehen wir in eines der Lokale.«
»Hört sich vielversprechend an«, nickte sie. »Dann mal los.«
Sie nahm neben ihm Platz, und in Gedanken war sie immer noch bei seinem Satz – wenn sie nur wollte…
Würde ich denn wollen, fragte sie sich, oder sind die Wunden doch noch nicht verheilt, wie ich dachte?
Sie spürte ein wenig Furcht bei dem Gedanken, sich so eng an einen Mann zu binden, den sie erst kurze Zeit kannte. Wenn man frischverliebt war, dann sah man alles durch eine rosarote Brille, und nicht selten kam nach ein paar Wochen die Ernüchterung. Das hatte sie ja schon am eigenen Leibe erfahren.
»Wie war dein Tag?« fragte sie, um sich davon abzulenken.
Wolfgang hatte, während der Fahrt, bisher kaum ein Wort gesagt. Er schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, und auch jetzt hatte sie den Eindruck, daß er ihre Frage gar nicht gehört hatte.
»Wie? Ach, entschuldige«, sagte er hastig, nachdem sie ihn noch mal gefragt hatte. »Ja, eigentlich war’s so, wie immer…«
Allerdings stimmte das nicht so ganz. Nichts war so wie immer gewesen, und die Stimmung auf dem Burgerhof hatte ihren Tiefpunkt erreicht.
*
Zunächst war seine Mutter, am Abend zuvor, sehr wortkarg vom Melken zurückgekommen.
Schmoll du ruhig, hatte Wolfgang gedacht. Irgendwann wirst es sowieso net mehr aushalten.
Doch diesmal hatte er sich getäuscht. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, setzte sich die Altbäuerin an den Küchentisch. Franzi hatte ihn zum Abendessen gedeckt. Dem jungen Bauern fiel auf, daß die Magd ihn immer wieder verstohlen musterte, wenn sie glaubte, er würde es nicht bemerken. Wolfgang wußte nicht, was er davon halten sollte, aber da die Atmosphäre bei Tisch ohnehin spannungsgeladen war, fragte er auch nicht nach.
Nachdem sie fertig waren, und Franzi den Tisch wieder abgeräumt hatte, verschwand sie in ihrer Kammer. Natürlich wunderte Wolfgang sich darüber. Es war zwar üblich, zeitig ins Bett zu gehen, weil man frühmorgens ja wieder raus mußte.
Aber so früh…?
Maria Burger war indes sitzengeblieben. Als ihr Sohn aufstehen wollte, sah sie ihn zum ersten Mal, seit dem Streit am Nachmittag, an.
»Bleib«, sagte sie. »Ich hab’ mit dir zu reden.«
Der Bauer zog die Stirn kraus.
»Aber net in diesem Ton«, gab er zurück und dachte überhaupt nicht daran, diesem Befehl Folge zu leisten.
Zum Donnerwetter, was dachte sich seine Mutter überhaupt? So mit ihm zu reden!
»Hast’ mich net verstanden?« rief sie ärgerlich, als er an der Tür stand.
»Schon«, erwiderte er und drehte sich zu ihr um. »Aber ich bin net dein Befehlsempfänger. Und, daß das ein für alle Male klar ist – wenn du was von mir willst, dann red’ mit mir, wie eine Mutter mit ihrem Sohn redet, und net, als wär’ ich dein Knecht.«
Damit schlug er die Tür hinter sich zu und ging hinaus.
Allerdings war sein Zorn schnell verraucht, als er im Garten auf der Bank saß und zum Abendhimmel hinaufschaute.
Er konnte ja verstehen, daß sie für ihn nur das Beste wollte. Allerdings wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie die Entscheidung darüber, was das Beste für ihn war, ihm überließ. Schließlich war er kein Schulbub mehr.
Er versuchte, die ärgerlichen Gedanken zu verdrängen und lieber an Regina zu denken. Von all den Frauen, die er kannte, war sie die Einzige, die ihn vom ersten Augenblick an in ihren Bann ziehen konnte. Viele Madln hatte er schon geküßt, und nicht wenige würden mit Freuden seinen Antrag angenommen haben. Immerhin sah er nicht nur gut aus, hinzu kam, daß der Burgerhof wirtschaftlich recht gut dastand, was man nicht von jedem Hof im Wachnertal sagen konnte. Die Aussicht, dort einmal die Bäuerin zu sein, war für viele verlockend.
Doch nicht nur, weil seine Mutter ihnen kritisch gegenüberstand, hatte er sich nie für eine entscheiden können. Irgendwie hatte Wolfgang nie das gespürt, was er gestern bei Regina gefühlt hatte – tiefe und wahre Liebe.
Später als sonst, ging er schlafen. Vielleicht, so hoffte er, hatte sich die Laune seiner Mutter am nächsten Morgen gebessert.
Doch er sollte sich täuschen. Die Burgerbäuerin behandelte ihn die ganze Zeit über wie Luft, und als es ihm schließlich zuviel wurde, schlug Wolfgang mit der Faust auf den Tisch.
»Himmelherrgott, jetzt laß uns endlich wie vernünftige Menschen miteinander reden!« rief er ärgerlich. »Wie lang’ soll das denn noch so weitergehen?«
Seine Mutter blickte ihn mit eisiger Miene an.
»Bis du endlich zur Vernunft gekommen bist«, sagte sie. »Denn, daß du net ganz bei Sinnen bist, das hast’ ja wohl bewiesen.«
Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Fortzugehen mit einer Frau, die du überhaupt net kennst!« fuhr sie vorwurfsvoll fort. »Wer weiß, was das überhaupt für eine ist, diese dahergelaufene…«
»Mutter«, unterbrach er sie scharf, »red’ net so von Regina. Sonst verlaß’ ich noch auf der Stelle das Haus!«
Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Daß Wolfgang fortging, wollte die Altbäuerin wirklich nicht, vielmehr baute sie auf Franzi Lechner, der es gelungen war, sie davon zu überzeugen, daß eine Magd das kleinere Übel war. Sie wandte sich mit verbitterte Miene ab und ließ ihn einfach stehen.
An diesem Tag sah der junge Bauer seine Mutter überhaupt nicht mehr. Dafür bekam er Franzi um so häufiger zu Gesicht.
»Wo ist Mutter?« fragte er, als er feststellte, daß sie zum Mittagessen nicht da war.
»Sie hat sich hingelegt«, antwortete Franzi. »Sie fühlt sich net!«
»Was Ernstes?«
Die Magd schüttelte den Kopf.
»Ich bring’ ihr nachher etwas Suppe«, sagte sie. »Morgen geht’s ihr bestimmt besser.«
Sie schaute ihn wieder so an, wie gestern abend, diesmal aber nicht heimlich, sondern offen.
»Ist was?« fragte er, als er dieser Blicke überdrüssig wurde.
»Ja«, nickte Franzi zu seiner Überraschung, »ich möcht’ mit dir reden.«
»Worüber?«
Sie legte ihr Besteck auf den Teller. Fleischpflanzerl hatte sie gekocht, Gemüse und Kartoffelbrei. Sie schaute auf seinen Teller, auf dem das Essen kaum angerührt war.
»Schmeckt’s dir net?«
»Hab’ keinen Appetit«, erwiderte er. »Also, worüber willst’ mit mir reden?«
»Ich hab’ gestern mit der Maria gesprochen«, begann die Magd. »Sie hat’s wohl ernstgemeint, als sie drohte, daß sie dich enterben will…«
Er zuckte die Schultern.
»Ja, und?«
Franzi saß auf der Eckbank, er, auf seinem Stuhl, daneben. Sie rückte näher und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Ich