Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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       Anmerkungen

       Personenregister

      Einleitung

      Als am 28. Juni 1914 Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger der Habsburgermonarchie, in Sarajevo erschossen wurde, waren die Menschen in Wien, Berlin, Paris, London und St. Petersburg gerade auf dem Weg in die Sommerfrische. Der Sommer 1914 war ein ungewöhnlich schöner. Den Tag selbst beschrieb Stefan Zweig folgendermaßen: »Der Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag des Glücklichseins.«1

      Die bekannten Bilder des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares, die kurz vor dessen Tod in Sarajevo aufgenommen wurden, vermitteln auf den ersten Blick den Eindruck einer angenehmen Atmosphäre an einem warmen, sonnigen Sonntag. Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg waren in der Tat erleichtert, dass die Reise nach Bosnien bis dahin erfolgreich und ohne Zwischenfälle verlaufen war; sie waren über den herzlichen Empfang der Bevölkerung erfreut, und der Thronfolger war mit dem Verlauf der Manöverübungen zufrieden. Ihnen stand jedoch eine Automobilfahrt durch die Stadt bevor, die gewisse Risiken in sich barg. Die Bevölkerung Bosniens wollte in der fahnengeschmückten Stadt dem Thronfolgerpaar die Monarchietreue erweisen und versammelte sich massenweise entlang der angekündigten Route. Trotz aller Attentatswarnungen aus Wien verließ sich Franz Ferdinand auf die Einschätzung des Landeschefs Oskar Potiorek, der vom Einsatz des Militärs beziehungsweise von besonderen Sicherheitsmaßnahmen abriet. Man wollte schließlich Volksnähe demonstrieren. Die letzten Aufnahmen, die circa eine Viertelstunde vor dem tödlichen Attentat gemacht wurden, zeigen ein Paar, das zwar pflichtgemäß lächelt, in erster Linie aber beunruhigt wirkt. In der Zwischenzeit hatte sich bereits ein erstes Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand ereignet, das zwar misslang, aber zwei Begleiter aus seiner Kolonne verletzte. Wenig später erfolgte das zweite Attentat, das durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen sowohl für den Thronfolger als auch für seine Frau tödlich endete.

      Zur gleichen Zeit genossen die Bewohner der restlichen Monarchie den strahlenden Sonnenschein. Der bevorstehende Feiertag Peter und Paul und das dadurch entstandene verlängerte Wochenende lockten viele von ihnen aufs Land, in die Parkanlagen oder in die nahe gelegenen Badeorte. Kaiser Franz Joseph hielt sich in Bad Ischl auf, Außenminister Berchtold auf seinem Schloss in Südmähren. Zahlreiche andere Diplomaten, Politiker und Militärs waren ebenfalls auf ihren Landsitzen. Im Außenministerium am Wiener Ballhauplatz hielten sich lediglich zwei diensthabende Beamte auf.

      Als gegen Mittag die Nachricht vom tödlichen Attentat in Wien eintraf, liefen die Telefonleitungen heiß. Man versuchte, alle wichtigen Persönlichkeiten zu erreichen und sich über die neuesten Informationen auszutauschen. Der österreichische Politiker Joseph Redlich hielt dies in seinem Tagebuch fest: »Um 2 Uhr 10 Minuten rief mich Ganz an und sagte: Der Erzherzog Franz Ferdinand und die Herzogin von Hohenberg sind beide tot, beide von einem serbischen Studenten mit einer Browningpistole erschossen. […] Ich teilte diese furchtbare Nachricht Hans und Fräulein Irma mit, dann rief ich Marienbad an, bekam in fünf Minuten Fritz und berichtete es ihm. Fünf Minuten später erzählte ich die grauenhafte Nachricht Paul in Altaussee, teilte es dann telephonisch Willy Schlesinger und Baronin Schwartzenau mit, telegraphierte es Lützow, Baernreither, Leopoldine von Passavant. […] Berchtold ist bisher nicht aufzufinden gewesen. Er ist gestern abend nach Buchlau gereist, soll auf der Jagd sein. In Buchlau wird das Telephon am Sonntag um 12 Uhr gesperrt!«2 Außenminister Berchtold war tatsächlich zunächst auf einer Entenjagd und anschließend bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Buchlau.

      Die meisten, die vom Tod des Thronfolgers erfuhren, begaben sich mit dem Zug sofort nach Wien zurück und erschienen bereits am Abend bei ihren Dienststellen. Der Kaiser traf am Morgen des 29. Juni in Schönbrunn ein, wo Obersthofmeister Alfred Montenuovo bereits das Zeremoniell für die Leichenfeier vorbereitete.

      Währenddessen spielten sich in Sarajevo krawallartige Szenen ab. Nachdem sich die Nachricht in der Stadt verbreitet hatte, dass die beiden Attentäter bosnische Serben waren, wurden die Häuser und Ladenlokale der serbischen Bevölkerung verwüstet und auch Menschen angegriffen. Die beiden Toten wurden in zwei Särgen im Rathaus aufgebahrt und am nächsten Tag zur Bahn geleitet. Dreißig Tage später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg; durch die Intervention der anderen Großmächte entwickelte sich daraus die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts: der Erste Weltkrieg.

      Für viele Menschen wurde mit dem Tod des Thronfolgers die Hoffnung auf innenpolitische Reformen, die Stabilisierung der Doppelmonarchie, eine Änderung des außenpolitischen Kurses und die Erhaltung des Friedens in Europa begraben. Während seine Anhänger unter dem Schock der Todesnachricht jede Hoffnung auf eine friedliche »Auferstehung« der Monarchie verloren und tendenziell zum Krieg rieten, überwog in der direkten Umgebung des Kaisers sowie in breiten Teilen der Öffentlichkeit eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Erleichterung darüber, dass der Monarchie Franz Ferdinand als Herrscher »erspart« geblieben sei. Nicht nur die ungarische Reichshälfte, sondern auch Regierungen und Öffentlichkeiten anderer Staaten wie beispielsweise Italiens betrachteten den Tod des Thronfolgers als eine durchaus glückliche Schicksalsfügung. Nach dem Ersten Weltkrieg mehrten sich jedoch die Stimmen in Mitteleuropa, die behaupteten, dass erst der Tod des Thronfolgers einen Krieg möglich gemacht hatte, da die »Taube« Franz Ferdinand als Gegengewicht zu den »Falken« in Wien fehlte.

      Liest man Biografien über Franz Ferdinand und die bisher erschienene Literatur zur Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, findet man stets die gleichen Topoi: auf der einen Seite der ewige Thronfolger, der unbeliebte Neffe des Kaisers, der zwar Zukunftspläne entwirft, aber nie zum Zuge kommt und an seiner Machtlosigkeit und Untätigkeit gegenüber Franz Joseph verzweifelt. Auf der anderen Seite ist von einer »Nebenregierung« im Belvedere, dem Wiener Sitz des Erzherzogs, die Rede, die Politiker und Minister vor die schwere Wahl stellte, sich auf die Seite des alten Kaisers oder diejenige des Thronfolgers, also des künftigen Herrschers, zu schlagen. Laut Tschirschky, dem damaligen deutschen Botschafter in Wien, war »die Hand des Erzherzogs […] überall, nicht nur in der Armee und der Flotte, sondern in jedem Ministerium, auf jeder Statthalterei und in den auswärtigen Vertretungen zu spüren«.3

      Dieses offensichtliche Paradoxon – Machtlosigkeit versus »Nebenregierung« – wird von zahlreichen Autoren weiter tradiert, ohne es als solches zu thematisieren oder aufzulösen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Biografie an und stellt mithilfe neuer Quellen und Fragestellungen viele der fest etablierten Meinungen und Mythen über Franz Ferdinand infrage.

      Nach dem Tod des Kronprinzen Rudolf im Jahr 1889 wurde Erzherzog Franz Ferdinand – damals 25 Jahre alt – zum ersten Mal als möglicher Thronfolger genannt. Erst 1898, nach dem Tod seines Vaters, Erzherzog Carl Ludwig, und der eigenen Genesung nach einer langjährigen Krankheit wurde Franz Ferdinand im Alter von 34 Jahren offiziell Thronfolger. Durch die späte Ernennung hatte er keine Monarchenerziehung genossen. Wie die meisten Erzherzöge wurde er militärisch ausgebildet, was ihn nur bedingt auf das künftige Herrscheramt vorbereitet hatte. Es stellt sich also die Frage, welche Schritte unternommen wurden, um dieses Defizit später auszugleichen. Wie hat sich der Erzherzog selbst im Laufe der Jahre auf den Thronwechsel vorbereitet und wer hat ihn dabei unterstützt? Welche Art der Politik entsprach seinen Vorstellungen? Sollten seine Pläne zur Umgestaltung der Monarchie zu einem trialistischen, zentralistischen oder doch einem föderativen Staat, den »Vereinigten Staaten von Österreich«, führen? War Franz Ferdinand tatsächlich der »Friedensfürst«, von dem so viele Zeitzeugen und Biografen berichten? Welchen Einfluss hat er auf die politischen und militärischen Entwicklungen in der Doppelmonarchie tatsächlich genommen? Dies sind nur einige Fragen, die im Folgenden behandelt werden und deren Beantwortung die Person des Erzherzogs und dessen Wirken in Österreich-Ungarn in einem neuen Licht erscheinen lassen.

      Der gewählte Ansatz einer politischen Biografie soll die private Seite des Erzherzogs Franz Ferdinand keineswegs ausblenden. Seine persönliche Situation – die lange Krankheit, die