Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Onkel, dies ist gewiss das letzte Mal!«

      »Hm, Gisbertine, es ist gut, dass Du das ohne Schwur sagst. Aber wenn es ohne Deinen Willen das letzte Mal wäre?«

      Sie verstand ihn nicht.

      »Wie das, Onkel?«

      »Der bravste Mann kann die Geduld verlieren, kann, wie Du, sprechen: Was ich einmal gesagt habe, dabei muss es bleiben, und sollte mir auch das Herz darüber brechen, und, Gisbertine, ein Mann, wenn er sein Ehrenwort gegeben hat, lässt das Herz darüber brechen.«

      Gisbertine wurde bleicher.

      Aber sie nahm nicht zurück, was sie gesprochen hatte.

      Das hannöversche Städtchen Uslar lehnt sich in reizender Lage an das Gebirge, das von der Weser her sich in das Land hinabsenkt.

      In einem freundlichen Gasthofe vor den Toren des Städtchens war es am späten Abend noch hell, und doch herrschte in dem ganzen Hause die tiefste Stille.

      Am Nachmittage war eine Extrapost angekommen, aus welcher zwei Herren ausgestiegen waren; auf dem Bocke hatte ein Bedienter gesessen. Die beiden Herren hatten eine kranke Dame aus dem Wagen gehoben, sanft, vorsichtig, sorgsam, als wenn die leiseste Bewegung der Kranken heftige Schmerzen verursachen müsse, ihr den Tod bringen könne.

      Die beiden Herren waren ein älterer Mann mit grauen krausen Haaren, einem scharfgeschnittenen Gesichte, lebhaften Augen, lebhaften Bewegungen und ein jüngerer, dessen blasses Antlitz Schmerz und Trauer. zeigte und an dem auffiel, dass er den einen Fuß im Gehen nachzog, was ihm jedoch nur unbedeutend das Ansehen eines Hinkenden gab.

      Die Dame war verschleiert.

      Der Diener, ein junger hübscher Bursche, war, während die Herren mit der Dame beschäftigt waren, in den Gasthof gegangen, hatte Zimmer für die Herrschaft bestellt und gebeten, schleunigst zu einem Arzte zu schicken.

      Die Dame wurde in eins der angewiesenen Zimmer getragen und auf ein Bett gelegt. Sie lag in glühendem Fieber.

      Der Arzt kam nach wenigen Minuten.

      Er untersuchte die Kranke.

      »Eine Schusswunde!« sagte er überrascht.

      »Ja«, erwiderte ruhig der kleine alte Herr. »Es fragt sich nur, ob der Brand schon hinzugetreten ist.«

      »Noch nicht.«

      »So ist also auch noch keine Lebensgefahr da?«

      »Gleichfalls noch nicht.«

      »Und wann kann die Kranke weiterreisen?«

      »Wird die Reise eine weite sein?«

      »Drei Meilen.«

      »Wenn ein neuer Verband angelegt ist und das Fieber darauf nachgelassen hat, kann bei gehöriger Vorsicht die Dame die paar Meilen weiterfahren.«

      »Also noch heute Nacht?«

      »Noch heute Nacht.«

      Der kleine alte Herr hatte schon beim Aussteigen dem Postillion, während er ihm das Trinkgeld gegeben, aufgetragen, ihm sofort neue Pferde zu bestellen, vier Stück. —

      Die Pferde kamen. Sie wurden an den Wagen gespannt. Der kleine Herr stieg ein.

      »Noch Göttingen«, sagte er zu dem Postillion. »Fahrt Ihr mich in anderthalb Stunden hin, Schwager, so bekommt Ihr zwei Krontaler.«

      Dem Domherrn waren die Krontaler noch nicht ausgegangen.

      Vier Stunden später kam derselbe Wagen, in dem er weggefahren war, zurück. Die Krontaler hatten also ihre Wirkung getan.

      Aber der Domherr saß nicht wieder in dem Wagen Ein junger Mann sprang heraus und eilte in den Gasthof.

      »Wo ist die kranke Dame?«

      »In jenem Zimmer.«

      Zu dem Zimmer ging er langsamer. Er öffnete die Tür leise, kaum hörbar. So trat er auch ein. Die Kranke lag im Bett. Vor dem Bett saß ihr Gatte.

      Gisbert von Aschen und Mahlberg umarmten sich stumm.

      Gisbert zeigte fragend auf die Kranke.

      »Sie schläft. Bleibt der Schlaf noch eine Stunde ruhig, so will der Arzt die Weiterreise gestatten.«

      Die beiden Freunde hatten einander so viel zu erzählen.

      Es waren zwei Stunden verstrichen; der Schlaf der Kranken war ein ruhiger geblieben. Aber die Freunde wollten unruhig werden; der Domherr kam noch nicht zurück.

      Endlich kam er.

      »Der General und Gisbertine folgen mir. Der General war bereit. Aber Sie«, wandte er sich zu Mahlberg, »müssen uns an der Grenze verlassen. Dem General erlaubt es nun einmal seine Ehre nicht, einen Hochverräter zu decken, und jenseits der Grenze sind wir unter seinem Schutze in Sicherheit; so ist Ihr Ehrenwort gelöst.«

      »Gelöst? Mein Ehrenwort?« rief Mahlberg.

      Da wies der Domherr auf die kranke Frau.

      »Der General will nicht anders«, sagte er, »und fragen Sie sich selbst, ob er anders kann.«

      Mahlberg schwieg. Ob er sich unterwarf?

      Er wechselte einen Blick mit Gisbert.

      Die beiden Freunde schienen einverstanden zu sein.

      Der Domherr zeigte mit keiner Miene, dass er die Blicke bemerkt habe.

      »Und Du, Gisbert?« fragte er seinen Neffen.

      »Ich begleite Mahlberg.«

      »Du bliebest also nur bis zur Grenze bei uns?«

      »Dort werden wir Eure Gesellschaft verlassen.«

      »Dir hörtest doch, dass Gisbertine mit dem General kommt?«

      »Ja, Onkel Florens, und sage Du ihr, dass ich mich sehr darüber freue und dass ich sie bitten lasse, der Kranken ihre ganze Pflege und Sorgfalt zu widmen.«

      »Willst Du ihr das nicht selbst sagen?«

      »Nein.«

      »Teufel!« fluchte der Domherr leise. »Wäre es schon jetzt zu spät für Gisbertine? Ohne dass er einmal weiß, welchen Auftrag sie mir für ihn mitgegeben hat? Ob ich ihn ihm noch mitteile? Ich sähe klar!«

      Er tat es doch nicht.

      »Sie werden in einer halben Stunde hier sein«, sagte er. »Treffen wir die Anstalten zur Abreise.«

      Sie trafen die Anstalten zur Abreise.

      Nach einer halben Stunde kam der Wagen des Generals.

      Als man den Postillion blasen hörte, trat Mahlberg an das Bett der Kranken.

      Sie schlief noch immer. Ihr Schlaf war ein ruhiger.

      Die Ruhe, der neue, bequemere Verband hatten ihr wohlgetan.

      Mahlberg küsste die Schlafende auf die Stirn. Es war nur ein leiser Hauch.

      Sie erwachte dennoch.

      Ihr mattes Auge sah ihn so glücklich an.

      »Du bist in Sicherheit, Agathe, und ich darf Dich verlassen, um auch für mich ein Asyl zu suchen. Gisbert wird mich begleiten.«

      Ein seliges Lächeln verklärte ihr Gesicht.

      Er küsste sie noch einmal.

      Er verließ mit Gisbert das Zimmer.

      »An der Grenze sehen wir Dich, Onkel Florens.« sagte Gisbert noch zu dem Domherrn.

      »Gut.«

      Zwei Minuten nach ihrer Entfernung trat Gisbertine in das Zimmer.

      Die Kranke war wieder eingeschlummert.

      »Der