Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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ihr verwundert und kopfschüttelnd nach und fuhr dann fort, in seiner Zeitung zu lesen.

      Er wurde darin durch den Grafen Westernitz unterbrochen.

      »Darf ich eintreten?« hatte der Graf. an der Tür gefragt.

      »Ich bitte, lieber Graf. Gisbertine wird sogleich hier sein.«

      Der General teilte auch dem Grafen den Artikel über die Flucht aus dem Köpenicker Schlosse mit. Es war ein Ereignis für den alten Soldaten.

      »Ja, Herr Graf, wir leben in einer schlimmen Zeit. Und wer hätte je gedacht, dass die Freiheitskriege solche Früchte bringen würden? Da war alles nur voll Hass gegen die Franzosen, voll Liebe und Begeisterung für den König. Welch ein Umschlag in den wenigen Jahren! Diese Demagogen predigen den Umsturz, die Republik, und das Volk hört ihnen mit Wohlgefallen zu, nimmt ihre verderblichen Lehren auf, hat einen nur zu empfänglichen Boden für sie. Und dieser schlechte. Geist fängt sogar an, sich der Armee mitzuteilen. Der alte Gehorsam ist nicht mehr da, weil — weil — Und da liegt der eigentliche Grund des Übels, lieber Graf. Die Landwehr! Die Landwehr! Der Korporalstock, die Fuchtel dürfen da nicht mehr regieren. Der Landwehrmann ist Soldat nur nebenbei, der gemeine Mann wie seine Unter- und Oberoffiziere. Vom Exerzierplatze kehren sie morgen alle zusammen nach Hause zurück, zu ihren bürgerlichen Beschäftigungen. Da ist der gemeine Soldat wieder der reiche Bauernsohn und sein Korporal ist wieder sein Knecht; wie darf der Korporal heute dem Soldaten in Reih’ und Glied nur ein Wort sagen oder nur einen schiefen Blick zuwerfen? Und so ist der Arbeitsherr heute der Gemeine in der Korporalschaft seines Arbeiters, und der Gerichtsdirektor oder Regierungsrat ist Lieutenant in der Kompanie seines Sekretärs, und so geht es fort durch alle Stände und durch die ganze Landwehr. Ist das ein gesunder Zustand, lieber Graf? Kann man da an Fuchtel und Stock und also an Gehorsam nur denken? Und solches Unwesen teilt sich nur zu notwendig der Linie mit. Darf in der Landwehr nicht mehr geschlagen werden, so darf es natürlich auch in der Linie nicht mehr geschehen, und so verschwindet aus der ganzen Armee der Gehorsam, die Zucht und die alte gute militärische Sitte. Preußen ist aber ein Armeestaat und muss es sein, und wenn in Preußen die Armee demoralisiert ist, so geht der ganze Staat zugrunde.

      Ja, lieber Graf, das Herz will mir zerspringen, wenn ich an die gute alte Zeit zurückdenke, wie ich da als junger Kapitän vor meiner Kompanie stand, wie Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere zitterten, wenn ich nur die Augenbrauen aufzog —«

      Der General wurde in seiner Jeremiade unterbrochen.

      Gisbertine kehrte in das Zimmer zurück.

      Sie hatte ihre Toilette gemacht für die Promenade an dem schönen, warmen Sommerabend.

      Die leichten, feinen Stoffe schmiegten sich so leicht und zart an ihren Körper an. Und Gisbertine hatte so schöne Formen!

      Der Graf hing mit trunkenen Blicken an ihr.

      Der General musste wieder den Kopf schütteln, aber er sagte nichts.

      »Werden wir unsere Promenade noch machen?« fragte Gisbertine den Grafen.

      »Wenn Sie mir das Glück noch schenken wollen.«

      »Aber wir werden die Sonne nicht mehr sehen.«

      »Hätte ich sie sehen können?«

      Ein zärtlicher Blick des jungen Grafen deutete der Dame den Sinn seiner Frage.

      »Wirst Du uns begleiten, Onkel?« fragte Gisbertine den General.

      Der alte Herr lag so bequem im Sofa; er hatte schon einige Mal seinem lahmen Beine eine andere Lage geben müssen, als wenn es von der Reise ermüdet sei, ihn gar schmerze; aber er warf wieder einen Blick auf Gisbertine und den Grafen, und Gisbertinens Frage hatte gelautet, als solle er zu Hause bleiben. Der Onkel schien es diesmal mit der Nichte aufnehmen zu wollen.

      Er erhob sich, nahm seinen Hut.

      »Gehen wir.«

      Gisbertinens Gesicht nahm für einen Augenblick den Ausdruck eines kleinen Verdrusses an; ein Plan schien ihr durchkreuzt zu werden; dann umspielte ein leiser, höhnischer Trotz ihren schönen Mund.

      Sie gingen.

      Der Graf führte die junge Dame den Korridor, die Treppe hinunter.

      »Sie sind bezaubernd schön, gnädige Frau!« flüsterte er in ihr Ohr.

      Ein glückliches Lächeln dankte ihm.

      Galt es ihm? Galt es dem Triumphe ihrer Schönheit? Galt es dem Plane, den sie hatte?

      Als sie den Gasthof verlassen hatten, draußen auf der Straße waren, zog sie ihren Arm aus dem des Grafen.

      »Lieber Onkel, erlaubst Du, dass ich Dich führe? Ich sehe Dich ermüdet.«

      Sie nahm den Arm des Generals.

      Der Graf konnte nebenher gehen.

      Sie ging stolz und triumphierend an dem Arme des Invaliden.

      Der General sah sie verwundert an.

      Die Launen eines Weibes sind unergründlich, schien er sich zu sagen.

      Der Graf Westernitz mochte etwas Ähnliches denken.

      Gisbertinens Augen durchflogen suchend die lange Weender Straße.

      Sie kamen an die frühere Wohnung Gisbertinens, an die gegenüberliegende ehemalige Wohnung Gisberts.

      Zu der letzteren richtete die junge Dame die Blicke hinauf.

      Die Fenster waren hell.

      Gisbertine zuckte leise am Arme des Generals auf.

      Der General wollte sie darauf ansehen.

      Aus der Tür des Hauses trat jemand, gerade als ob er auf die Vorübergehenden gewartet habe, um ihnen zu begegnen.

      Er sprach dennoch im Tone der Überraschung.

      »Ah, guten Abend, Vetter Steinau! Sie hier?«

      Der General war wirklich überrascht.

      »Potz Wetter, Vetter Aschen, wo kommen Sie denn her?«

      Er erhielt keine Antwort.

      Auch Gisbertine war ohne Verstellung überrascht.

      »Onkel Florens, Du hier?«

      Und dann hatte sie eine Bosheit.

      »Auch Du hier, Onkel Florens?« setzte sie hinzu.

      Der Domherr erwiderte kalt uns schweigend eine stumme Verbeugung des Grafen Westernitz.

      Dann sagte er in seiner kurzen Weise.

      »Erlauben Sie, Vetter Steinau.«

      Und damit hatte er den Arm Gisbertinens genommen.

      »Sie machen eine Promenade?« fragte er noch den General.

      »Ja.«

      »So erlauben Sie, dass ich Sie begleite.«

      Er blieb mit Gisbertinen ein paar Schritte zurück.

      Der Graf Westernitz trat zu dem General.

      So gingen sie weiter.

      »Gisbert ist hier, Gisbertine«, sagte der Domherr zu seiner Nichte.

      »Ich weiß es.«

      »Du sahst ihn?«

      »Am Gasthofe vorbeigehen.«

      »Er weiß auch, dass Du hier bist.«

      »Ich zweifle nicht daran. Wäre er nicht mein Mann, ich würde sagen, er scheint sich lächerlich machen zu wollen, indem er wie ein verliebter Seladon auf Schritt und Tritt mich verfolgt. Es war schon die letzten Tage in Berlin so.«

      »Hm, Gisbertine, was ist es, das Dich so bitter gegen Deinen Mann sprechen lässt?«

      »Eben