Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Paar Rudern versehen. Der Diener löste ihn.

      »Wir müssen warten, bis es elf schlägt«, sagte der Bediente.

      Wenige Minuten später schlug eine Uhr jenseits des Flusses elf.

      Es war die Turmuhr des Köpenicker Schlosses.

      »Jetzt.« sagte der Bediente.

      Er setzte sich an das eine Ruderpaar, Bernhard an das andere. Sie ruderten den Nachen in den Fluss hinein. Sie waren nach fünf Minuten an dem andern Ufer. In einer kleinen Bucht legten sie den Nachen an.

      Der Bediente stieg an das Land, um sich zu überzeugen, ob sie an der rechten Stelle seien. Er kam zurück mit der Nachricht, dass es so sei.

      »Setzen wir uns wieder an die Ruder«, sagte er zu Bernhard. »Es werden drei kommen. In dem. Moment, da der letzte im Fahrzeuge ist, müssen die Ruder wieder arbeiten. Sind wir in fünf Minuten herübergekommen, müssen wir in dreien zurück!«

      Dann warteten sie.

      Es blieb dunkel und still rund um sie her. Kein Licht, kein Geräusch war auf dem Wasser, an den beiden Ufern, in weiterer Ferne.

      Die Frau Mahler saß auf einer Bank in der Mitte des kleinen Kahns. Ihr Ohr mochte die Stille durchdringen, ihr Auge das Dunkel durchbohren wollen. Sie strengte die Sinne vergebens an. Das Schlagen ihres Herzens hörte sie vielleicht. Den Regen, der auf sie niederfiel, den der Wind auf dem Wasser ihr in das Gesicht trieb, fühlte sie nicht.

      »Was wird er sagen, wenn er mich sieht, wenn er mich erkennt? Mein Gott, mein Gott, wenn er zurück wollte, wenn er sich lieber in den Strom stürzte, als mir seine Freiheit verdanken zu müssen? Und wenn er mich nicht erkennen will? Wenn er sich dorthin setzte, von mir ab, am andern Ufer seinen Weg allein fortsetzte! — Warum ging ich mit? Warum ließ ich nicht den Bedienten mit Bernhard allein den Nachen besteigen? Er sollte ein bekanntes Gesicht sehen, ein Herz finden, das ihm gehörte.«

      Was war das? Eilige Schritte?

      Eilige Schritte nahten dem Ufer.

      Ein Kämpfen, ein Ringen, ein Rufen wurde laut.

      »Lassen Sie mich, retten Sie sich«, rief eine Stimme.

      Die Frau sprang auf.

      »Herr des Himmels, war das seine Stimme?«

      Schüsse fielen.

      »Rette Dich, rette Dich!« rief eine andere Stimme.

      »Lass’ mich, rette nur Dich.«

      »Ich sterbe mit Dir, Franz!«

      »Das!« rief die Frau. »Das war er!«

      Und er kam nicht näher. Und er war so nahe bei ihr. Er wollte den Freund nicht verlassen.

      Todesangst ergriff sie.

      Sie war aus dem Kahne gesprungen. Sie eilte zu den beiden. Sie hatte die Hand ihres Gatten ergriffen. Sie zog ihn mit sich fort. Er wollte ihr widerstreben.

      Er folgte ihr wie ein Betäubter.

      Sie war mit ihm im Nachen.

      Der Nachen schoss unter fast wilden Ruderschlägen der Mitte des Flusses zu.

      »Gisbert, ich habe Franz Horst gemordet!« rief Mahlberg.

      Er hatte ihre Hand ergriffen.

      »Der Freund steht in Gottes Hand!« sagte tröstend die Frau.

      Er stieß ihre Hand zurück, er taumelte von ihr.

      Am Ufer erhob sich wildes Geschrei der Verfolgenden; wieder fielen Schüsse. Mahlberg hörte sie nicht.

      Auch die Frau nicht.

      »Setzen Sie sich nieder, die Kugeln treffen Sie sonst!« rief ihnen der Bediente zu.

      »Setze Dich! Setze Dich!« beschwor da die Frau den Gatten.

      Er hörte sie nicht.

      Neue Schüsse fielen am Ufer.

      Die Frau sprang empor und stellte sich vor den Gatten.

      Es wurde wieder geschossen.

      »Setze Dich!« wollte sie noch einmal rufen.

      Die Stimme erstarb ihr.

      Sie schwankte.

      »Ah!« rief sie.

      Er fing sie auf.

      Als er sie anfasste, fühlte er ihr warmes Blut.

      »Agathe, Agathe! Du stirbst!«

      »Für Dich, mein Hermann!«

       Vierter Teil

       Inhaltsverzeichnis

       Erstes Kapitel.

       Der Domherr unter den Zöllnern.

       Inhaltsverzeichnis

      Deutschland hat viele freundliche Universitätsstädte.

      Die Musen suchen nicht immer die dunklen, engen Studienstuben und die trüben Öllampen alter und jungalter Gelehrten auf. Es gibt nur ein Heidelberg, sagt der deutsche Student, wie der Österreicher sagt: es gibt nur eine Kaiserstadt, es gibt nur ein Wien. Berlin bildet sich jetzt ein, die einzige Weltstadt geworden zu sein.

      Eine sehr freundliche und zugleich sehr pedantische Universitätsstadt ist Göttingen.

      Es ist unter den Universitätsstädten, was Berlin unter den Weltstädten sein wird, wenn es eine wird.

      An einem warmen Juliabend fuhr ein mit Extrapostpferden bespannter, bequemer und eleganter Reisewagen an dem Gasthofe zum König von England in Göttingen vor. Er war verschlossen. die Fenster waren mit weißem Chausseestaub bedeckt; darum waren sie auch wohl so fest verschlossen. In einem offenen Coupé hinten am Wagen saßen ein Kammerdiener und eine Kammerfrau; der Staub der Chaussee hatte beide weiß gepudert.

      Im Gasthofe wurde die große Hausglocke geläutet.

      Kellner und Hausknechte stürzten aus dem Hause.

      In dem offenen Coupé hatten sich dessen beide Insassen erhoben. Die Kammerfrau schüttelte den weißen Staub von sich. Der Kammerdiener hatte nur einen Staubmantel abzuwischen, mit einem Tuche über das Gesicht zu fahren. Er war früher fertig als die Frau. Er sprang aus dem Coupé an den Wagenschlag, ihn zu öffnen.

      Aber ein anderer war ihm schon zuvorgekommen.

      Mit den Kellnern und Hausknechten war ein junger Mann aus dem Hotel geeilt; er hatte mich ihnen den Vorsprung abzugewinnen gesucht und abgewonnen.

      Es war ein hübscher junger Mann von vornehmem, aristokratischem, militärisch-aristokratischem Aussehen. Orden zierten seine Brust; es·waren militärische Orden, Zeugen eines Mitkämpfens in den Freiheitskriegen oder doch irgendeiner Teilnahme an ihnen.

      Er öffnete den Wagenschlag.

      »Ei, schon da, lieber Graf? Das ist reizend von Ihnen.«

      Eine jugendliche Frauenstimme rief es ihm freundlich entgegen.

      Eine schöne junge Frau erhob sich im Wagen, entstieg ihm, gestützt an die Hand des jungen Grafen.

      »Untertänigster, Exzellenz!« rief der Graf unterdes in den Wagen hinein.

      »Gehorsamer Diener, Herr Graf Westernitz«, antwortete eine alte Soldatenstimme.

      Der Graf Westernitz gab der jungen Dame seinen Arm und führte sie in den Gasthof.

      Von dem Kammerdiener unterstützt,