Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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noch heute seine Akten genau durchgelesen und mich überzeugt, dass seine längere Haft nicht gerechtfertigt erscheint. Ich stand gerade im Begriff, ihn vorführen zu lassen, um ihm seine Entlassung bekannt zu machen. — Gefangenenwärter, führen Sie den Herrn Domherrn zu dem Gefangenen von Aschen; die beiden Herren können allein mit einander sprechen.’

      ‘Ein gewandter Bursche!’ musste ich bei mir denken.

      Der Gefangenenwärter führte mich zu Gisbert und ließ uns allein.

      ‘Gisbert, Du bist frei.’

      ‘Was sagst Du, Onkel?’

      ‘Ich komme vom Kriminalrat, um Dir zu sagen, dass er Dich noch heute entlassen wird.’

      ‘Aber wie geht das zu, Onkel?’

      ‘Gisbertine ist Deine Befreierin.’

      ‘Und sie ist nicht selbst hier?’

      ‘Nein! Sie stellt Dir auch eine Bedingung.’

      ‘Welche?’

      ‘Du sollst Dein Ehrenwort geben, dass Du sie nicht wieder aufsuchen, nicht weiter verfolgen, ihr nicht einmal danken willst.’

      ‘Aber, Onkel Florens, ich verstehe Dich nicht.’

      ‘Meine Worte waren deutlich und sie waren die Worte Gisbertinens.’

      ‘Ich gebe das Ehrenwort nicht, nie.’

      ‘Hm, frei würdest Du ohnehin; der Kriminalrat kann nicht zurück, er war zu höflich gegen mich. Aber ich habe Gisbertinen mein Wort dafür verpfändet, dass Du Dein Ehrenwort geben würdest.’

      ‘Onkel, wie konntest Du das tun?’

      ‘Weil sie meinte, es sei zu Eurer beiderseitigen Ruhe nötig, und weil ich meinte, Du würdest unter solchen Umständen bis an das Ende der Welt nicht nach ihr, aber vor ihr laufen.’

      ‘Onkel Florens, ich bleibe in meinem Kerker.’

      ‘Vetter Gisbert, Du bist doch der größte Narr, den ich kenne.’

      ‘Ich liebe Gisbertine, Onkel.’

      ‘Und sie liebt Dich. Und darum sprechen wir ernsthaft. Liebtet Ihr Euch nicht, so würde ich Dir einfach sagen: lass’ sie laufen mit all ihrem Eigensinn, mit allen ihren Launen, schlage sie Dir aus den Gedanken. So aber geht das nicht. Und es kommt also darauf an, ihre Launen und ihren Eigensinn zu brechen. Das wird einmal geschehen, aber es muss, wie bei allen eigensinnigen Personen, aus ihr selbst herauskommen. Was Du dazu tust, ist von Übel. Jedes Entgegenkommen von Deiner Seite macht sie verkehrter, halsstarriger, widerspenstiger. Überlass’ sie ganz sich selbst; das wird am ersten sie wieder zu Dir führen.’

      ‘Und wann wird das werden Onkel?’

      ‘Wenn Du aus kindischem Trotze gegen sie hier in der Haft bleiben wirst, in langer Zeit noch nicht.’

      Er besann sich, gab sein Ehrenwort und wurde frei.

      Und nun, Frau Mahler, kommen wir auf Ihren Mann zurück.

      Der Kriminalrat hatte eigentlich nur um seinetwillen Gisbert inquiriert. Weiter hatte aber Gisbert in seiner Haft nichts über ihn erfahren. In der Freiheit bewegt man sich eben freier. Wir erfuhren jetzt mehr von ihm, aber auch, dass wenigstens vor der Hand nichts für ihn zu tun sei. Er saß sicher verwahrt, wie kein anderer Gefangener; die zuverlässigsten Wärter umgaben ihn. Nicht einmal eine Nachricht konnte zu ihm dringen. Er musste umso mehr befreit werden. Er durfte nicht das Opfer der Untersuchung werden, der man ihn unterworfen hatte, weder durch eine Verurteilung, die man so leicht gegen Unschuldige herbeiführen kann, noch auch nur durch einen endlosen Untersuchungsarrest. Aber wir mussten unsere Befreiungsversuche bis zu einer günstigen Gelegenheit aufschieben. Sie fand sich. Ich konnte nicht immer in Berlin sein. Gisbert blieb da. Er stellte fest, dass Mahlberg nach Köpenick gebracht sei. In dem Schlosse zu Köpenick war ein Hilfsgefängnis für die Demagogenuntersuchung eingerichtet. Aus der Hausvogtei wurden diejenigen Gefangenen hingebracht, deren der Kriminalrat für einige Zeit nicht bedurfte. Mahlberg war auch dort im strengsten Gewahrsam; erst als er schon mehrere Monate da war, erfuhr Gisbert von ihm. Und jetzt konnte an einen Befreiungsplan gedacht werden. Gisbert ermittelte in dem Köpenicker Schlosse einen Gefangenenwärter, der in seiner Kompanie als Unteroffizier gedient hatte, Beermann heißt er. Er kannte den Mann als brav. Er gewann ihn für Mahlbergs Befreiung.

      Zugleich für eine zweite.

      Franz Horst, die liebenswürdige, mutige, arg- und sorglose Jugend selbst, auch er hatte dem Schicksale der Demagogenuntersuchung nicht entgehen können. Gisbert brachte in Erfahrung, dass auch Horst in nächster Zeit nach Köpenick werde geführt werden. Mahlberg und Horst sollten zusammen aus ihrer Haft befreit werden. Sie sollen es. Am nächsten Sonnabend, in der Nacht, zwischen elf und zwölf Uhr. Alles ist vorbereitet. Nur Sie fehlen noch, Madame!«

      »Ich, Herr Domherr?« rief die Frau Mahler.

      »Hm, Madame, geschieden wollten Sie von Ihrem Manne nicht werden.«

      »Es war nicht möglich.«

      »Als Magd, als Sklavin konnten Sie auch nicht zu ihm zurückkehren!«

      »Sie stellten es mir um meines Mannes willen als unmöglich vor.«

      »Und ich hatte Recht. Und als ich es Ihnen gesagt hatte, setzte ich hinzu, es werde einmal seine große Erhebung über Sie kommen; dann gelte es für Sie, Mut und Kraft zum Handeln zu haben. Madame, die Zeit zum Handeln ist jetzt da.«

      »Und« — erhob die Frau sich —. »ich habe den Mut, Gott wird mir die Kraft geben.«

      »Das wolle er! So hören Sie noch einige Worte. Sie reisen noch heute Abend von hier ab, über Hofgeismar. Dort nehmen Sie Extrapost. Die preußische Grenze berühren Sie erst wieder jenseits Leipzig; man achtet dann in Preußen umso weniger auf Sie. Von der Grenze an bestellen Sie auf jeder Station sofort die Extrapostpferde für Ihre Rückkehr. Einen Vorwand für Ihre Eile werden Sie schon finden. Auf der letzten Station vor Berlin fahren Sie rechts ab nach Köpenick hin. Eine Viertelstunde von der Spree lassen Sie den Wagen halten. Mit dem Glockenschlage elf in der Nacht zum Sonntag sind Sie an dem Spreeufer hinter dem Köpenicker Schlosse. Sie finden an dem Ufer einen Nachen angebunden. Sie fahren in ihm zum Schlossgarten. Sie werden dort nur wenige Minuten zu warten haben. Die Gefangenen werden zu Ihnen einsteigen. Über das weitere habe ich Ihnen nichts zu sagen.

      Noch ein anderes aber. Ich kann Sie nicht begleiten; mich halten dringende· Geschäfte zurück. Gisbert hat gleichfalls keine Zeit; hätte er sie aber auch, das Werk der Befreiung Ihres Mannes muss von Ihnen allein ausgeführt werden, und ich denke, Sie werden keine Komödie darin finden.

      Sie müssen indes irgendeine Begleitung mit sich nehmen. Wen würden Sie wählen?«

      »Bernhard«, sagte die Frau.

      »Auch ich hatte an ihn gedacht. Er ist gewandt, anstellig, mutig. — Und nun treffen Sie sofort Ihre Reiseanstalten. Hier ist das Reisegeld. Einen Reisewagen erhalten Sie von dem Postmeister in Hofgeismar; er ist schon bestellt. Gott geleite Sie.«

      Eine Stunde später war die Frau Mahler mit Bernhard auf dem Wege nach Berlin, eigentlich nach Köpenick bei Berlin.

      Zu Hofgeismar fand sie einen bequemen Wagen, in dem sie mit Extrapostpferden weiterfuhr. Sie reisten nach der Anweisung des Domherrn.

      Der gewandte Bernhard war ihr mehr als Bedienter, er besorgte auf der Reise alles für sie; sie hatte sich um nichts zu kümmern. Sie hätte es auch kaum vermocht, das Herz war ihr voll Furcht und Angst.

      Wird die Befreiung gelingen?

      Und welche entsetzliche Angst knüpfte sich, dann weiter an das Gelingen wie an das Nichtgelingen!

      »Wird die Befreiung nicht eine noch weitere Kluft zwischen uns reißen? Wird er nur von mir befreit sein wollen? Wird er nicht vorziehen, in seinen Kerker zurückzukehren, wenn er mich erkennt?« —

      Sie erreichte die letzte Poststation vor Berlin, das Dorf Großbeeren. Die Postverbindung