Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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sich Orden und Ehrenzeichen erworben. Auf der Universität war er nur ein Fuchs, und Knüppel, der schon fünf, beinahe sechs Semester akademischer Zeit hinter sich hatte, stand als ‚bemoostes Haupt‘ unendlich hoch über ihm.

      Franz Horst musste das anerkennen, wenn er nicht sofort den Skandal haben wollte, den Rurik befürchtet hatte.

      »Als Dein Fuchs, Knüppel!« sagte er. »Um Dir zur Hand zu sein und es Dir bequem zu machen.«

      »Das lässt sich hören, Fuchs. Du scheinst zu den vernünftigen Füchsen zu gehören. So werde ich es mir denn hier bequem machen.«

      Er wollte seinen Rock aus- und dafür den geblümten Schlafrock des Verwundeten anziehen.

      Er sah sich vorher um.

      »Aber zum Teufel, ich sehe hier nichts zu trinken. Verdursten darf der Mensch nicht.«

      »Was soll ich Dir holen, Knüppel?«

      »Wein! Was sonst? Lebt der Mensch von Wasser? Und höre, Fuchs, guten! Verstehst Du Dich auf alten Franzwein?«

      »Ich bin noch zu jung, Knüppel.«

      »Das sieht man«, sagte Knüppel mit großer Verachtung.

      »Wäre es daher nicht besser«, fragte Horst, »wenn Du selbst den Wein holtest? Dich betrügen sie nicht. Hier ist Geld. Und in der Michaelskneipe, fünf Häuser von hier, soll guter Wein sein.«

      »Du bist wahrhaftig ein vernünftiger Fuchs«, meinte Knüppel.

      Er nahm das Geld und ging.

      »Er wird nicht wiederkommen«, sagte Horst zu dem Verwundeten. »Sie halten ihn in der Kneipe. Ich hatte es mit Rurik verabredet.«

      Dann nahm Horst die Hand des Freundes.

      »Endlich können wir miteinander sprechen.«

      »Und Du willst mir Vorwürfe machen, Franz?«

      »Später, Gisbert! Doch nein, nie! Wenn es auch Torheit war, Dich mit jenem Menschen zu schlagen, es war eine Torheit des bravsten, edelsten Herzens, und man muss Dich umso mehr lieben Das nur wollte ich Dir sagen, und nun schlafe, Du lieber Freund.«

      Aber der Freiherr konnte noch nicht schlafen.

      Gretchen stand am Fußende des Bettes, bescheiden sich zurückhaltend.

      Er hatte auch mit ihr noch nicht sprechen können.

      »Gretchen!« rief er sie zu sich.

      Sie kam mit dem blassen und demütigen Gesichte zu ihm.

      Er nahm seine Hand aus der des Freundes und gab sie dem Mädchen.

      »Und Du, mein liebes Gretchen, bist auch Du mir nicht böse? Ich werde Dir nun so viele Sorge machen.«

      »O lieber Herr Baron —«

      Sie konnte nicht mehr sagen. Sie bedeckte das weinende Gesicht mit der Schürze. Dann riss sie sich von ihm los.

      »Ich muss Ihnen Limonade bereiten, befahl mir der Doktor«, sagte sie doch noch.

      »Und nun schlafe, Gisbert«, sagte Horst noch einmal.

      Aber der Freiherr konnte es auch jetzt nicht.

      »Setze Dich ans Bett, Franz. Ich habe notwendig mit Dir zu sprechen.«

      »Der Doktor gebot Dir die vollste Ruhe.«

      »Eben damit ich ganz ruhig sein kann, muss ich mit Dir reden.«

      »So rede, Gisbert.«

      »Ich habe Dir ein Geheimnis anzuvertrauen, Franz. Ich bin verheiratet.«

      »O, o!« musste Franz Horst rufen.

      »Für den Fall, dass ich sollte sterben müssen«, fuhr der Verwundete fort, »habe ich nun eine Bitte an Dich.«

      »Wie kannst Du an Sterben denken, Gisbert? Der Arzt fand nicht die geringste Gefahr.«

      »Ich fühle mich so besonders schwach, und an den Tod darf man schon immer denken. Aber zu meiner Bitte. Meine Frau liebt mich und ich liebe sie. Wir haben es dennoch kaum anderthalb Jahr als Eheleute miteinander aushalten können. Warum, wirst Du schon später erfahren. Sollte ich nun sterben, so suche meine Frau auf und sage ihr, dass ich sie bis zu dem letzten Augenblicke meines Lebens geliebt habe, dass ich ihr nie·böse gewesen bin, dass ich ihr alles verziehen habe, und dass ich sie bitte, sie möge mir alles verzeihen.

      Sage ihr dabei, mein Testament werde ihr der Onkel Florens bringen, aber er werde in seiner Liebe zu mir ihr schwere Vorwürfe machen wollen; sie solle sich die nicht zu sehr zu Herzen nehmen; gerade darum schickte ich Dich zu ihr. Und nun werde ich schlafen.«

      »Wo ist Deine Frau?« musste Franz noch fragen.

      »Du wirst es vom Onkel Florens erfahren.«

      »Und wo ist Dein Onkel Florens?«

      »Hier! Gute Nacht, Franz!«

      Er schloss die Augen.

      Sie mochten ihm matt und müde genug sein. Die Operation des Aufbindens und Unterbindens der durchschnittenen großen Arterie hatte lange gedauert; der Verwundete hatte dabei viel Blut verloren.

      Franz Horst fragte ihn nicht weiter.

      Er schüttelte nur still den Kopf und setzte sich dem Bette gegenüber in einen Lehnsessel.

      »Sonderbare Menschen!« sagte er da für sich. »Auch der Onkel Florens soll ein Sonderling sein. Aber brav sind sie alle! Und mit dem Sterben wird es Zeit haben. Und morgen früh —«

      Er dachte in der Stille des Krankenzimmers still weiter nach.

      Gretchen trat mit der Limonade ein.

      Sie wagte kaum den Boden zu berühren.

      »Er schläft?« fragte sie.

      »Er schläft. Gehen auch Sie schlafen, Gretchen Ich bin hier genug.«

      Sie wollte nicht.

      »So legen Sie sich in dem vorderen Zimmer auf das Sofa. Sie haben es wahrhaftig nötig. Sie sehen ja elender aus als der Kranke.«

      Ein schwerer Seufzer des Mädchens antwortete ihm.

      »Aber wenn etwas vorfällt, wecken Sie mich sogleich, Herr Horst.«

      »Ja, Gretchen.«

      Damit ging sie in das vordere Zimmer.

      Es war zehn Uhr geworden. Die Stunde war verflossen, nach deren Ablauf der Arzt hatte wiederkommen wollen.

      Der Verwundete war eingeschlafen. Aber sein Schlummer wurde ein unruhiger. Er warf den Kopf hin und her. Wenn er auch noch die Schultern bewegte, so konnte der Verband sich lösen. Mit der linken Schulter zuckte er schon. Franz Horst legte ihm leise seine Hand darauf. Das war wohl gefehlt. Der Verwundete fühlte in seinem Halbschlaf nur einen neuen Druck, dessen er sich entledigen musste. Er versuchte es durch einen heftigen Ruck.

      »Schlaf, Gisbert!« suchte Horst ihn zu beruhigen.

      Der Kranke fuhr auf, wie aus einem ängstlichen Traume.

      »Liege ruhig, lieber Gisbert.«

      Der Kranke erkannte die Stimme.

      »Ah Du, Franz!«

      Er lag ruhig.

      Aber Franz Horst kam es vor, als wenn durch den Ruck und das Auffahren der Verband sich verschoben habe. Er sah näher hin. Er entdeckte Blut, frisches Blut. Der Verband musste gelockert sein; vielleicht war es noch schlimmer.

      Horst erschrak. Einen Augenblick horchte er, ob der Arzt noch immer nicht komme.

      Er hörte nichts.

      Dann war schnell sein Entschluss gefasst. Ohne schleunige Hilfe konnte, musste der Verwundete verbluten.

      Er ging in das vordere Zimmer.

      Gretchen