Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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fünf Minuten bin ich wieder da.«

      Das Mädchen erschrak wie er.

      »Was ist es, Herr Horst?«

      »Hoffentlich nichts. Sorgen Sie nur, dass er sich nicht rührt. Unter keinen Umständen.«

      Er eilte fort.

      Gretchen ging zu dem Kranken. Er schlief, und wieder ruhiger. Sie setzte sich an sein Bett. Sie überwachte mit dem angst- und hoffnungsvollen hübschen Gesicht seinen Schlaf.

      In dem vorderen Zimmer öffnete sich die Tür, vernahm man einen Schritt.

      »Der Herr Horst schon zurück?« dachte Gretchen.

      Aber es war nicht der Schritt eines Mannes.

      »Meine Mutter! Sie will sehen, wie es hier steht.«

      Aber es war auch nicht die Mutter.

      Die nur angelehnte Tür des Krankenzimmers wurde geöffnet.

      Eine schwarze Maske schaute in das Zimmer.

      Als sie nur das Mädchen bei dem Kranken sah, trat sie ganz hinein.

      Hatte die schwarze Maske gegenüber den ganzen Abend an ihrem Fenster gelauscht und beobachtet, bis der letzte der Begleiter des Freiherrn, die sie bei ihm wusste, gegangen war?

      »Er schläft!« flüsterte ihr Gretchen bittend entgegen.

      Die schöne, feine Gestalt der schwarzen Maske schlich auf den Fußspitzen näher.

      »Er ist verwundet?« fragte sie das Mädchen.

      »Wie Sie sehen.«

      »Schwer?«

      Gretchen stand auf, ging in eine Ecke des Zimmers und winkte der Dame, ihr zu folgen.

      Die Maske folgte ihr.

      Und dort, wo der Kranke auch ihr leisestes Flüstern nicht mehr hören konnte, sagte das brave Mädchen mit ihrer leisesten Stimme zu der Dame:

      »Er soll sehr gefährlich verwundet sein. Die große Pulsader unter dem Arm ist ihm durchgehauen. Die Herren waren alle besorgt für sein Leben. So eben wird der Arzt gerufen.«

      »O mein Gott!« rief die Dame.

      Sie rang die Hände. Sie wollte durch das Gemach eilen. Sie besann sich, dass sie kein Geräusch machen dürfe. Sie musste sich in anderer Weise Luft machen.

      Sie riss die schwarze Maske vom Gesicht.

      Gisbertine, Freiin und Freifrau von Aschen, stand in ihrer vollen Schönheit da.

      Das Gesicht zeigte die Furcht, die Angst, die Sorge, den Schmerz, die Vorwürfe, die ihr Inneres zu verzehren drohten. Sie konnten seine vornehme, so echt aristokratische, blendende Schönheit nicht verwischen.

      Gretchen, die hübsche Aufwärterin, stand bestürzt vor ihr. Ein scharfer Stachel hatte sich ihr wohl tief in das junge Herz gebohrt. Sie blieb wie festgebannt in dem dunklen Winkel des Zimmers stehen, als wenn sie einer solchen Schönheit gegenüber nicht mehr an das Licht hervortreten dürfe, als wenn ein Gefühl der Vernichtung über sie gekommen sei.

      Gisbertine setzte sich an das Bett des Kranken. Sie nahm Gretchens Platz ein.

      Gretchen wehrte es ihr nicht.

      »Sie muss ja ein Recht dazu haben«, sagte sie sich.

      Aber dann musste sie sich doch fragen: »Wer ist sie denn, dass sie ein Recht dazu hat?«

      Gisbertine beugte sich mit dem schmerzvollen Gesichte über den Kranken. Sie wollte ihre Lippen auf seine Stirn legen, nur hauchend. Sie wagte es nicht.

      Er schlief. Er hatte nichts von dem wahrgenommen, was geschehen war. Er schlief wieder ruhig.

      Gisbertine sah seinen ruhigen Schlummer. Da kam ihr ein anderer Gedanke. Sie sah sich nach dein Mädchen um. Sie hatte ihm etwas zu sagen.

      »Ich werde die Nacht hier bleiben, bei dem Kranken wachen. Wären Sie so gut, in meine Wohnung drüben zu gehen und es meiner Jungfer zu sagen? Sie weiß nicht, wo ich bin.«

      Sie sprach nicht stolz wie am Morgen; sie war freundlich gegen das Mädchen; ihr scharfes und erfahrenes Auge hatte ihr wohl in den paar Augenblicken das etwas leicht empfängliche, aber doch ganz unschuldige Herz des Kindes gezeigt.

      Gretchen ging gehorsam.

      Gisbertine sah wieder nach dem Kranken. Er schlief noch ruhig. Aber er lag so blass, so erschöpft da; man sah, wie der Blutverlust ihm alle seine Kräfte genommen hatte; es hätte ihr ängstlich werden müssen, hätte sie nicht seinen Atem gehört. Wie ganz anders mochte sein Aussehen gewesen sein, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte! Wie mochte er damals frisch, gesund, blühend gewesen sein! Und warum war er jetzt so ganz anders? Was hatte ihn, den Mann, der längst über die Studentenjahre und Studentenduelle hinaus war, ihren, Gisbertinens Gatten in dieses Leben und Treiben wieder hineingeworfen?

      Gisbertine starrte in schmerzlichem Nachdenken ans den Kranken.

      Sie überhörte in ihrem tiefen Schmerze fast, dass jemand die Treppe heraufkam und in das vordere Zimmer trat.

      Sie musste doch aufmerksam werden. Es war ein schwerer, ein so besonders schwerer Tritt. Die Aufwärterin war es nicht; die konnte auch noch nicht zurück sein. Gisbertine besann sich, dass das Mädchen gesagt hatte, der Arzt werde gerufen. Sie wollte nachsinnen, welche Stellung sie gegenüber dem Arzte einnehmen solle. Dass der Student von Aschen verheiratet sei, wusste hier niemand, konnte niemand ahnen. Aber der Schritt des Mannes in dem vorderen Zimmer war auch so schwerfällig, schien ein herumtappender, schwankender zu sein.

      Gisbertine wollte aufstehen, um zu sehen, wer es sei.

      Die Tür der Hinterstube wurde geöffnet. Sie wurde plötzlich und heftig aufgerissen.

      Ein Student stand darin, mit glühendem Gesichte, mit glotzenden Augen.

      Es war Knüppel, schwer betrunken.

      Gisbertine erschrak, als sie den fremden betrunkenen Menschen sah.

      Knüppel lachte.

      »Ah, ah, Schätzchen, also doch allein? Ohne Deine Mutter? Das ist brav! Hast wohl schon lange auf mich gewartet? Die Spitzbuben! Sie wollten mich nicht fortlassen! Wollten mich betrunken machen. Brachten mich dann nach Hause. Bah, die Esel! Ich war klüger als sie alle. Ich musste ja zu meinem Schätzchen kommen. Ich hatte es Dir versprochen, Kind!«

      Er war, während er sprach, auf Gisbertine zugeschwankt, die er durch die Weindünste, die ihm den Blick trübten, für Gretchen hielt.

      Gisbertine war in Todesangst.

      Sie mochte halb erraten, was es mit Knüppel war Es verminderte ihre Angst nicht.

      Knüppel wollte sie umarmen.

      Sollte sie sich ihm entziehen? Durch Zurückstoßen? Durch Flucht? Der Stoß konnte den Schwankenden niederwerfen, und wenn Knüppel fiel, so fiel er schwer, und sein Fall glich einem Donnerschlag. Ihre Flucht aber forderte den Menschen zu einer Hetzjagd auf.

      Und der Kranke schlief noch. Knüppel hatte in seiner Zärtlichkeit leise gesprochen.

      Sie fasste sich. Sie erhob sich in ihrem ganzen vornehmen Stolze.

      »Mein Herr! Machen Sie kein Geräusch! Der Verwundete schläft.«

      Knüppel erkannte seinen Irrtum.

      Aber Gisbertinen half es nicht.

      »Teufel, das ist ja nicht die Kleine! Wie viele Schätzchen hat der Aschen denn? Lassen Sie sich einmal besehen, Mamsellchen! Wahrhaftig, nicht übel. Geschmack hat er. Und Geld hat er ja auch! Nun, heute Nacht, mein schönes Kind —«

      Der Verwundete wurde unruhig. Er warf den Kopf auf die Seite. Knüppel hatte lauter gesprochen, zu laut.

      »Sie wecken ihn auf!« rief Gisbertine. »Schweigen Sie!«

      »Ah bah!«

      Der