Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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hatte sie frei gemacht.

      ‘Künftig soll ich wohl Deine Leibeigene sein?’ sagte ich zu Dir.

      ‘Gisbertine, ich werde Dein Sklave sein.’

      ‘Das ließe sich hören.’

      Wir durchstreiften dann zu Fuße den großen Park, hinter ihm die unendliche Heide.

      ‘Hier werden wir glücklich sein, Gisbertine!’ sagtest Du.

      ‘Wie das graue, dürre Heidenmoos?’ fragte ich Dich.

      Wir mussten uns nach acht Tagen trennen. Ich musste mit den Tanten in das Kassubenland zurück.

      Aber das Westfalenland wollte mir doch nicht wieder ans dem Sinn, und in meinem Herzen saß immer ein junger Mann neben mir, der so sicher und ruhig die wilden Pferde vor dem Wagen lenkte, und in grauen Heiden, die kein Ende nehmen wollten, lag ich auf weichem Heidekraut so warm und weich an seinem Herzen, und die Zeit wurde mir entsetzlich lang bis zur Hochzeit.

      Als dann aber der Hochzeitstag kam, da kam auch der alte Zorn wieder über mich.

      ‘Verkauft bin ich ihm! Seine Leibeigene soll ich werden!’

      ‘Gisbert, wir wollen die Güter teilen!’ empfing ich Dich.

      ‘Warum, Gisbertine?’

      ‘Weil ich mich nicht verkaufen lassen, weil ich Deine Frau nicht werden will.’

      ‘Es tut mir leid, Gisbertinchen, aber Du musst.’

      ‘Aber ich will nicht. Behalte sie ganz, diese Güter.’

      Du wurdest doch ernst.

      ‘Ist es Dein Ernst, Gisbertine?’

      ‘Ja!’

      ‘Würde es Dich unglücklich machen, wenn Du meine Frau werden müsstest?’

      ‘Ja!’

      ‘Gisbertine, dann behalte Du die Güter, Du allein. Ich werde schon durch die Welt kommen. Wenn ich großjährig werde, stelle ich Dir die Urkunde aus. Adieu!’

      Du wolltest gehen. Die Augen waren Dir nass geworden.

      Konnte ich Dich gehen lassen, Du edler Mann? Ich umschlang Dich mit beiden Armen. Heiße tränen stürzten mir aus den Augen.

      ‘Gisbert. Gisbert, mein einzig, mein ewig Geliebter!’

      Wir wurden Eheleute; wir wurden glückliche Eheleute. Wir zogen nach Westfalen. Die Aschenburg hatte vielleicht noch nie glücklichere Menschen gesehen. Sie sah sie sechs Monate lang, auch wohl nur drei, dann nicht mehr. Der einfältige Gedanke, verkauft zu sein, kam wieder über mich! Verkauft als seine Leibeigene! Warum hatten die französischen Gesetze die Leibeigenschaft seiner Bauern aufheben und warum hatte der Pfarrer bei der Trauung mir zurufen müssen: Und er soll Dein Herr sein? Und warum musste ich ihn trotz alledem lieben? Und warum brauchte er mich zu lieben? Er sollte es nicht; er sollte ja mein Herr sein, sagte die Bibel und der Pastor. Und darf der Herr seine Sklavin lieben und die Sklavin den Herrn? Das Slawenblut in mir kam hinzu, das halbe.

      Meine Tanten hatten es mir wohl oft gesagt, als ich noch ein kleines Kind war. Halb kassubisches, halb westfälisches Blut! Das hat sich nicht recht vermischen wollen; da ist keins zur Klärung und zur Ruhe gekommen; da gärt es fort und fort und schäumt und zischt gegeneinander, und bald ist die Kassubin oben und bald die Westfälin, und im Grunde kann sie daher nicht dafür, dass sie so ist, wie sie ist, bald ein kleiner Satan, bald wieder ein — Ich weiß nicht, ob sie das Wort Engel aussprachen; ich weiß nur, dass ich ein kleiner Satan schon immer war, und mehr, als ich es hätte sein sollen.

      Und ich wurde es auch Dir, Du armer Gisbert, und ich wurde und blieb es Dir immer mehr, je mehr Du mich liebtest und zu Deinem Engel machen wolltest, und je mehr ich Dich liebte und mir täglich gelobte, Dein Engel zu werden. Wenn Du fahren wolltest, dann wollte ich gehen, und wenn Du dann mit mir gehen wolltest, dann wollte ich reiten, und wolltest Du nun die Pferde satteln lassen, dann wollte ich fahren, aber ohne Dich.

      So machte ich Dir Dein Leben zur Hölle, und ich war der Teufel darin, der die schwersten Höllenqualen selbst fühlt. Und nichts half Dir, nicht. Deine Sanftmut, nicht Deine Geduld, nicht Dein Ernst, nicht Dein — nein, zornig warst Du nie, nicht einmal streng. Du gewannst eine durch nichts zu erschütternde Ruhe über Dich; sie wurde fast zum Phlegma. Und sie machte mich noch unglücklicher, noch mehr zur Widerbellerin.

      Hättest Du nur einmal in Zorn geraten können, dass ich hätte von Dir laufen dürfen!

      Etwas über ein Jahr hieltest Du es aus. Da —

      Als bald nach unserer Verheiratung der Feldzug des Jahres 1813 begann, hattest Du als Freiwilliger mit hinausziehen wollen. Ich gab es nicht zu; ich beschwor Dich, mich nicht zu verlassen, mich nicht zu töten. Ja es wäre mein Tod gewesen, wenn ich den Deinigen hätte erfahren müssen. Ja, ja, da fühlte ich so recht, wie ich Dich liebte, über alles, selbst mehr als mich selbst. Du bliebst; Du brachtest mir das schwere Opfer. Wie dankbar war ich Dir dafür! Wie zeigte ich Dir meine Liebe, meine Dankbarkeit! Aber wie lange währte es? Der Satan kam bald wieder über mich, und ich wurde wieder Dein Satan. Es war mir schon zur andern Natur geworden; ich hatte gar keine Widerstandskraft mehr dagegen. Ich verhöhnte Dich, dass Du nicht mit dabei warst, wo alle sich Ruhm und Ehre erwarben.

      Da brach der Krieg des Jahres 1815 aus.

      ‘Willst Du wieder im sichern Hort daheim bleiben?’ war meine Frage des Hohns an Dich.

      ‘Nein!’ antwortetest Du mir kurz, und Du trafst in derselben Minute Deine Anstalten zur Abreise, um einer der ersten Freiwilligen aus dem Kampfplatze zu sein.

      Und mein ganzes Inneres empörte sich gegen den Barbaren, den Unmenschen, der mich nun doch verlassen, sich und mich dem Tode preisgeben konnte, der wirklich abreisen wollte, anstatt reumütig zu mir zurückzukehren und mich um Verzeihung zu bitten, dass er nur eine Minute lang den Gedanken gehabt habe, zu gehen. Ich war in Wut, in Verzweiflung; ich wälzte mich auf meinem Sofa umher; ich wollte zu Dir fliegen, Dich bitten, Dir befehlen, dass Du nicht gingst. Mein Stolz litt es nicht. Ich war eine Wahnsinnige; es war der Wahnsinn der Widerspenstigkeit, des Stolzes, der Herrschsucht, der Liebe. Ja, auch der Liebe! Ich konnte Dich nicht wiedersehen, ich ließ Dich ohne Abschied ziehen, Du mochtest bitten, wie Du wolltest.

      Und der Wahnsinn war nicht vorüber, als Du fort warst. Er ist erst in der letzten Nacht von mir gewichen.

      Du schriebst an mich; ich nahm Deine Briefe nicht an; ich schrieb Dir nicht; ich verließ die Aschenburg; ich kehrte nach Preußen zurück, zu meinem verwundeten Onkel Steinau. Ich wollte nichts, gar nichts mehr von Dir wissen. Ich war frei von Dir, endlich; ich war unglücklich, aber in einer Wut des Glücks.

      Du kamst zurück, Du hattest unter allen den tausend und tausend Braven zu den Bravsten gehört; Du hattest Dich ausgezeichnet durch Deinen Mut, Deine Entschlossenheit, Deine Kaltblütigkeit; der König hatte Dir die seltene Auszeichnung der ersten Klasse des Eisernen Kreuzes verliehen.

      Mein Zorn gegen Dich war umso größer.

      Du suchtest mich auf; ich ließ Dich nicht vor mich.

      Du hattest mich einmal verlassen; ich wollte Dich nie wiedersehen.

      Wie glaubte ich Dich zu hassen! Wie liebte ich Dich!

      Ich musste Dir hierher folgen. Ich musste sehen, dass Du meinen Hass verdientest, dass meine Liebe einem Unwürdigen galt. Dann — ich glaube, dann wollte ich sterben.

      So bin ich hier und habe ich mich besser oder schlechter gemacht, als ich bin?«

      »Etwas schlechter!« sagte der Domherr.

      Der Verwundete aber sagte:

      »Küsse mich, Du Engel, der Du tausendmal mehr gelitten hast als ich.«

      Und sie küsste ihn zärtlich und sprach:

      »Und ich schwöre Dir, Gisbert —«

      Der Domherr aber unterbrach sie:

      »Schwöre