Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу
da?« fragte er.

      »Ich beschwöre Sie!« rief Gisbertine Knüppel zu.

      Sie rief es mit ihrer leisesten Stimme.

      Der Kranke hatte sie doch gehört.

      Er öffnete die Augen weit. Er war völlig erwacht.

      Er fuhr in die Höhe, mit seinem ganzen Körper. Ein furchtbarer Schmerz warf ihn zurück.

      Er wollte rufen, einen Namen, Gisbertinens Namen. Seinen bleichen Lippen entrang sich ein unterdrückter Schmerzensschrei.

      »Er stirbt!« rief Gisbertine.

      Knüppel wurde doch andern Sinnes.

      »Bah, so geschwind stirbt der Mensch nicht!« schrie er.

      Dann mochte ihm wieder einfallen, dass er Mediziner im sechsten Semester sei. Er trat an das Bett und beugte sich über den Kranken.

      »Donnerwetter!« rief er auf einmal. »Der Verband sitzt ja ganz schief. Lass einmal sehen, Aschen! Wahrhaftig! Der Esel von Paukdoktor! Verbindet man so die Axillaris? Komm’ her, mein Junge, den Verband muss ich Dir anders anlegen.«

      Und Knüppel legte seine schwere Hand auf die Schulter des Verwundeten und griff nach dem Verbande, um ihn aufzutrennen, und der Verwundete war in wenigen Minuten eine Leiche, wenn es dem betrunkenen Menschen gelang.

      Gisbert von Aschen war wieder zu sich gekommen.

      Eine Ohnmacht war ihm nahe gewesen, hatte ihn schon gefasst; unter den rohen Händen erhielt er das Bewusstsein wieder. Aber er konnte sich nicht wehren, er konnte sich ja nicht einmal rühren. Er hatte sein Bewusstsein nur wiedergewonnen, um die Todesgefahr zu erkennen, in der er sich befand.

      »Mensch, Du bringst mich um!« rief er.

      »Liege Du nur still, mein Junge!«

      »Hilfe! Hilfe!« rief der Kranke mit seiner letzten Kraft.

      Die Hilfe für ihn war schon da.

      Gisbertine hatte den Betrunkenen ergriffen, um ihn von dem Kranken zurück zu reißen.

      Aber Knüppel war in seinem Rausche plötzlich zu einem Wahnsinnigen, einem Rasenden geworden. Er schwankte, er taumelte nicht mehr; er hatte die Kraft eines Riesen.

      »Zum Teufel, Mamsell, ist Sie verrückt? Ich muss doch den armen Menschen verbinden.«

      Er schüttelte Gisbertine von sich wie eine leichte Feder.

      »Verbinden!« rief er. »Die Axillaris muss anders unterbunden werden. Sie ist eine Fortsetzung der Aorta, zweigt sich ab von der Jugullaris. Alle Wetter!«

      »Unglücklicher!« rief Gisbertine

      Sie war wieder aufgesprungen; sie hatte ihn wieder ergriffen. Auch sie hatte auf einmal Riesenkräfte. Die Verzweiflung hatte sie ihr gegeben, für den Gatten, für sein Leben. Sie riss den Betrunkenen zurück; er musste mit ihr kämpfen. Sie hielt den Kampf mit ihm aus; sie rang mit ihm; sie umschnürte ihm die Arme. Der Verwundete war von dem Wahnsinnigen befreit. Aber das schwache Weib hatte jene übernatürliche Kraft nur einen Augenblick lang. Sie wankte; sie wurde weiß wie der Schnee.

      In dem vorderen Zimmer wurde ein rascher Schritt gehört. Die Tür ging auf.

      Franz Horst flog auf den Betrunkenen zu, riss ihn empor, warf ihn nieder. Es war ein Augenblick.

      Auch Gisbertine war von dem Rasenden befreit.

      Sie sank ohnmächtig in die Arme Gretchens, die dem jungen Studenten auf dem Fuße gefolgt war.

      Franz Horst wollte die fremde Dame verwundert ansehen.

      Aber Knüppel hatte sich wieder aufgerafft.

      »Verdammter Fuchs«, rief er, »was fällt Dir ein?«

      »Dass Du Dich von hier fortmachen sollst«, sagte Horst.

      »He, ich muss ja den Gisbert verbinden!«

      »Das kannst Du draußen.«

      »Was?«

      »Draußen, sage ich Dir.«

      »Der Fuchs ist wahrhaftig betrunken!« lachte Knüppel. »Aber in einem hast Du Recht. Franz Daniel. Ich habe ja mein Verbandszeug nicht hier. Ich werde es holen.«

      Franz Horst wandte sich nun zuerst zu dem Verwundeten.

      »Tat er Dir schon etwas, Gisbert?«

      »Sie rettete mich!« sagte der Kranke und zeigte nach der Ohnmächtigen.

      »Wer ist sie?«

      »Meine Frau.«

      Franz Horst ging zu Gisbertinen.

      Sie hatte die Augen noch geschlossen.

      Sie war dennoch so schön.

      Auch Gretchen sagte es sich.

      Sie hatte die Worte des Verwundeten gehört.

      »Wie schön sie ist! Und sie ist seine Frau!«

      Wie mochte dem armen Kinde das Herz bluten!

      Gisbertine schlug die Augen wieder auf.

      Franz Horst gab ihr seinen Arm und führte sie zu dem Verwundeten.

      »Gnädige Frau«, sagte er leise, »sein einziger Gedanke waren Sie.«

      Gisbertine durfte ihren Gatten wieder küssen, auf die weiße Stirn, auf die bleichen Lippen. Ihre Arme konnten sich um die seinigen legen.

      »O Gisbert, habe ich Dich wieder? Kannst Du mir verzeihen?«

      »Frage den Freund!« sagte er. »Aber musst Du es denn noch?«

      Er drückte seine Lippen auf die ihrigen, umschlang sie mit dem gesunden Arm, sah ihr mit der vollen Liebe seines Herzens in die Augen.

      »Nein, nein!« rief sie. »Du bist ja das edelste, das großmütigste Herz.«

      »Herr Horst!« rief Gretchen leise den jungen Studenten auf die Seite. »Herr Horst, wenn etwas nötig sein sollte, so rufen Sie nur meinen Namen in den Gang hinaus.«

      »Du willst Dich schlafen legen? Du bist müde, armes Gretchen!«

      »Schlafen? Nein!« sagte sie, den Kopf schüttelnd.

      Sie verließ das Zimmer.

      Sie war in diesem Augenblicke vielleicht das unglücklichste Herz auf der Welt.

      Aber junge Mädchenherzen, die leicht unglücklich werden, können auch bald wieder glücklich werden.

      Der Arzt kam, den Horst gerufen hatte.

      »Es war ja keine Gefahr; darum war ich nicht wiedergekommen«, sagte der Paukdoktor der Studenten.

      Er fand auch jetzt keine Gefahr, trotz allem, was mit dem Kranken vorgegangen war.

      »Er hat eine Heidennatur«, wiederholte er. »Ich sagte es ja. Alle diese Westfalen. Aber nun muss ich auf der unbedingtesten Ruhe bestehen. Er darf kein Wort mehr sprechen und es darf kein Wort zu ihm gesprochen werden, die ganze Nacht nicht!«

      Mit dem Befehle ging er.

      »Aber Deine Hand darfst Du mir geben, Gisbertine.«

      Und Gisbertinens Hand lag schon in der seinigen.

      »Und ansehen darf ich Dich.«

      Und Gisbertinens Augen lächelten ihm unter Tränen ihre Liebe zu.

      Dann wurde die Nacht doch noch unruhig für den Kranken. Das Wundfieber stellte sich ein. Aber Gisbertinens Hilfe und Dienste waren immer bei ihm, aufmerksam, flink, weich und glücklich.

      »Engel!« sagte dankbar der Kranke, wenn das Fieber ihm auf Augenblicke ein klares Bewusstsein gab.

      Und dankbar küsste ihn Gisbertine.

      Gegen Morgen schlief er ruhig und lange.

      Als