Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Gisbertine!« sagte der Verwundete. »Und nun dürfen wir auch wieder sprechen.«

      »Du noch nicht, Gisbert, aber ich. Und ich habe Dir so vieles zu sagen, und ich habe so lange darauf warten müssen, es Dir sagen zu können. Darf Dein Freund Horst es hören? Alles?«

      »Alles!« sagte der Kranke.

      »So hört! So hört beide, wie ich meinen Mann liebe, und wie schlecht ich gegen ihn war, und wie ich ihm nun ewig, ewig dankbar sein werde.«

      »Ewig?« fragte eine Stimme in das Zimmer hinein.

      Der Domherr stand in der Tür.

      »Ja, ja, Onkel Florens!« flog die junge Frau ihm entgegen. »Und auch Du sollst alles hören, meine Sünden und meine Liebe.«

      »Hm, hm! Aber zunächst, was macht der Narr da?«

      Der Kranke konnte ihm die Hand reichen.

      »Ja, ja«, sagte der Domherr, »die leichtfertigste Person auf Erden ist das Glück; sie verbindet sich nur mit der Torheit. Aber lege Deine Beichte ab, Gisbertine, und — ohne die Koketterie des Beichtstuhls.«

      Gisbertinens Beichte war folgende:

      »Aber werdet Ihr denn nicht in jedem Worte Koketterie finden, mit dem ich Euch sage, dass ich den Gisbert lieben musste, weil ich ihn zuerst hasste, und dass ich es nicht abwarten konnte, seine Frau zu werden, weil ich durch einen schlechten, nichtsnutzigen Familienhandel ihm als Frau verkauft war? Ja, mein Herr Horst, so war es. Mein Vater und Gisberts Vater waren Brüder, und in ihren Adern rollte also oder rollte eben auch nicht das alte adlige Blut der Freiherren von Aschen, die bekanntlich zu den ältesten Geschlechtern des alten westfälischen Adels gehören. Mit uns, den Kindern unserer Väter, wurde dies aber bedenklich. Mein Vater war der ältere, also der Stammherr, ihm gehörten also die Güter der Familie. Nun hatte jedoch mein guter Vater das Unglück gehabt, sich in meine Mutter zu verlieben und sie zu heiraten. Meine Mutter war zwar von gutem m Adel; die Steinaus gehören zu denjenigen Familien des Preußenlandes, welche zuweilen den Königen von Preußen eine Faust in der Tasche machen und sagen: Wir waren längst Herren in diesem Lande, als die Hohenzollern herkamen! Aber was hilft es ihnen? Vor dem stolzen westfälischen Adel finden sie keine Gnade. Papieradel, Beamtenadel, Offiziersadel! ruft der verächtlich. Wart Ihr schon zu Kaiser Karls des Großen Zeiten im Lande? Seid Ihr nur stiftsfähig? Könnt Ihr sechzehn reine adlige Ahnen aufweisen? Ihr könnt es nicht. In Eurem ganzen Lande links von der Elbe ist keine einzige Familie, die das kann. Also seid Ihr uns nicht ebenbürtig; wir haben keine Gemeinschaft mit Euch! So war die Verbindung meines Vaters mit meiner Mutter eine Mesalliance, und ich, die Tochter dieser Verbindung, konnte die Aschen’schen Güter nicht erben; mein Vetter Gisbert erhielt sie vielmehr, weil sein Vater ein vorsichtiger Mann gewesen war und ein westfälisches Fräulein mit sechzehn Ahnen geheiratet hatte. Meine Vormünder protestierten zwar gegen Gisberts Vormünder — wir waren beide früh Waisen geworden — und sie erhoben gegeneinander einen heftigen Prozess; aber Gisberts Vormundschaft blieb im Besitz. Davon hörte ich natürlich, und es war der erste Grund meines Hasses gegen ihn, obwohl wir beide noch Kinder waren.

      Aber noch mehr hasste ich ihn, dass er Gisbert hieß. Ich hieß Gisbertine; wie konnte er mir meinen Namen rauben wollen? So redete es mir meine Bonne ein, und sie wusste auch, warum es so sei. Gisbert sei ein alter Taufname in der Familie, und der Stammherr werde jedes Mal so getauft, und da habe dieser Gisbert sich so taufen lassen, um Stammherr zu werden und mir meinen ehrlichen Namen Gisbertine schon im Voraus wegzunehmen, ehe ich nur noch geboren sei. Die Frau wusste es so genau und mir so klar auseinander zu setzen, dass ein außerordentlich tiefer Sinn für mich darin lag.

      Ich hätte einen Mord an dem Räuber meiner Güter und meines Namens begehen können. Wir sahen uns zum Glück nie. Er war Herr aus den reichen westfälischen Gütern, ich lebte im Hause nicht sehr reicher Verwandten hinten im Kassubenlande. Da war aus einmal das Westfalenland französisch geworden und meine preußischen Vormünder jubelten hoch auf. Ja, ja! Die alles nivellierenden französischen Revolutionsgesetze wussten von einem stiftsfähigen Adel nichts mehr, also auch nichts von Mesalliancen, nichts von Stammgütern und Stammherren.

      Mein Prozess war, dank den deutschen Prozessgesetzen, noch nicht zu Ende; er musste nach den französischen Gesetzen zu meinen Gunsten und bald entschieden werden. Die westfälischen Vormünder boten den meinigen einen Vergleich an und die meinigen nahmen ihn an. Er war kurz und bündig. Gisbert und Gisbertine heiraten einander, und die Güter werden darauf ihr gemeinschaftliches Eigentum. Wir waren verlobt, ohne es zu wissen. Wenn er zwanzig, ich achtzehn Jahre alt sei, solle die Hochzeit sein. Als ich sechzehn Jahre alt war wurde ich zu ihm nach Westfalen gebracht, damit wir uns kennen lernten. Man sagte mir das erst, als wir mitten in den Heiden des Landes waren.

      ‘Welch entsetzliche graue Heiden!’ rief ich aus.

      ‘Du wirst Dich an sie gewöhnen müssen’, wurde Mit zur Antwort.

      ‘Hier?’

      ‘Ja, Du wirst hier bleiben!’

      ‘Um vor Langerweile zu sterben!’

      ‘Du wirst hier heiraten.’

      ‘Einen Heidenmenschen? Nimmer!’

      ‘Du bist schon mit ihm verlobt. Du bist jetzt auf dem Wege zu ihm.’

      Und nun erfuhr ich alles.

      ‘Und er kommt nicht einmal zu mir! Ich soll zu ihm kommen! Ich werde zu ihm gebracht wie eine verkaufte Ware!’

      Ich wollte mitten in der Heide aus dem Wagen springen; man musste mich mit Gewalt halten.

      Wir kamen auf der Aschenburg an. Sie war ein schönes, großes, prächtiges Schloss mit einem großen reizenden Park. Aber die graue Heide war nahe dabei.

      ‘Hier bleibe ich keinen Tag!’ rief ich.

      Gisbert und Gisbertine wurden einander vorgestellt.

      Du warst ein leidlich, nein, ich will die Wahrheit sagen, Du warst ein recht hübscher Mensch; ich hatte im Kassubenlande keinen schöneren gesehen. Ich fand Dich zum Entsetzen hässlich. Du sahst mich mit Augen an, als wenn Du in mir das Ideal von Schönheit und Liebreiz erblicktest. Ich sagte zu mir: Wie kann der westfälische Heide sich unterstehen, die Augen zu mir zu erheben?

      ‘Ihr seid Verlobte!’ sagte man zu uns. ‘Reicht Euch die Hände; küsst Euch; sagt Du zueinander.’

      ‘Liebe Gisbertine, wie freue ich mich, Dich zu sehen!’ sagtest Du mir.

      Du ergriffst meine Hand und küsstest sie.

      Ich musste Dir meine Hand lassen, aber ich erwiderte Dir kein Wort, und dass Du nicht den Mut hattest, meinen Mund zu küssen, das war trotz aller Onkel und Tanten doch Dein Glück.

      Und nachher nahm ich Dich allein.

      ‘Willst Du mich wirklich heiraten, Vetter Gisbert?’

      ‘Lieber heute als morgen, teuerste Gisbertine!’

      ‘Aber ich nehme Dich nicht.’

      ‘Aber Du musst ja. Der Familienvertrag will es.’

      ‘Ich kaufe ein Pistol und erschieße Dich.’

      ‘Ich fürchte mich nicht.’

      ‘Ich tyrannisiere Dich bis aufs Blut.’

      ‘Kennst Du die Zähmung der Zänkischen von Shakespeare, mein schönes Gisbertinchen?’

      ‘Abscheulicher Mensch!’

      So waren wir miteinander bekannt geworden.

      Du musstest dann mit mir durch die Güter fahren.

      Du fuhrst selbst, und die stolzen und wilden Pferde gehorchten Dir wie ein paar Lämmer.

      ‘Ich werde desto widerspenstiger gegen Dich sein’, sagte ich.

      Die Güter waren so groß, so reich, in so ausgezeichnetem Zustande.

      ‘Welch ein erbärmlicher Kaufpreis für mich!’ rief ich aus.