Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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passiert?« fragte er.

      Das Mädchen sah ihn noch einen Augenblick zweifelhaft an.

      »Wer ist der Herr, der mit Ihnen kam, Herr Horst?«

      »Ah, Ihr hattet uns also gesehen?«

      »Ja.«

      »Und darum Eure Angst?«

      »Um des Fremden willen, Herr Horst.«

      »Er ist ein alter Freund und Kriegskamerad von mir.«

      »Und zuverlässig?«

      »Wie Gold und Sie, Mariannchen!«

      »Dann hören Sie. Im Tanzsaale liegt ein Student schwer verwundet. Sie fürchten, dass er sterben müsse.«

      »Ein Duell?«

      »Ja.«

      »Und wer ist es?«

      »Wir kennen die Herren nicht.«

      »Wie sieht der Verwundete aus?«

      »Ein großer, hübscher Herr mit blonden Haaren.«

      »Aschen!« tauchte eine Ahnung in dem Studenten auf.

      »Haben Sie den Namen Aschen oder Gisbert gehört, Mariannchen?«

      »Sie nannten gar keine Namen. Die Herren schienen sehr erbittert gegeneinander zu sein. Es werde heiß und schwer hergehen, hörte ich einen schon vorher sagen.«

      »Mariannchen«, sagte der Student, »rufen Sie einen der Herren heraus; der Franz Daniel Horst sei da, sagen Sie.«

      Das Mädchen kehrte durch die Tür zurück, durch die sie gekommen war.

      Nach ein paar Augenblicken trat mit ihr ein Student heraus.

      Es war eine jener großen, schlanken und doch kräftigen Kurländergestalten, die man noch heute oder heute wieder auf den deutschen Universitäten häufig antrifft.

      »Ist es Gisbert Aschen, Rurik?«

      »Leider ja.«

      »Ist es so gefährlich mit ihm, wie das Mädchen sagte?«

      »Es war gefährlich. Die große Pulsader unter dem rechten Arm war ihm durchgeschnitten. Konnte sie nicht unterbunden werden, so war der Tod unvermeidlich. Es dauerte lange, ehe sie nur gefunden wurde. Dann wollte lange dass Unterbinden nicht glücken. Diese gewöhnlichen Paukärzte verlieren bei ungewöhnlichen Dingen den .Kopf.«

      »Und wie ist es jetzt?«

      »Alles in Ordnung. Der Verwundete muss nur Ruhe haben. Zum Abend bringen wir ihn in die Stadt.«

      »Warum kann er nicht hier bleiben?«

      »Die Wirtsleute wollen uns nicht über Nacht behalten. Hier sei noch nie ein Duell gewesen; die Sache könne ruchbar werden; man nehme ihnen dann die Wirtschaftskonzession.«

      »Darfst Du mich zu ihm führen, Rurik?«

      »Er soll sich vor jeder Aufregung hüten, sagt der Arzt. Aber ich will fragen.«

      Horst besann sich.

      »Frage nicht. Ich verzichte, es ist besser.«

      Der Kurländer kehrte in den Tanzsaal zurück, der heute zum Pauksaal geworden war.

      Horst ging in die Laube vor dem Hause, in welcher Mahlberg zurückgeblieben war.

      »Kaffee!« bestellte er vorher bei dem hübschen Mariannchen.

      »Ein eigenes Zusammentreffen!« sagte er zu Mahlberg. »Aschen hat sich hier geschlagen.«

      »Und?«

      »Er ist schwer verwundet, aber außer Gefahr.«

      »Und wir gehen nicht zu ihm?«

      »Er soll in vollster Ruhe bleiben, ohne die geringste Aufregung. Nun würde mein Anblick ihn freilich nicht aufregen, aber desto mehr der Deinige, schon die Nachricht von Deiner Anwesenheit. Da verzichtete ich ganz.«

      »Du tatest recht.«

      »Ich werde aber heute Nacht bei ihm wachen und morgen führe ich auch Dich zu ihm.«

      Mariannchen brachte den Kaffee.

      Sie sah noch verstört aus, aber Schreck und Angst hatte sie überwunden; da musste sie erzählen.

      »Es war das erste Duell hier im Hause, Herr Horst. Aber diese Angst, die ich gehabt habe! Wie die Hiebe fielen! Und wie die Funken aus dem Stahle flogen!«

      »Sie mussten also trotz Ihrer Angst zusehen, Mariannchen?«

      »Nur zuhören, Herr Horst, und nur einmal sah ich einen Augenblick durch die Tür. Ich hatte so viel von den Duellen der Herren Studenten gehört, oder von den Paukereien, wie die Herren sagen.«

      »Erzählen Sie, Mariannchen.«

      »Die Herren«, erzählte Mariannchen, »kamen gegen Mittag hier an, in zwei Kutschen. Die Kutscher sagten nachher, sie hätten Umwege gemacht, damit man sie nicht verfolgen solle. Aus dem ersten Wagen stiegen vier Herren heraus, die alle so wüst und hässlich aussahen; die Bärte und die Haare und die Kleider waren ihnen so unordentlich. Am hässlichsten unter ihnen war ein Großer, Starker mit einem roten, breiten Gesicht. Er und einer von seinen Begleitern, waren die einzigen, die ich schon früher hier gesehen hatte; im vorigen Herbst, an einem Sonntag, als Tanz hier war. Sie gingen damals auf den Tanzboden, fingen mit aller Welt Streit an und wurden zuletzt von den Bauernburschen hinausgeworfen. Die forderten nun auch sogleich Rum. Aus der zweiten Kutsche kamen nur feine, vornehme Herren, und besonders gefiel mir der hübsche blonde Herr, der nachher von dem andern, dem Hässlichen mit dem breiten, roten Gesichte, so schwer verwundet wurde. Sie gingen gleich nach ihrer Ankunft in den Tanzsaal. Dass sie sich dort duellieren wollten, sagten sie nicht. Mein Vater hätte ihnen sonst den Tanzsaal nicht aufgeschlossen. Aber wir wurden es bald gewahr, freilich als es zu spät war.

      Ich musste Wasser, warmes und kaltes, in den Saal tragen, und da sah ich, wie einer von den Herren Verbandszeug auspackte, Messer und Scheren und Leinewand und Scharpie, und dann, wie die beiden, der große Hässliche und der hübsche Blonde, ihre Röcke auszogen und wie ihnen große Schläger in die Hand gegeben wurden.

      Ich konnte vor Schreck kaum wieder aus dem Saale kommen. Draußen aber musste ich an der Tür stehen bleiben, um zu wissen, was nun weiter kommen werde.

      Und da ging denn ein schreckliches Schlagen los; Hieb fiel auf Hieb und immer schneller und schwerer. Und dabei hörte man nichts anderes; keiner von allen den Menschen, die da waren, sprach ein Wort. Es war, als wenn die beiden sich schlagen wollten, bis der eine von ihnen tot sei, und als wenn alle die andern das ruhig abwarten wollten. Es wurde mir ordentlich grausig und ich musste einmal durch die Tür sehen, die ich nur angelehnt hatte. Und da sah ich, wie der Hässliche, der beinahe um einen Kopf länger war als der andere, immer von oben her auf diesen einschlug, dass die Funken aus der Klinge fuhren; und er wurde immer zorniger und röter im Gesichte, weil er seinem Gegner nichts anhaben konnte. Der hübsche blonde Herr stand dem wütenden Menschen so ruhig gegenüber, als wenn er nur mit ihm spiele. Ich dachte mir, er wolle es so absehen, wann er ihm einen tüchtigen Hieb versetzen könne.

      Auf einmal war es anders gekommen. Wie, das wusste ich selbst nicht. Ich hatte nichts Besonderes gesehen oder gehört; aber plötzlich sah ich Blut in die Höhe spritzen, zur Erde fließen; die beiden Gegner wurden auseinandergerissen; der blonde Herr wurde weiß wie die Wand und sank um. Ich flog ans der Tür zurück, mir vergingen die Sinne; ich sah und hörte lange nichts, bis meine Mutter vor mir stand, auch mit einem leichenblassen Gesichte, und mir sagte, der blonde Herr sei schwer verwundet, und die beiden Ärzte fürchteten, er werde nicht mehr lebend den Saal verlassen. Nachher ist es aber doch mit ihm wieder besser geworden und jetzt ist er außer Gefahr.«

      Die beiden Freunde warteten, bis der Tag sich zum Abend neigte. Sie ließen dann zuerst den Wagen mit dem Verwundeten langsam zur Stadt fahren und fuhren darauf selbst schneller zurück.

      Der Abend war dunkel geworden.