Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу
dem Zimmer war kein Licht.

      Gretchen hatte Lampe und Kerze auf den Tisch gestellt und Feuerzeug daneben. Sowie sie den Herrn die Treppe heraufkommen hörte, konnte sie Licht machen, dass er das Zimmer hell fand, wenn er eintrat.

      Aber er kam noch immer und immer nicht.

      Sie wartete vergebens auf ihn, schon lange. Sie horchte nach der Straße hinaus, sie horchte nach der Treppe hinunter. Draußen in der Weender Straße wogten an dem schönen Sommerabend die Menschen wohl auf und ab, scherzend, plaudernd, lachend, lustige Lieder singend, Liebe flüsternd. Aber ein Wagen kam nicht, die Haustür unten wurde nicht aufgemacht, und drinnen blieb es auf der Treppe still, und in dem dunklen Zimmer des Studenten hörte man nur den schweren Seufzer, der sich der Brust des jungen Mädchens entrang.

      Sie warf einen Blick über die Straße hinüber nach den Fenstern der schwarzen Maske. Die Fenster waren hell, aber die Vorhänge waren zusammengezogen Man konnte trotzdem sehen, wie in dem Zimmer sich jemand in der Nähe der Fenster bewegte; manchmal schien es ihnen ganz nahe zu kommen; ein Kopf musste sich an die Scheiben gelegt haben.

      »Sie horcht wie ich«, sagte sich Gretchen. »Was mag er sie angehen? Ob sie schön ist?«

      Da kam jemand die Treppe herauf.

      »Der Baron? Hätte ich überhört, dass die Haustür aufging? Ich achtete nur auf die Maske. Was geht sie denn mich an?«

      Gretchen flog vom Fenster zu dem Feuerzeuge am Tisch. Sie flog wieder zurück zu dem Fenster; sie zog auch die Vorhänge zusammen.

      »Die drüben braucht nicht zu wissen, was hier vorgeht.«

      Dann zündete sie das Licht an.

      Die Tür wurde geöffnet.

      Franz Horst trat ein.

      »Sie, Herr Horst?«

      »Wie Sie sehen, schönes Gretchen.«

      Der Student Gisbert von Aschen lebte sehr eingezogen, wie Horst dem Hauptmann oder Regierungsrat Mahlberg erzählt hatte, ging wenig aus und sah wenig Bekannte bei sich. Horst war aber doch wohl manchmal bei ihm gewesen, und so war der junge Student mit dem hübschen Gretchen bekannt wie draußen in der Waldschenke mit dem hübschen Mariannchen.

      »Sie hatten mich wohl nicht erwartet, Gretchen?« fragte er.

      »Nein, Herr Horst.«

      »Aber den Baron Aschen?«

      »Ja.«

      »Er wird in einer Viertelstunde hier sein.«

      »Sie wissen von ihm? Was ist mit ihm geschehen?«

      »Er ist verwundet.«

      Gretchen wurde leichenblass; sie war am Umsinken wie am Nachmittage das hübsche Mariannchen in der Waldschenke.

      »Na, armes Gretchen, setzen Sie sich. Es hat keine Gefahr mit ihm. Ich werde nur heute Nacht bei ihm wachen —«

      »Und ich, Herr Horst!«

      »Wir beide also, und —«

      Der Student wollte einen Scherz hinzufügen. Es verging ihm doch, als er in das angstvolle Gesicht des hübschen Kindes sah.

      »Mir lag es den ganzen Tag in den Gliedern«, sagte sie. »Und als er den Nachmittag nicht nach Hause kam, und es immer später wurde, da wusste ich, dass meine Angst keine vergebliche gewesen war.«

      »Wussten Sie von dem Duell, Gretchen?«

      »Schon seit heute Morgen.«

      »Durch wen?«

      »Durch den Stiefelwichser.«

      »Ja, ja!«

      Die Stiefelwichser auf den deutschen Universitäten sind eine ganz besondere Sorte von Menschen. Der einzelne bedient zwanzig, dreißig, mancher bis zu vier zig, fünfzig Studenten von Süd und von Nord, Freund und Feind. wie es sich trifft. Sie sind jedem Studenten sein Faktotum, ohne das er nicht bestehen kann; hat der ‚Wichsier‘ ihm nicht die Stiefel geputzt und die Kleider gereinigt, so kann er nicht ausgehen; versetzt der Wichsier ihm nicht bei dem Juden seine Sachen, so kann er nicht leben. So wird der Stiefelwichser sein Vertrauter und erfährt alles, was auf der Universität passiert. Und niemals missbraucht er das Vertrauen. Seine einzige Vertraute wieder ist nur die Aufwärterin des Studenten, aber auch nur, wenn sie diesem treu ist, und das er kennt der Wichsier mit einem fast wunderbaren Scharfblick.

      Gretchen hatte sich von ihrem Schreck erholt. Sie musste es; sie hatte noch mancherlei für ihren Baron zu besorgen.

      Nach einer Viertelstunde kam der Verwundete. Er hatte die Treppe hinaufsteigen können; zwei Studenten mussten ihn nur stützen. So schritt er auch in das Zimmer. Aber dann fiel er trotz seiner kräftigen Natur zusammen, und in das Bette mussten sie ihn tragen.

      Gretchen leuchtete stumm. Wie durfte sie. in Gegen wart der Studenten sprechen! Einer von ihnen kam ihr ohnehin so sonderbar vor. Aber das Licht flog in ihrer zitternden Hand, dass es zu erlöschen drohte.

      »Was zittert Sie denn?« fuhr der Student sie an, der so sonderbar aussah.

      »Der arme Herr!« musste Gretchen ihm doch antworten.

      »Er hätte besser parieren sollen!« lachte der Student.

      »Er hat zu viel getrunken«, sagte der zweite wie entschuldigend zu dem hübschen, bleichen Mädchen.

      Es war der Kurländer Rurik, der dem Freiherrn sekundiert hatte.

      »Um meinen Ärger hinunterzuspülen«, sagte der andere. »Hat man je im Leben von einer solchen Paukerei gehört? Hat sich der Mensch da geschlagen, als wenn er einem Fuchs mit einem Rapier von Leder gegenüberstände! Und sein Gegner war der erste Schläger Göttingens, mit einer Klinge, die mehr als haarscharf war. Es ist, um sich schwarz zu ärgern. Aber ich werde doch heute Nacht bei Dir wachen, Freund Gisbert.«

      Der Freiherr war in sein Bette gebracht.

      Mit ihm gekommen waren sein Sekundant Rurik, der Paukarzt und der Angetrunkene.

      Rurik nahm Franz Horst auf die Seite.

      »Wie werden wir den Menschen los? Er kam unterwegs am Hainberge zu uns. Wir konnten ihn nicht entfernen. Um nicht Aufsehen zu erregen, mussten wir ihn mit heraufnehmen. Er hätte die ganze Straße zusammengerufen.«

      Franz Horst wusste ein Mittel.

      »Ich werde hier heute Nacht wachen. Nach einer halben Stunde schicke ich ihn zu Euch in die Kneipe, um Wein für ihn und mich zu holen. Dort haltet Ihr ihn unter irgendeinem Vorwande oder mit Gewalt zurück.«

      »So wird es gehen.«

      Der Arzt hatte den Verwundeten im Bette zurecht gelegt, noch einmal nach dem Verbande gesehen, noch dem Puls gefühlt.

      »Der Verband ist in Ordnung«, erklärte er. »Der Puls ist wenig schwach. Das Fieber wird nicht sehr stark werden. Diese Westfalen, Edelmann wie Bauer, haben eine Heidennatur.«

      »Sie leben ja auch in grauen Heiden«, sagte Knüppel, der Angetrunkene.

      »Er bedarf«, fuhr der Arzt fort, »nur der unbedingtesten Ruhe. Dann ist durchaus keine Gefahr mehr da. Ich werde dennoch in einer Stunde wiederkommen, um nachzusehen. Im Übrigen habe ich die Aufwärterin instruiert, die mit ihrer Mutter bei ihm wachen wird.«

      »Ich werde hier wachen!« rief Knüppel. »Und dann brauchst Du gar nicht wiederzukommen, Paukdoktor. Ich bin selbst Mediziner — in meinem sechsten Semester.«

      Dann sah er sich das hübsche Gretchen näher an.

      »Ah, ah, mein schönes Kind! Wir beide wachen hier, und weißt Du was? Deine Mutter braucht in unserm Bunde nicht die Dritte zu sein. Sie kann schlafen gehen.«

      Rurik und der Arzt hatten sich durch Blicke verständigt.

      Sie gingen.

      »Du gehst nicht auch, Fuchs?«