Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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einer der Nichtburschenschafter an.

      »Was soll ich da sehen?«

      »Einen kleinen braunen Mann mit einem grauen Spitzbubengesichte.«

      »Und was geht er mich an?«

      »Er ist ein Demagogenfänger und schaut hierher, als ob er gerade im Begriff stehe, einen recht tüchtigen Fang zu tun.«

      Der Student Lantermann schwieg.

      Aber einer seiner Begleiter glaubte das Wort nehmen zu müssen, ein kleiner, sehr wohlgenährter Jüngling, dessen sonderbar glänzendes Gesicht von langen schwarzen Haaren so umwallt war, dass man fast nur seinen sonderbaren Glanz sah.

      »Ha«, rief der, »werden wir die elenden, feigen, spionierenden Häscher fürchten, die man gegen uns aussendet? Wir kämpfen für eine große Sache; wir wollen dafür kämpfen. Und durch Spionage unterdrückt man einen solchen Kampf nicht, wie man die große Sache eines großen Volkes dadurch nicht unterdrückt. Mögen sie kommen, unsere Verfolger. Mögen sie uns niederwerfen, mögen sie uns auf die Scheiterhaufen werfen; mit dem Blute eines jeden einzelnen von uns werden tausend Rächer erstehen. Ja, Rache und Freiheit! Frei, fromm, furchtlos, das ist unser Wahlspruch Ihn wollen wir —«

      Auch er wurde von dem Nichtburschenschafter unterbrochen.

      »Edler kleiner deutscher Jüngling Bahn, wollten Sie nicht Ihre Worte und Ihren Mut für die Kneipe heute Abend aufsparen? Die Philister dort möchten sonst über uns kommen.«

      »Ha, diese Philister!«

      Mehr sprach denn auch der kleine deutsche Jüngling Bahn nicht.

      Der junge Student — Franz Horst hieß er — hatte unterdes so sonderbar still dabei gesessen.

      »Franz Daniel« — es war sein Studentenname —— »Du siehst ja so selig aus wie eine Geliebte, die plötzlich den Geliebten wiedergefunden hat; Du kannst nur schauen und hören, und in seinem Anschauen verlierst Du Dich und seine Stimme bezaubert Dich.«

      »Ja«, sagte der Jüngling, »findet Ihr einmal den Mann wieder, der Euch so das Leben gerettet hat!«

      Und er saß wieder still da mit dem seligen Gesichte und seine Augen hingen wie trunken an dem Freunde und sein Ohr lauschte nur den Worten desselben.

      Den Hauptmann aber hatte die Bemerkung des andern gegen den jungen Mann ernster gemacht. Er suchte das Gespräch auf anderes zu bringen.

      »Gisbert von Aschen ist doch noch hier?« fragte er seinen jungen Freund.

      »Gewiss.«

      »Er speist nicht mit Dir? Ihr wart befreundet!«

      »Er lebt hier sehr eingezogen. Ich sehe ihn selten.«

      »Er ist«, setzte ein anderer der Gesellschaft hinzu, »ein Sonderling, den überhaupt niemand sieht. Er hockt den ganzen Tag in seiner Stube und geht nur aus, um ein paar Geschichtskollegien zu besuchen· Heute —«

      Der Sprechende wurde von seinem Nachbar angestoßen und fuhr nicht fort.

      »O«, sagte er selbst, als wenn auch ihm klar geworden sei, dass er zu viel habe sagen wollen.

      Er warf den Blick nach einer andern Seite der Tafel. Ein Göttinger Polizeibeamter saß dort, und zu diesem hatte sich der Reisende gefunden, der vorhin als Berliner Demagogenfänger bezeichnet war. Der kleine, graue, hässliche Mann schien jedes Gesicht in der Gruppe der Studenten sich tief in das Gedächtnis prägen und jedes ihrer Worte verschlingen zu wollen.

      So sah ihn der Student, der unterbrochen war, und er sprach ruhig und laut, dass es in dem ganzen Saale zu hören war —

      »Man muss dem König von England sagen, dass er keine Spinne mehr bei sich aufnimmt!«

      Das graue Gesicht des Demagogenfängers sah aus, als wolle es Gift ausspeien.

      Die Studenten aber erhoben sich und verließen den Saal.

      »Der Franz Daniel«, sagte draußen einer, »muss heute Nachmittag mit seinem Hauptmann allein bleiben. Sie haben sich beide genug zu sagen. Aber wo treffen wir uns alle zum Abend wieder?«

      »Auf dem Ullrich!« wurde vorgeschlagen.

      »Auf dem Ullrich!« gingen sie einverstanden aus einander.

      Der Hauptmann Mahlberg und Franz Horst waren allein.

      »Heute Nachmittag gehörst Du mir«, sagte Franz zu dem Hauptmann. »Fahren wir hinter den Hainberg. Ich kenne dort eine einsame Waldschenke. Wir sind allein da.«

      »Führst Du mich nicht vorher zu Aschen?« erwiderte der Hauptmann.

      »Ah, zu ihm zieht es Dich mehr als zu mir?«

      »Ich habe mit ihm zu sprechen, notwendig.«

      »Er ist nicht hier. Vor dem Abend triffst Du ihn nicht.«

      »Ist er verreist?«

      »Ich erzähle Dir unterwegs von ihm. Fahren wir.«

      Der Hauptmann willigte ein. Er schien es nicht gern zu tun.

      Chaisen für die kleinen Ausflüge der Studenten stehen in Göttingen jederzeit zu Hunderten bereit. Sie fanden bald eine. Sie fuhren zu der einsamen Waldschenke.

      Und unterwegs erzählten sie einander; sie hatten sich so viel zu erzählen.

      »Was ist es mit Aschen?« war doch die erste Frage des Hauptmanns.

      »Er duelliert sich. Man konnte es Dir bei Tische nicht sagen.«

      »Und Du sekundierst dem alten Kameraden nicht, Franz? Bist nicht einmal dabei?«

      »Ich erfuhr es erst bei Tische, nachdem er seit drei Stunden fort war.«

      »Und warum erfuhrst Du es nicht früher?«

      »Fragen wir nachher Aschen selbst. Aber vielleicht weiß er es selbst nicht einmal. Solche Sonderlinge wissen von sich am wenigsten.«

      »Aschen ist ein Ehrenmann, Franz!«

      »Der bravste von der Welt. Ich kenne neben Euch beiden keinen dritten und nächst Dir liebe ich keinen wie ihn. Er war Dein Vertrauter; ich war nicht eifersüchtig auf ihn, ich war freilich ein Knabe. Du sprichst heute nur von ihm; ich sehne mich nach der Stunde, in der ich Dich zu ihm führen kann.«

      »Ich habe dringend mit ihm zu sprechen«, sagte der Hauptmann Mahlberg. »Sehr dringend!«

      Er sprach die Worte sehr ernst, fast finster.

      So sah er auch vor sich hin. Dann schien er einen Entschluss gefasst zu haben.

      »Ja, Franz«, sagte er, »Aschen war, ist mein Vertrauter. Du warst damals ein Kind, und was wir beide auf dem Herzen hatten, war nicht für Kinder. Du bist jetzt, wie jung Du auch noch bist, ein Mann, und wenn Du etwas auf dem Herzen hättest, würdest Du es mir anvertrauen?«

      »Ich müsste es, Mahlberg.«

      »So ist es auch mir, Du braver Freund. Aber es ist ein schweres Leid, was ich Dir mitzuteilen habe. Ich muss mich vorher sammeln. Erzähle mir zuerst von Aschen, von seinem Duell, wenn Du davon weißt.«

      »Ich weiß davon. Die Studentenduelle sind eben keine großen Geheimnisse. Du wirst es noch aus Deiner Zeit wissen. Das Duell Aschens zeigt ihn wieder ganz als den braven Sonderling. Göttingen hat einen großen Renommisten, wie jede Universität ihn zu jeder Zeit hat.

      Er ist zugleich der beste Schläger auf der Universität; darum eben ist er der große Renommist. Darum wird er aber auch von der Menge gefürchtet und kann sich manche Ungezogenheiten erlauben. Andererseits studiert hier ein armer Theologe, der von einem magern Stipendium kümmerlich leben muss. Erste Bedingung dieses Stipendiums ist, dass es ihm verloren geht, wenn er sich duelliert. Der arme Theologe kommt nun gestern zufällig in eine Gesellschaft, in welcher auch der große Renommist ist. Dieser macht sich an jenen. Der Theologe — er ist Preuße wie wir — hat die Feldzüge mitgemacht in der Landwehr; er wurde Offizier. Er geht