Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу

      »Ja diesem Augenblick schläft sie. Johann wird Nachricht bringen, wenn sie erwacht.«

      »Ich bedaure nur«, sagte die junge Frau, »dass ich nicht lange bei Euch bleiben kann. Mein armer Mann sitzt zu Warburg ganz allein bei seinen hässlichen Akten, schon die ganze Woche. Mich rief die Ernte nach Ovelgönne. Gerade heute wollte er mich zurückholen. Indes, ich habe für Ersatz gesorgt und dabei zugleich weiter gedacht.«

      Sie wandte sich an den Kellner.

      »Henriette wird die Kranke pflegen. Sie folgt mir mit dem Boten.«

      Da leuchteten auch die Augen des Kellners.

      »O Frau Obristlieutenant —« wollte er ihr danken.

      Aber sie fiel ihm ins Wort.

      »Nicht so! Hier ist kein Krieg. Ich bin die Frau Assessorin.«

      Und er dankte der Frau Assessorin.

      Der Domherr und die Frau gingen in das Haus.

      Der Kellner wollte ihnen folgen. Er wurde angehalten.

      »Kellner!«

      Der fremde Herr rief es. Er stand wieder in dem Eingange der Laube.

      Er sah den Kellner mit einem sonderbar forschenden Blicke an. Seine Augen waren schon der jungen Frau, die mit dem Domherrn in das Haus ging, mit einem so besonderen Ausdrucke gefolgt.

      »Was befehlen der Herr?« fragte der Kellner.

      »Meinen Bedienten hierher rufen!«

      Weiter hatte der Fremde nichts zu befehlen.

      »Mich darum so sonderbar anzusehen!« meinte der Kellner.

      Er ging in das Haus, den Bedienten zu rufen.

      Dann kehrte er in den Garten zurück.

      Er konnte die Ankunft seiner Braut kaum erwarten.

      Henriette Brand war nicht mehr Kellnerin.

      Der Kellner Louis oder vielmehr der preußische Lieutenant Louis Becker hatte niemals daran gedacht, in seiner Uniform und mit seinen Orden auf der Brust zu seinem alten Gewerbe zurückzukehren. Hatte er einmal dem General von Taubenheim etwas der Art gesagt, so hatte er diesem eben zeigen wollen, wie damals in gewissen Kreisen Berlins der preußische Landwehroffizier geschätzt werde. Er konnte, da für ihn kein Amt da sein sollte, um als ehrlicher Mensch zu existieren, nur seine frühere Beschäftigung wieder aufnehmen. Aber von dem ersten Augenblicke an hatte sein Vorsatz festgestanden, niemals dadurch seinen Stand, der für ihn ein doppelt ehrenwerter war, in irgendeiner Weise zu kompromittieren. Er suchte daher keinen Dienst in Preußen, wo er leicht als Offizier hätte erkannt werden können. Er beschloss, in das Ausland zu gehen.

      Als er diesen Entschluss seiner Braut mitteilte, hatte diese sofort ein Unterkommen für ihn. Der Restaurateur, in dessen Dienste sie stand, hatte sein eigentliches Geschäft in Kassel und nur für die Badesaison die Restauration in der Sägemühle bei Hofgeismar übernommen. Der Kellner Louis war nach Kassel gekommen, während Henriette in der Sägemühle blieb. Zum Herbst sollte nun auch Henriette nach Kassel zurück.

      Da hatte aber die Frau Karoline Friedrichs Widerspruch eingelegt.

      »Das taugt nichts, dass Ihr beide als Brautleute in demselben Hause seid. Es taugt überhaupt für eine Frau, die künftig einmal eine tüchtige Hauswirtin und eine ordentliche Frau werden will, nicht, wenn sie in ihrem Leben nur Kellnerin gewesen ist. Ich habe daher einen Vorschlag für Sie, mein Kind. Ich bin nun die Frau Assessor in Warburg und kann nur noch höchstens alle acht Tage einmal nach Ovelgönne hinauskommen, muss dort also eine tüchtige und treue Person haben, die für mich die Aufsicht führen und auf die ich mich verlassen kann.«

      Henriette hatte zwar ihrerseits widersprechen wollen, indes nur, weil sie sich nicht so viel zutraue, einer so großen Wirtschaft, wie auf Ovelgönne vorstehen zu können. Allein die Frau Assessor hatte nicht nachgegeben.

      So war die hübsche vormalige Kellnerin Henriette Brand jetzt Wirtschafterin auf Ovelgönne.

      Ihren Platz auf der Dahlheimer Sägemühle nahm aber in dieser Badesaison ihr Bräutigam Louis Becker ein.

      Einmal in der Woche sahen sie sich; der Kellner kam nach Ovelgönne oder die Wirtschafterin zu der Sägemühle; freilich konnten sie nur eine kurze Zeit, manchmal kaum eine halbe Stunde beisammen sein.

      Heute sollten sie auf längere Zeit zusammen sein.

      Der Kellner Louis blickte sehnsüchtig zu dem Berge hinauf, über den das Mädchen kommen musste.

      Der fremde Herr in der Laube hatte unterdes seinem Bedienten einen Befehl gegeben. Der Bediente war in das Haus geeilt. Gleich darauf war aus diesem ein zweiter älterer Herr zu dem ersten in die Laube gegangen. Es war ein feiner, nicht gerade großer Herr, von etwas gebückter Haltung; man glaubte gleichwohl, ihm den Soldaten anzusehen.

      Beide Herren blieben in der Laube.

      Der Kellner aber erhielt Gesellschaft.

      »Hol’ über!« hatte es am jenseitigen Ufer der Diemel gerufen.

      Der Fährkahn hatte einen jungen Menschen herübergeholt.

      Der Kellner kannte ihn.

      »Bernhard!«

      »Herr Becker!« sagte der Bursche.

      Er durfte es sagen.

      »Herr Becker, was macht die Kranke?«

      Es war auch die erste Frage des Burschen.

      Der Kellner teilte ihm mit, dass es nicht gut um die Kranke stehe.

      Bernhard machte ein bedenkliches Gesicht zu der Nachricht.

      »Der Herr Mahlberg will zu ihr. Er will sich nicht mehr zurückhalten lassen. Und der Herr von Schilden ist auf dem Wege hierher.«

      »Und wo ist der Herr Mahlberg?« fragte der Kellner.

      »Drüben im Berge mit dem Herrn Baron. Ich habe sie in einer Schlucht verborgen.«

      »Und wo ist der Herr von Schilden?«

      »Er muss bald hier sein. Ich war die Nacht im Gebirge, um mich nach ihm umzusehen. Er hatte seine Leute nach allen Richtungen ausgesandt, um die Spur des Domherrn und der Kranken zu suchen. Gegen Morgen hatten sie sie gefunden; ein Wagen mit zwei Herren und seiner kranken Frau war zwischen Karlshafen und hier über die Diemel gesetzt und dann in der Richtung nach Hofgeismar oder hierher weiter gefahren. Ein Gendarm jagte mit der Nachricht sofort nach Karlshafen, wo der Herr von Schilden darauf wartete. Vor zwei Stunden kann er sie erhalten haben. Ist er dann sogleich abgereist, so kann er in einer halben Stunde hier sein.«

      »Weiß der Herr Mahlberg das alles?« fragte der Kellner.

      »Ich musste es ihm mitteilen.«

      »Und er will dennoch hierher? Er wird auf der Stelle wieder gefangen genommen werden.«

      »Das sagte ihm auch der Herr Baron. Aber er erwiderte ihm, er habe sein Ehrenwort gegeben, seine Frau nicht zu verlassen; umso mehr müsse er bei ihr sein, wenn der Herr von Schilden komme.«

      »Und wenn er nun erst wüsste, wie der Zustand der Kranken sich verschlimmert hat!«

      »Hören Sie, Herr Becker, stirbt die Frau, so nimmt er sich das Leben. Es sei sein Tod, das hat er mehrmals zu dem Herrn Baron gesagt. Wenn ich ihm die Nachricht bringe —«

      »Sprich mit dem Domherrn«, sagte der Kellner zu dem Burschen.

      Bernhard ging in das Haus.

      Von Hofgeismar her hörte man den Trab mehrerer Pferde näher kommen. Wenige Augenblicke darauf sprengte ein einzelner Reiter in die Schlucht; drei andere folgten ihm.

      Alle vier waren Offiziere.

      Der erste stieg am Hause ab, warf einem Hausknecht die Zügel seines. Pferdes zu, erblickte den Kellner.

      »Louis!«