Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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im Schein der Straßenlampen hinter einem dreckigen Lederball herliefen, menschenleer. Beverly parkte in einem Hinterhof, neben einem großen Garagenkomplex und ging durch eine dunkle Unterführung zur Stirnseite der Häuserblocks. Ein locker wirkender junger Mann öffnete ihr. Er stellte sich als Roger Clark vor und ließ sie herein. Er betreute zusammen mit zwei anderen einen Unterschlupf für Jugendliche und junge Erwachsene. Sie gingen die Stufen hinunter, die Bässe lauter Rockmusik hallten dumpf durch das Treppenhaus. In einem großen Kellerraum standen etliche zerschlissene Sessel um einen alten Billardtisch. Mindestens fünfzehn Leute hatten es sich hier bequem gemacht. Zwei blonde Männer, Beverly schätzte sie auf höchstens zwanzig, standen mit Queues in den Händen, und einer von ihnen visierte die Lage der Kugeln. In der hinteren Ecke saßen vier Jugendliche, sicherlich keiner älter als siebzehn, in zerschlissenen Jeans und rauchten. Als sie Beverly sahen, steckten sie die Köpfe zusammen, sie tuschelten. Zwei von ihnen trugen Baseballkappen, einer hatte sich ein Tuch um den Kopf gebunden, der vierte hatte kurz geschorene schwarze Haare. Sie begannen zu lachen, dann sah einer zu ihr herüber. Die Musik war so laut, dass Beverly kein Wort verstehen konnte. Clark nahm das Foto, er hielt es einem nach dem anderen unter die Nase. Beverly stand im Türrahmen, sie konnte sehen, wie sie den Kopf schüttelten. Clark diskutierte mit den Jungs aus der Ecke, aber auch die Vier schüttelten den Kopf. Dann erhoben sie sich gemeinsam, wie auf Kommando, und kamen auf sie zu. Einer nach dem anderen verließ den Keller und jeder von ihnen rempelte sie demonstrativ im Vorbeigehen an. Der dunkelhaarige sah ihr dabei in die Augen und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

      Das Foto erreichte den Billardtisch. Die Männer warfen einen Blick auf das Bild, dann wandten sie sich wieder dem Spiel zu. Nichts. Roger Clark begleitete Beverly wieder hinauf. „Die Jungs hier sind nicht sehr kooperativ. Sie stehen der Polizei grundsätzlich feindselig gegenüber. Fast alle sind regelmäßig straffällig. Einige von ihnen waren bereits im Knast. Sie werden entlassen, wissen nicht, wohin, kriechen hier wieder unter und bauen den nächsten Mist. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte.“

      „Ist schon in Ordnung, ... danke.“ Beverly verließ den Häuserblock und ging zurück zum Wagen. Sie war gerade in der Mitte der Unterführung, die sie wie ein enger Tunnel umschloss, als sich die Schattenrisse zweier Männer am Ausgang aufstellten. Sie verlangsamte ihre Schritte, blieb stehen und kniff die Augen zusammen. Sie erkannte die Jungs mit den Baseballmützen, sie hörte Schritte hinter sich. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. Da standen die anderen beiden.

      „Denkt nicht mal dran“, brachte sie laut und mit fester Stimme hervor. Nichts geschah. Sie warteten darauf, dass ihre Beute den ersten Schritt tat. Sie waren keine Kinder mehr. Jugendliche ihres Kalibers waren genauso brutal wie erwachsene Männer, das wusste Beverly. Das einzige, was diesen Kerlen Respekt eingeflößt hätte, wäre ihre Waffe gewesen, doch die lag im Wagen.

      Sie rührte sich nicht. Sollten diese Jungs den ersten Schritt tun.

      Es waren nur Augenblicke, Augenblicke, die ihr wie eine Ewigkeit erschienen. Dann gab einer das Kommando. „Packt euch die Schlampe!“ Sie gingen von beiden Seiten auf sie zu, gleichzeitig setzte Beverly sich in Bewegung, ging den beiden, die vom Parkplatz her kamen, entgegen. Ihr Herz raste, und sie entschied sich für den größeren. Ich schwör dir, es wird weh tun. Er war jetzt nah genug. Im Bruchteil einer Sekunde sprang Beverly ihm entgegen und trat ihm so gezielt gegen die Schulter, dass es ihn rücklings von den Beinen holte. Mit einem dumpfen Aufschlag landete er auf dem Rücken. Sie sprintete los. Hinter sich hörte sie die Bande fluchen. Sie würden schneller sein. Während sie rannte, zog sie den Schlüssel aus der Jacke. Sie wusste, ihr Vorsprung würde nicht reichen. Sie würde es nicht schaffen, weil sie den Wagen aufschließen musste.

      Der Puls schlug ihr bis in den Hals, als sie das Auto erreichte. Sie schaffte es nicht einmal mehr, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Sie wurde von hinten gepackt. Einer erstickte ihren Schrei mit seiner Hand. Sie begann zu treten, um sich wenigstens die anderen vom Hals zu halten, doch sie hatte keine Chance. Der Schwarzhaarige schleuderte sie zu Boden. Der Stoff ihrer Jacke riss dabei, sie schlug hart mit dem Kopf auf. Der Schmerz machte sie benommen, einen Moment lang wurde ihr schwarz vor Augen, aber dann versuchte sie aufzustehen. Einer drückte ihre Schultern zu Boden, und sie begann wieder zu treten. Sie hatten anscheinend keine Waffen. Sie würde sich wehren, bis es nicht mehr ging.

      „Das Dreckstück braucht es auf die harte Tour“, sagte der Dunkelhaarige. Er schlug ihr ins Gesicht. Während die anderen ihr die Arme festhielten, schlug er immer wieder zu. Sie schmeckte Blut. Er hörte auf und riss an ihrem Pulli, bis der Stoff nachgab.

      „Seid ihr bescheuert?“ Es war eine kalte, harte Stimme, die das sagte, und augenblicklich ließen sie von ihr ab. „Sie ist ein Bulle.“

      Es war der blonde Mann, den sie vorhin am Billardtisch gesehen hatte und sie schienen höllischen Respekt vor ihm zu haben. Sie reagierten augenblicklich, schlichen an ihm vorbei und verschwanden im Dunkel der Unterführung. Er stellte sich vor Beverly hin, sah auf sie herab und beobachtete sie, während sie sich mühsam erhob. Sie taumelte, lehnte sich rücklings an den Wagen und wischte sich mit dem Ärmel das Blut vom Mund.

      Nur die Tatsache, dass sie Polizistin war, hatte sie vor Schlimmerem bewahrt. Beverly sah die Erregung im Gesicht des Mannes. Sie war sich sicher, wäre sie jemand anders gewesen, hätte er dem Ganzen bis zum Ende zugesehen.

      Er hob den Autoschlüssel auf und hielt ihn ihr vor die Nase. „Und jetzt sag fein danke, Puppe.“

      Beverly schluckte. Sie würde sich nicht von ihm demütigen lassen. Sie schaute ihm in die kalten blauen Augen, und schwieg. Sie hielt seinen Blick aus, sie bemerkte wie seine Lider zu zucken begannen. Dann ließ er den Schlüssel fallen, der Bund landete vor ihren Füßen. Der Mann drehte sich um und ging. Sie wartete, bis seine Umrisse im Dunkel verschwunden waren, dann nahm sie den Schlüssel. Sie stieg in den Wagen, verriegelte ihn von innen. Mit zitternden Händen nahm sie das Funkgerät und hetzte den Jungen eine Meute Polizisten auf den Hals.

      Als Beverly im Yard ankam, war die Besprechung in Whitefields Büro bereits beendet. Die Tür ging gerade auf, Miller kam ihr mit genervtem Blick entgegen. Der Ausdruck seines Gesichts änderte sich in dem Moment, als er sie sah und die Kinnlade fiel ihm herunter. Stanton war hinter Miller, er blieb mit ähnlichem Gesichtsausdruck stehen. „Meine Güte“, entfuhr es ihm, und Henderson rempelte ihn beinahe um, weil ihr entsetzter Blick nur auf Beverly ruhte. Millers Kinnlade kam wieder in Form. „In welchen Rattenstall bist du denn geraten?“, kläffte er.

      Sands ging, ohne irgendetwas zu sagen, an ihnen vorbei auf sie zu. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und bugsierte sie an den anderen vorbei in Whitefields Büro. Jetzt traten auch Miller, Henderson und Stanton einen geordneten Rückzug in den stickigen Raum an. Beverly schaute sie an. Sie konnte zwar verstehen, dass es die Kollegen interessierte, was geschehen war, aber es störte sie gewaltig, dass Miller in dieser Runde saß. So entschied sie sich, die Sache kurz zu halten, auf das Wichtigste zu beschränken. „Sie haben die Bande einkassiert“, begann sie ihre Ausführungen. Sie schilderte beinahe emotionslos den Tathergang und vermied es, ins Detail zu gehen. Sie erzählte, dass die uniformierten Kollegen die Jungen festgenommen hatten und sie auf eine sofortige Gegenüberstellung bestanden hatte. Sie war im Krankenhaus gewesen. Sie hatte Fotos ihrer Verletzungen schießen lassen, die als Beweismaterial für eine spätere Gerichtsverhandlung dienen würden. Die Kopfwunde wurde genäht. Beverly hatte die Klinik anschließend sofort wieder verlassen, weil sie Krankenhäuser hasste. „Das war’s dann“, schloss sie abrupt.

      Alle schauten sie schweigend an. Sie sah das zornige Funkeln in Sands Augen. Hätte er auch nur einen dieser Kerle in die Finger gekriegt ... Beverly dachte lieber nicht weiter darüber nach. Sie war sich sicher, dass er genau wusste, was in ihr vorging, dass er es am Ausdruck ihres Körpers, an ihrer Mimik und Gestik erkannt hatte. Ihm war klar, dass sie in dieser Runde nicht mehr hatte sagen können und wollen. Sie hatte kein Wort über ihre Empfindungen verloren, über die Angst, die Demütigung und das Ausgeliefertsein, über den Gedanken daran, dass es anders hätte enden können. Beverly war sich bewusst, dass die inneren Wunden, die diese Straßengang ihr zugefügt hatte, wesentlich schwerer wogen als die Platzwunde am Hinterkopf, die aufgeschürfte Stelle an ihrer Schulter oder die Schwellungen