Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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Korridor. An den Wänden hingen Fotos von überdimensionalen Blüten.

      „Ich habe ihn in den Aufenthaltsraum bringen lassen. Sein Zimmer ist schließlich Privatsphäre.“

      „Natürlich, mir ist es nur wichtig, mit ihm zu sprechen.“

      „Ja, ja.“

      Sie bogen in einen Querflur ab und gingen auf eine Glastür zu. Miss McIntyre öffnete die Tür, Licht strömte ihnen entgegen. Die hintere Wand des Aufenthaltsraumes bestand aus großen Fenstern, durch die man auf eine riesige Rasenfläche sehen konnte. Grüne Polstersessel waren um kleine runde Tische gruppiert, in einem Regal standen Bücher und Schallplatten. Dr. Gordon saß in einem der Sessel, und McIntyre stellte sich demonstrativ neben ihn.

      „Ich würde Dr. Gordon gern allein sprechen.“

      „Muss das sein?“

      „Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich werde behutsam mit ihm umgehen.“ Herr Gott, als wollte ich ein Geständnis aus ihm herausprügeln.

      Sarah McIntyre zuckte ein wenig mit der Nasenspitze; es war ihr anzusehen, dass sie der Aufforderung nur höchst ungern nachkam. Betont langsam schritt sie zur Tür und warf Beverly einen pikierten Blick zu.

      Dr. Gordon war ein stämmiger, kleiner Mann mit einem rundlichen Bauch. Zu einer grauen Hose und einem hellen Hemd trug er eine dunkelblaue Strickjacke. Seine Füße steckten in Filzpantoffeln, an der rechten Hand trug er zwei große Siegelringe. Er war frisch rasiert, seine dünnen grauen Haare waren zurückgekämmt.

      „Du bist doch Sarah“, krächzte er heiser. Deine Mutter hat doch in der gleichen Straße gewohnt wie mein Cousin. ... Der muss jetzt in den Krieg.“ Dr. Gordon hatte seine Hände auf die Lehnen gelegt.

      Beverly hockte sich neben den Sessel und betrachtete die runzelige Haut des alten Mannes. „Ich bin Beverly Evans. Ich würde gern etwas über Maggie Hunter und Tim Wilson erfahren.“

      Er schaute sie verständnisvoll an. „Ja, Tim Wilson ist auch nicht wiedergekommen aus dem Krieg. Er hat ja beide Beine verloren. Dann ist er jedenfalls gestorben. Die hatten ja so viele Ratten im Haus, und nichts zu essen. ... Ich muss gleich zu meinen Patienten. Das Wartezimmer ist voll.“ Er wollte sich erheben, doch Beverly hielt ihn mit leichtem Druck im Sessel fest.

      „Tim Wilson kann nicht im Krieg gewesen sein. Er hat bei Maggie Hunter gewohnt. Ich muss mit Ihnen über Tim Wilson reden. Sie kannten ihn doch?“

      „Tim Wilson. Ja, sicher, den kannte ich. Beide Beine weg. Ist er schon im Wartezimmer?“

      „Dr. Gordon.“

      „Ja, ich weiß, wir müssen vorsichtig sein … wegen der Bomben.“

      Beverly seufzte. Es hatte keinen Sinn. Die Menschen, die er gekannt und die Zeiten, die er durchlebt hatte, all das war für Dr. Gordon jetzt in diesem Aufenthaltsraum in irreführender Weise präsent. Hier würde sie nie erfahren, ob der alte Mann Timothy St. Williams gekannt hatte.

      Beverly erhob sich langsam. Sie hatte so etwas befürchtet, als sie am Telefon die Auskunft erhielt, dass Dr. Gordon unter fortgeschrittener Demenz litt. Sie hatte es wenigstens versucht. Sarah McIntyre geleitete sie in frostiger Stimmung zum Hauptausgang. Als Beverly draußen die frische kalte Luft spürte, atmete sie tief durch. Herr, lass mich lieber jung als im Zustand geistiger Umnachtung sterben.

      Bis auf die beiden Mitarbeiter von Scotland Yard war das Foyer menschenleer. Beverly und Harold Sands hatten sich bei einer Tasse Tee niedergelassen um den Sachstand auszutauschen.

      „Ich habe nichts herausgefunden“, begann Beverly. Dr. Gordon ist so durcheinander, dass er glaubt, wir befänden uns noch im Krieg. Wie war’s bei dir?“

      „Ich habe inzwischen mit Whitefield telefoniert. Ich denke er ist erleichtert, dass er morgen mit neuen Details in die Pressekonferenz gehen kann. St. Williams ist tatsächlich unter dem Namen Tim Wilson in der Greenwood Street gemeldet gewesen. Er hat sich dort nie abgemeldet. Nachdem die Behörden festgestellt hatten, dass dort niemand mehr wohnt, wurde lediglich ein unbekannt verzogen vermerkt.“

      „Und die Kripo?“, forschte Beverly.

      „Fehlanzeige, er ist in keiner Kartei.“

      Sie seufzte. „Das war’s dann wohl. Fahren wir zurück nach London?“ Sands nickte.

      Im Yard herrschte reges Treiben. Die Leute von der Spurensicherung eilten an ihnen vorbei, Arthur Hays hetzte ihnen hinterher.

      „Was ist los?“, fragte Beverly im Vorbeigehen, und Hays warf ihr eine kurze Antwort hinterher.

      „Mord an zwei Prostituierten.“ Es waren also inzwischen schon fünf Tote in der Serie von Prostituiertenmorden. Beverly seufzte. Der Kreislauf aus Drogen und Prostitution machte Straßenhuren zu unkomplizierten Opfern. Sie standen zu sehr unter Druck, um wählerisch zu sein.

      Beverly kannte die Szene nur zu gut. Sie erschauerte noch jetzt bei dem Gedanken an das vierzehnjährige Mädchen, das sie vor zwei Jahren aus der Themse gefischt hatten. Es gab nicht einmal eine Vermisstenmeldung. Sie war ein Kind, ein Junkie, der ausgemergelte Körper von Einstichen übersät, die Venen vernarbt, Spuren von Misshandlungen am ganzen Körper. Sie wurde vergewaltigt, umgebracht und wie ein Stück Müll in den Fluss geworfen. Das Mädchen hatte keine Chance gehabt, dem tagelangen Martyrium zu entgehen. Sands Team hatte die drei Täter wider Erwarten schnell gefasst. Beverly war damals mit Miller im Autopsiesaal gewesen und hatte den fachlichen Ausführungen von Dr. Morrow gelauscht, während Hank sich in gebührendem Abstand vom Seziertisch bemüht hatte, nicht aus den Latschen zu kippen. Das hatte ihn jedoch nicht daran gehindert, anschließend seine Meinung darüber kundzutun, dass solcherlei Mädchen ohnehin an allem selbst die Schuld trugen.

      Dr. Morrow arbeitete seit über zwanzig Jahren als Gerichtsmediziner. Er arbeitete absolut zuverlässig. Er war ein Meister auf seinem Gebiet. Auch wenn Beverly seine Kompetenz und sein Können schätzte, es fiel ihr schwer, seine Art zu ertragen. Sie kannte Pathologen, die trotz der notwendigen Distanz ihre Menschlichkeit bewahrt hatten. Dr. Morrow hingegen war während seiner langjährigen Arbeit derart abgestumpft, dass ihm selbst der Körper eines toten Kindes keine Gefühlsregung mehr abverlangte. Innerlich verabscheute sie ihn für seine Kälte, und sie wusste, dass auch Sands das tat.

      Whitefield hatte seine Nase in einen Stapel Papier gesenkt und arbeitete mit einem Kugelschreiber darin herum. Als er den Luftzug spürte, der mit Sands und Evans in sein Büro strömte, blickte er auf. „Gute Arbeit, wirklich gute Arbeit“, begrüßte er sie, in der Tat war sogar der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. „Hier, zwei Angebote für Klavierunterricht.“ Der Superintendent hob die Zeitung hoch, die direkt neben seinem Papierberg lag.

      „Es stehen Telefonnummern dabei. Henderson und Miller überprüfen die Sache, Sie wissen schon.“ Er streckte Ihnen seine Hand entgegen. „Die Fotos?“ Er betrachtete die beiden Bilder eingehend und heftete sie zu Laurie Hardin und Sheila Moreno an die Pinwand. „Stanton ist bei der Meldebehörde. Sie prüfen die Daten, ob ein Tim Wilson gemeldet ist, der als Verdächtiger in Frage kommt.“

      „Ich glaube allerdings, dass es wenig Zweck haben wird“, bemerkte Sands und zog die Augenbrauen zusammen. „Er hat sich in Coventry nicht abgemeldet, wenn er in London ist, wird er sich nicht angemeldet haben. Er schlägt sich vermutlich irgendwie durch. Ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass er irgendwann einmal in einer dieser Obdachlosenunterkünfte aufgetaucht ist.“

      „Könnte sein“, brummte Whitefield in sich hinein und nahm das Foto von St. Williams wieder von der Pinwand. „Bringen Sie das in die Technik, Evans. Lassen Sie es vergrößern und vervielfältigen.“ Er gab Beverly das Bild in die Hand und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. „Das Bild darf nicht in die Zeitung. Wir wollen ihn nicht warnen, Sie wissen schon.“ Er räusperte sich. „ Ich will, dass Sie vor Ort ermitteln. Schnappen Sie sich das Foto und klappern Sie alle verdammten Obdachlosenheime ab!“

      „Ich