Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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Arbeit abnehmen.“

      „Tun Sie das“, brummte Whitefield. „Meinen Segen haben Sie. Und Evans. Morgen geht’s los. Also sehen Sie zu, dass wir die Fotos rechtzeitig auf dem Tisch haben, klar?“ Dann komplimentierte er seine Mitarbeiter mit einer ungeduldigen Handbewegung aus dem Büro.

      „Unterkünfte, Wohnheime, Schlafstellen, Wärmestuben, Bahnhofsmissionen – ohne die umliegenden Reviere ist das im Großraum London tatsächlich nicht zu schaffen“, stelle Beverly fest und starrte auf die Endlosliste, die Sands Computer ausgespuckt hatte. „Da kommt ja einiges auf uns zu, Harold.“

      „Zweifellos. Ich werde mich gleich ans Telefon hängen und als Erstes die Bereitschaft der umliegenden Reviere abklopfen, dann kann ich ungefähr einschätzen, mit welchem Maß an Unterstützung wir rechnen können. Danach werde ich mich um die Aufteilung der Gebiete kümmern. Spätestens morgen früh werden wir sehen, wie viel Arbeit für jeden von uns bleibt.“

      „Du setzt dich mal wieder ganz schön unter Zeitdruck. Du arbeitest zu viel“, konstatierte sie.

      „Kein Kommentar. Ich habe gerade erst gestern einen Blick auf dein Überstundenkonto geworfen.“

      Tja, Beverly, wer im Glashaus sitzt…

      Das Büro war leer, der Kaffee in der Kanne kalt. Beverly schüttete ihn in den Ausguss und telefonierte dann mit der Werkstatt. „Nein, Sie müssen das Auto sofort holen, ich brauche den Wagen spätestens morgen ... Unmöglich? ...Okay, okay, hatte ganz vergessen, dass Sie nachts nicht arbeiten.... Gut, dann holen Sie ihn.... Ja, bei Scotland Yard.“ Sie legte auf, nahm gleich wieder ab und telefonierte mit der Verwaltung, um sich für den morgigen Tag einen Dienstwagen eintragen zu lassen.

      Die Unruhe im Korridor hatte sich gelegt. Beverly hatte ihre Aktennotizen ins Sekretariat gebracht, um sie tippen zu lassen. Mit den Fotos in der Hand machte sie sich auf den Weg in die technische Abteilung der Spurensicherung. An der Zwischentür kam ihr Fleming entgegen, er hielt mit dem Rücken angelehnt den Türflügel auf, um sie durchzulassen. Er war mit einem Stapel Akten bepackt und sah sie an.

      „Beverly, Sie sind schon zurück?“

      „Leibhaftig, wie Sie sehen. Wer hat Sie denn mit diesem Wust an Arbeit bepackt?“

      „O’Brian. ... Er meint zwar, es würde ohnehin nichts bringen, aber ich soll mir trotzdem das von Waterman erstellte Täterprofil noch einmal ansehen. Es geht um den Mord an den beiden Prostituierten. Das hier sind die drei Fälle aus den letzten Wochen. Ich werde die Akten wohl mit nach Hause nehmen, hier komme ich zu nichts.“

      „Das geht mir genauso. Ich habe das Gefühl, dass die Tage ausnahmslos zu wenig Stunden haben.“

      „Und, wie war’s in Coventry?“

      „Fruchtbar, muss ich sagen. ... Wir haben ein Foto von St. Williams und eins von der Familie Harwood.“

      Er starrte sie an. Das oberste Dossier rutschte von seinem Stapel und fiel zu Boden. „Tatsächlich?“ Sie bückten sich gleichzeitig, sie griff die Mappe und packte sie ihm wieder auf. Sie schwiegen einen Moment.

      „Mein Auto war noch immer nicht in der Werkstatt.“ Sie lächelte.

      „Mein Angebot steht noch, ich fahre Sie. Allerdings habe ich noch einen Termin bei Dr. Morrow. Hab keine Ahnung wie lange das dauert.“

      Das wird nicht lange dauern. „Ich warte auf Sie...und Fleming, Dr. Morrow ist nichts für schwache Nerven.“

      Mit einem Lächeln drehte er sich um. Beverly schaute ihm nach, bis er hinter der Biegung des Korridors verschwand. Sie war sich sicher, dass er nicht wusste, was jetzt auf ihn zukam. Vermutlich hatte er sich die toten Prostituierten am Tatort ansehen müssen, aber Dr. Morrow bei der Arbeit zu beobachten, war etwas ganz anderes. Chief Superintendent O’Brian ging damit entschieden zu weit, den jungen Psychologen so ins kalte Wasser der Realität zu werfen. Beverly war sich sicher, dass Fleming die Härte des Lebens nur aus theoretischen Abhandlungen kannte. O’Brian hätte ihn zumindest vorwarnen müssen, und das hatte er wohl nicht getan, denn Fleming war bester Laune seinem Termin mit Dr. Morrow entgegen gegangen.

      „Wen sehen meine Augen denn da, Sergeant Beverly Evans.“ Wesley Turner grinste über das ganze sommersprossige Gesicht, seine hellen kleinen Augen funkelten. Im Neonlicht des Techniklabors leuchtete sein rotes Haar wie poliertes Kupfer. „Und, immer noch solo? Überleg es dir, Beverly. Wir zwei wären das ultimative Pärchen. Stell dir nur mal unsere Kinder vor. Selbst im größten Gedränge würden wir sie leuchten sehen.“

      Sie stellte es sich nicht vor und reichte ihm lieber das Foto. „Kannst du den Mann da rausholen und das Ganze vergrößern?“

      „Klar, kein Problem. Kommt ihr weiter mit dem Fall?“

      „Es sieht ganz danach aus, aber es kommt noch einiges auf uns zu. Kannst du mir Abzüge machen?“

      „Wie viele brauchst du?“

      „Vierzig bestimmt. Schaffst du das bis morgen?“

      „Auf jeden Fall. Ich schick sie dann zu Whitefield rauf. Und grüß Stanton von mir, er soll sich mal wieder sehen lassen, der Halunke.“

      Sie verließ das Labor, wobei sie einen kurzen Blick zu Turner zurückwarf. Er sah ihr mit einem breiten Grinsen hinterher. Sie lief die Korridore entlang und ließ ihren Blick im Vorbeigehen aus den schmalen Fenstern schweifen. Es war dämmrig, sie spürte plötzlich wie müde und erschlagen sie war. Sie ging durch die Zwischentür zu ihrer Abteilung. Dort traf sie Henderson, die anscheinend gerade erst zurückgekommen war.

      „Hey, Bev, hab schon gehört, dass ihr zurück seid. Whitefield sagte, ihr hättet ein Foto von St. Williams.“

      „So ist es.“

      „Und, wie sieht er aus?“

      „Du kannst es dir morgen ansehen. Nicht gerade wie ein typischer Täter.“

      „Wo habt ihr es gefunden?“

      „In Maggie Hunters Haus auf dem Dachboden.“

      „Aha.“ Patricia seufzte. Sie tat es so offensichtlich, dass Beverly sofort Bescheid wusste. Irgendetwas lag ihrer neuen Kollegin auf der Seele. Sie waren allein im Flur, es herrschte eine sonderbare, vom leisen Summen einer defekten Neonröhre begleitete Stille. „Wo ist Miller?“

      Henderson atmete hörbar ein. „Er hat mich hier raus gelassen und ist gleich weitergefahren.“ Sie schaute auf ihre Schuhe, drehte den rechten Fuß hin und her. Beverly spürte die Anspannung der jungen Kollegin und ihr schwante, dass etwas zwischen ihr und Miller geschehen sein musste.

      „Hast du dich mit Miller angelegt?“ Henderson schwieg, sie wich Evans prüfendem Blick aus.

      „Wenn ihr im Dienst aneinandergeratet, dann ist das keine Privatsache, Pat. Was ist los?“

      Henderson blickte zornig auf. „Wieso bist du eigentlich mit Sands nach Coventry gefahren? Ich sollte doch mit ihm zusammenarbeiten.“

      „Du hast Recht“, lenkte Beverly ein. „Grundsätzlich sollst du das auch. Coventry war nur eine Ausnahme. Und jetzt raus mit der Sprache: Was war mit Miller?“ Eigentlich kann ich’s mir denken.

      Die Wut war aus Pats Gesicht gewichen und hatte einem bekümmerten Ausdruck Platz gemacht. „Ich hab ihm eine geknallt.“

      Beverly hatte Mühe, ihr spontan aufkommendes Lächeln zurückzuhalten. Dann hat er’s auch verdient.

      „Er ist aufdringlich geworden, da ist es halt passiert. Und was jetzt? Was ist, wenn er mich anschwärzt?“

      „Das wird er nicht tun!“

      „Glaubst du das wirklich, Bev?“

      „Ja. Dann käme auch sein mieses Verhalten auf den Präsentierteller. Du solltest es Whitefield sagen. Bei unserem guten Hank kommt inzwischen einiges zusammen.“