»Hier, lesen Sie doch diese Proklamation! Die Stadt ist ruhig, es hat keine Gefahr.«
»Ach, dieser Graf ist ein Heuchler und bringt das Volk zum Aufstand.« Peter fuhr fort, seine Karten zu legen. Die Patience gelang, aber er ging doch nicht zur Armee und blieb in Moskau, das sich alle Tage mehr entvölkerte. Die Fürstin verließ ihn am folgenden Tage. Sein Intendant kündigte Peter an, daß das Geld für die Ausrüstung des Regiments nicht anders angeschafft werden könne als durch den Verkauf eines seiner Güter, und stellte ihm vor, diese Phantasie werde ihn ruinieren.
»Verkaufen Sie es!« erwiderte Peter lachend. »Ich kann mein Wort nicht zurückziehen!«
Die Stadt war schon halb verlassen. Julie war abgereist, sowie auch die Fürstin Marie. Von allen seinen Bekannten waren nur noch Rostows da, aber Peter besuchte sie nicht mehr.
Am 24. August abends verließ Peter Moskau. Auf der Station Perchuschkowo, wo er einige Stunden später ankam, hörte er, daß eine große Schlacht stattgefunden habe. Man erzählte, in Perchuschkowo habe die Erde gezittert während der Kanonade, aber niemand konnte ihm sagen, auf welcher Seite der Sieg geblieben war. Das war das Gefecht von Schewardino. Bei Tagesanbruch kam Peter in Moschaisk an.
Alle Häuser waren von Soldaten besetzt, in dem Gasthof fand er seinen Diener und seinen Kutscher, welche ihn erwarteten. Sechs Zimmer waren voll von Offizieren und immer neue Truppen marschierten vorüber. Überall sah man nur Infanterie, Kosaken, Reiter, Bagagewagen, Pulverwagen und Kanonen. Peter beeilte sich, seine Reise fortzusetzen. Je mehr er sich von Moskau entfernte und in diesen Ozean von Truppen eindrang, um so mehr fühlte er sich von einer Unruhe erfaßt und von jener inneren Genugtuung, die er während der Anwesenheit des Kaisers in Moskau empfunden hatte, als es sich darum handelte, ein Opfer zu bringen.
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Am 24. fand das Gefecht bei Schewardino statt, am 25. fiel von keiner Seite ein Schuß und am 26. erfolgte die blutige Schlacht bei Borodino. Man fragt sich erstaunt, warum diese Schlachten geliefert wurden; denn sie konnten weder den Russen noch den Franzosen Vorteile bieten. Napoleon lieferte die Schlacht und Kutusow nahm sie an.
Bis zur Schlacht von Borodino standen unsere Streitkräfte zu denen des Feindes im Verhältnis von fünf zu sechs, und nach der Schlacht im Verhältnis von eins zu zwei, und dennoch hatte der erfahrene Kutusow die Schlacht angenommen, welche Napoleon den vierten Teil seines Heeres kostete. Gegen die Behauptung, daß Napoleon den Feldzug zu beendigen glaubte, indem er Moskau nahm, wie er Wien eingenommen hatte, sind viele Gegenbeweise vorhanden. Die Geschichtsschreiber jener Zeit selbst erzählen, daß er seit Smolensk die Möglichkeit suchte, anzuhalten, weil er die Gefahr der zu großen Ausdehnung seiner Operationslinie erkannte und voraussah, daß die Besetzung Moskaus für ihn kaum ein günstiger Ausgang wäre, je nach dem Zustand, in dem man ihm die Stadt überlassen werde, und nachdem er auf seine wiederholten Versuche, Friedensverhandlungen anzuknüpfen, keine Antwort erhalten hatte. Somit handelten beide, indem sie die Schlacht anboten und annahmen, unsinnig und planlos. Aber man hat später in dem Gang der Ereignisse zahlreiche Beweise zu finden geglaubt für das Genie der beiden Anführer, welche sicherlich nur blinde Werkzeuge Gottes waren.
Die Schlacht bei Borodino verlief anders, als man sie beschrieben hatte, um die Fehler unserer Generale zu verbergen. Sie wurde nicht auf einem Schlachtfeld geliefert, das zuvor gewählt und sorgfältig befestigt worden war, und auch nicht nur mit einer kleinen Minderzahl auf seiten der Russen, sondern sie wurde von ihnen in einer offenen Ebene angenommen, nach einem verlorenen Gefecht und gegen französische Streitkräfte von doppelter Anzahl, also unter Bedingungen, wo es vorauszusehen war, daß die Armee sich nicht drei Stunden halten konnte, ohne eine vollständige Niederlage zu erleiden.
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Peter verließ Moschaisk am Morgen des 25. August. An der Anhöhe, auf welcher die Kirche stand, verließ er den Wagen. Ein Regiment Kavallerie folgte ihm unmittelbar nach und diesen entgegen kam eine lange Reihe Wagen herauf, die Verwundete vom vergangenen Tage brachten. Jeder Wagen enthielt drei oder vier Verwundete, welche auf dem holperigen Weg heftige Stöße erlitten.
Sein Kutscher rief zornig den Bauern zu, sich auf einer Seite des Weges zu halten. Das Regiment, welches herankam, nahm die ganze Breite ein, Peter selbst war genötigt, anzuhalten. Einer der Wagen mit Verwundeten hielt zwei Schritte von ihm, der Führer hob hastig einen Stein auf und schob ihn unter die Hinterräder.
Die Straße wurde weniger steil, Peter konnte den Berg hinabkommen und sich in den Wagen setzen. Die ihm begegnenden Soldaten betrachteten erstaunt seinen weißen Hut und seinen grünen Rock. Nachdem er so vier Werst zurückgelegt hatte, bemerkte er ein bekanntes Gesicht. Es war einer der höheren Ärzte des Heeres, begleitet von einem Gehilfen. »Herr Graf!« rief der Arzt. »Wie kommen Sie hierher, Erlaucht?«
»Ich wollte sehen …«
»Ja, ja, hier können Sie Ihre Neugierde befriedigen.«
Peter stieg vom Wagen und sprach mit dem Arzt von seiner Absicht, an der Schlacht teilzunehmen. Der Arzt riet ihm, sich direkt an Kutusow zu wenden. »Ich hätte Sie gern hingeführt, aber ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Morgen wird eine Schlacht geschlagen, und auf hunderttausend Mann werden wenigstens zwanzigtausend Verwundete zu rechnen sein, nicht wahr? Und nun haben wir weder Tragbahren, noch Hängematten, noch Ärzte auch nur für sechstausend. Wir haben wohl zehntausend Wagen, aber man muß auch noch andere Sachen haben, und immer antwortet man uns: ›Sehen Sie, wie Sie zurechtkommen‹.«
Peter setzte seinen Weg nach Gorky fort. Auf der Höhe angekommen, bemerkte er zum erstenmal Leute vom Landsturm im weißen Hemd, ein Kreuz auf der Mütze, welche laut lachend und schwatzend rechts von der Straße auf einem kleinen Hügel arbeiteten.
»Man will jetzt mit dem ganzen Volk den Feind zurücktreiben«, sagte der eine.
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Peter stieg die Anhöhe hinauf, wohin ihn der Arzt gewiesen hatte. Es war elf Uhr morgens. Die Sonne beleuchtete durch die reine, klare Luft das lebensvolle Panorama, das sich vor seinen Augen ausbreitete. Links zog sich die große Straße von Smolensk nach Moskau hin, welche ein Dorf mit seiner weißen Kirche durchschnitt, das fünfhundert Schritte weiter vorwärts, am Fuße eines Hügels lag. Das war Borodino. Ein wenig weiterhin überschritt die Straße eine Brücke und stieg noch weiter hinab, bis zum Dorf Walujew, in einer Entfernung von fünf oder sechs Kilometern. Jenseits dieses Dorfes, wo in diesem Augenblick sich Napoleon aufhielt, verschwand die Straße in einem dichten Gehölz, aus welchem in der Sonne ein vergoldetes Kreuz hervorglänzte und der Glockenturm des Klosters Kolozk. In der blauen Ferne links und rechts von dem Wald und der Straße sah man die Wachtfeuer und die Massen unserer Truppen. Rechts, längs der Kolotscha und der Moskwa erblickte das Auge eine lange Reihe von Hügeln und Terrainfalten, inmitten welcher die Dörfer Bessubowo und Sacharino liegen, sowie die rauchenden Trümmer des Dorfes Semenowskoje.
Das alles sah Peter in unbestimmten Umrissen. Es war kein Schlachtfeld, wie er es sich vorgestellt hatte, sondern offene Felder, Lichtungen, Gehölze, Dörfer, Bäche, so daß er trotz aller Mühe nicht entdecken konnte, wo in diesen lachenden