Schwester Melisse. Tanja Schurkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Schurkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765571664
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sagte er, den Blick auf die eigenen Finger gerichtet, die über die Serviettenfalten strichen. Er mochte seine Hände und sah ihnen gerne bei feinsinnigen Arbeiten wie dem Klavierspiel oder dem Schreiben zu.

      Elkendorf schob den letzten Bissen Brot in den Mund, kaute, nahm einen Schluck Kaffee, wie um zu zeigen, dass es keine Eile geben konnte, auf solch eine Bemerkung zu antworten. Dann tupfte er sich den Mund. „Sie wissen doch, wie diese Geschichten entstehen. Am Montag lässt der Arzt den Patienten zu Ader, am Mittwoch kommt die Nonne und betet einen Rosenkranz, am Donnerstag geht es dem Patienten besser – also sagen die Leute: Ein Wunder, der Rosenkranz hat geheilt! Man kann niemandem die Gerüchte zum Vorwurf machen, die über diese Person kursieren.“

      Pregnitz ließ zu diesen Worten weder Zustimmung noch Widerspruch erkennen.

      „Sie vertreibt auch Medizin“, sagte er, „ohne dass sie eine Approbation als Apothekerin besitzt. Ich bin überrascht, Elkendorf, wo Sie doch sonst in diesen Dingen so genau sind und sich über Scharlatane beklagen!“

      „Frau von Martin hat jahrelang in einer Klosterapotheke gelernt und gearbeitet – sie besitzt vermutlich gründlichere Kenntnisse über das Arzneimittelwesen als so mancher Apotheker in dieser Stadt!“

      „Dennoch würden die Herren sich zu Recht beschweren, dass man ihr gewisse Freiheiten gewährt.“ Pregnitz schob sein Messer beiseite. „Der preußische Staat misst niemals mit zweierlei Maß!“

      „Der preußische Staat hat Frau von Martin bereits eine seiner höchsten Anerkennungen zukommen lassen für ihren Einsatz in der Verwundetenpflege …“

      „Eben deswegen darf sie nicht im Verdacht der Quacksalberei stehen! Der König selbst hat seine Unterschrift unter das Würdigungsschreiben gesetzt. Erinnern Sie sich an diese Geschichte mit der Nonne aus dem Münsterland vor einigen Jahren?“

      „Sie meinen Katharina von Emmerich?“

      „Berlin hat eine Kommission von Ärzten geschickt und etliche seiner Beamten – Brentano konvertierte zum Katholizismus und hat die Berliner Salons mit mystischem Gefasel überschwemmt. So etwas will ich hier in Köln nicht haben!“

      Elkendorf lachte kurz auf. „Maria von Martin hat weder Stigmata, noch hat sie Visionen. Sie hat auch nicht vom Erzengel Michael den Auftrag bekommen, das Rheinland von den Preußen zu befreien, noch hat sie …“

      „Noch hat Sie eine Approbation für das, was sie tut oder verabreicht“, beendete Pregnitz den Satz.

      „Schon der französische Staat ließ eine Ausnahme zu für Ordensleute und klösterliche …“

      „Es wird euch noch ausgetrieben werden, sich immerzu auf das französische Recht zu berufen! Ja, das kannte für jede Regel eine Ausnahme – ich kenne das nicht!“ Pregnitz war laut geworden. Die Kölner sollten sich nicht dazu versteigen, ein gewisses Entgegenkommen aus Berlin als Nachsicht oder gar Schwäche zu verstehen. Sie hatten nichts zu verlangen – man gewährte ihnen.

      Elkendorf lenkte ein. „Sie wünschen also, dass ich diese Angelegenheit einer näheren Überprüfung zuführe?“ Elkendorf wählte Beamtenworte, sie klangen bedeutend, pflichtbewusst.

      Von Pregnitz hatte seine Taschenuhr hervorgeholt und den Deckel geöffnet. „Nicht ich wünsche das, sondern der preußische Staat.“

      Elkendorf flüchtete sich ins Private: „Wie geht es Ihrer Gemahlin? Sollte es erforderlich sein, werde ich gerne noch einmal nach ihr sehen!“

      4

      „Beehren Sie uns bald wieder, gnädige Frau Merrem! Einen Gruß an den Herrn Medizinalrat!“ Sehlmeyer ließ es sich nicht nehmen, dieser Frau selbst die Tür seiner Apotheke zu öffnen. Er verabschiedete sie mit einer Verbeugung, war sie doch die Ehefrau des von den Preußen eingesetzten Oberrates für die medizinischen Angelegenheiten der Stadt, der damit über dem Stadtphysikus Elkendorf stand, der wiederum über die Zulassung der Apotheken und der Apotheker wachte.

      Frau Merrem nahm die Ehrbezeugung mit einem beiläufigen Nicken entgegen und vergrub ihre Hände in dem seidenbezogenen Muff. Es war nicht kalt, aber sie schien damit bekunden zu wollen, dass sie es nicht nötig hatte, etwas anzufassen, sondern stets dienstbare Geister um sich hatte, die ihr dies abnahmen.

      In dem Moment, als sie den Laden verlassen wollte, schickte sich eine andere Frau an, die Apotheke zu betreten. Mit gesenktem Blick wich sie sogleich zurück und ließ die Frau Medizinalrätin passieren. Auch die neue Besucherin, die ein funkelndes Ohreisen trug wie an einem Sonntag, war dem Apotheker nicht unbekannt, doch der Nachname wollte ihm nicht einfallen.

      „Ach, die Anna …“ Da sie nur eine einfache Frau aus der Severinstraße war, musste das genügen. „Was kann ich für dich tun?“

      Sehlmeyer kehrte hinter die Theke zurück, wo er sich in Pose stellte wie ein Feldherr, der seine „Truppen“ hinter sich wusste: eine Regalwand mit kleinen Schubfächern, vergilbte Schilder daran, aber er wusste, wo alles zu finden war; ein weiteres Regal mit Flaschen und Phiolen, darunter aufgereiht die Mörser in verschiedenen Größen und eine Anzahl Porzellanbehälter für die Teekräuter. Auf der Theke stand das wichtigste Werkzeug: drei verschiedene Waagen und allerlei Gewichte. Auf einigen stand die Bezeichnung „Gramm“ noch aus der französischen Zeit, dann gab es das Gran, das Lot und die Unze sowie einige auswärtige, für die er jedoch keine Eichbescheinigung hatte. Die Holländer, Schweizer, Bayern, Österreicher, Engländer und Sachsen fragten jedoch nicht danach.

      „Mein Mann hat eine Lungenentzündung“, sagte Anna. Sie stand da, als hätte sie Angst, etwas zu berühren. „Und ich brauche eine Salbe mit Quecksilber.“

      „Jaja! Denn eine katarrhalische Krankheit ist trocken und heiß und das Quecksilber kühlt und ist ja an sich flüssig.“ Wenn er wichtige Dinge erklärte, spannte Sehlmeyer die Wangenmuskeln an, sodass sein grauer Backenbart imposant hervorstand.

      Anna musste bei seinem Anblick an ein Äffchen denken, das ein fahrender Musikant auf dem Neumarkt vorgeführt hatte. Sie mied den Blick des Apothekers, um nicht zu lachen.

      „Was hat der Arzt denn gesagt, wie oft sie aufgetragen werden soll?“

      „Einmal über fünf Tage immer am Abend, hat die Schwester Maria gesagt.“

      „So, die Schwester Maria. Hat sie deinen Mann untersucht?“

      „Ja, und eine Salbe für die Brust hat sie auch dagelassen.“

      „Soso – Jacob, bring mir eine halbe Unze von der satten Quecksilbersalbe!“, rief Sehlmeyer seinem Gehilfen zu. Satt bedeutete, dass der Anteil an Fett sehr hoch war und er also mehr daran verdiente. „Was ist denn das für eine Salbe, die Maria euch dagelassen hat?“

      „Eine mit Minze und Kiefernnadelsaft, wenn ich’s recht verstanden habe.“

      „Das macht sie auch alles selbst, die Schwester Maria, nicht wahr? Jaja. Und untersucht hat sie deinen Mann? Wie hat sie denn das gemacht?“

      „Sie hatte so einen Trichter dabei. Mit dem kann sie wohl hören, wo er innen krank ist.“

      „Das ist ein Perkussionsrohr, gute Anna.“ Sehlmeyer spannte seine Wangenmuskeln. „Ja, die Schwester Maria kennt sich da aus!“ Jacob kam aus den hinteren Räumen und stellte den Tiegel auf die Theke. Sehlmeyer nahm Wachspapier und Spatel und wog die Salbe ab.

      „Meinem Johann geht es jedenfalls schon besser. Fieber hat er nur noch am Abend. Da hat die geweihte Kerze viel geholfen.“

      „Und mit der Salbe wird es sicher bald noch besser.“ Sehlmeyer faltete das Papier, Anna zahlte, und sobald sie den Laden verlassen hatte, stützte sich Sehlmeyer mit beiden Händen auf die Theke. „Soso, die Schwester Maria!“

      „Was ist mit der?“ Seine Frau war aus den hinteren Räumen gekommen. Sie trug einen Kasten, in dem sich die ausgewaschenen Phiolen verschiedener Größen reihten.

      „Die geht rum, gibt Arzneien und spielt Arzt! Einen