Schwester Melisse. Tanja Schurkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Schurkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765571664
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den Preußen warf!“ Wie nicht anders zu erwarten, lachten die beiden Männer leise. „Und wäre ich nicht dazwischengegangen, hätten sie den Markus festgehalten. – Wenn es dich auch amüsiert, du solltest ihn zurechtweisen, denn sonst werden seine Streiche toller!“

      „Natürlich werde ich ihn bestrafen“, sagte Gottfried und sein belustigter Tonfall ließ einen Schluss auf die Art der Strafe zu.

      „Wahrscheinlich muss er eine Stunde lang Zuckerwerk essen“, versetzte Maria und gab sich an der Tasche beschäftigt, damit sie ihr Lächeln verbergen konnte. Es gelang ihr einfach nicht, Gottfried etwas übel zu nehmen, nicht einmal seine Loyalität zu Theodor. Dennoch sagte sie: „Ob es dir nun gefällt oder nicht: Markus wird als preußischer Bürger leben müssen. Und es ist deine Aufgabe, ihn dazu anzuhalten!“

      „Du solltest auf sie hören“, sagte Theodor, seinen kleinen Neffen liebkosend. „Bei dem Lebensweg, den sie gewählt hat, versteht sie gewiss mehr als wir vom Wesen der Kinder.“

      „Ob ich genug vom Wesen der Kinder verstehe, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass die Preußen die Schmähung ihrer Soldaten nicht dulden, denn ich verstehe etwas vom Wesen der Preußen!“

      „Ja, deswegen hat sie auch eine Tasche voller Geld und wir sind arm.“

      Maria verstand sehr wohl, dass sich dies auf die jährliche Zuwendung bezog, die sie vom preußischen König erhielt.

      „Die Leute hier waren schon immer arm, aber seit einigen Jahren sind sie auch noch verstockt!“

      „Das liegt daran, dass man mit dem Stock nach uns schlägt.“

      Nun kam Gottfried ihrer Erwiderung zuvor: „Schwester Maria, in Johanns Namen darf ich Ihnen dafür danken, dass Sie sich um ihn sorgen!“ Er legte die Hand an ihren Ellenbogen.

      Sie begriff, dass sie sich von Theodor in törichter Weise hatte aufstacheln lassen. „Ich werde bald wieder nach euch sehen“, versprach sie.

      Anna verabschiedete sie mit einem Knicks.

      „Du darfst es ihm nicht übel nehmen“, sagte Gottfried, der ihr bis zur Tür folgte. „Johann ist alles, was er noch hat …“

      „Warum beschimpft er mich deswegen?“ Sie fasste die Tasche, als sollte sie ihr zum Schild dienen. „Was macht er mir zum Vorwurf? Dass ich ihn damals gerettet habe?“

      „Dass du ihn dazu in die Uniform eines Preußen gesteckt hast.“

      „Sie hätten euch sonst hingerichtet! Ihr wart zu den Franzosen übergelaufen!“

      „An die Revolution band uns der ältere Schwur, aber ich beschwere mich ja auch gar nicht – Gott sei es geklagt, ich beschwere mich nicht.“

      „Wollte er lieber sterben? Ich verstehe ihn nicht! Käme der König von Preußen mit einer Truhe voll Gold zu ihm, er würde eher alle in diesem Haus Hungers sterben lassen, als es anzunehmen! Ich verstehe ihn nicht. Es ist Sünde, sich dem Leben so zu verweigern!“

      „Wenn er sich dem Leben verweigern würde, wäre er in den Rhein gegangen. Aber weil das Sünde ist, quält er sich tagaus, tagein zum Lobe Gottes …“

      Sie runzelte die Stirn. „Und dein Spott ist nicht minder Sünde!“

      „Aber es ist keine Sünde, dass du Theodor sein Unglück zum Vorwurf machst? Lass ihn, er tut niemandem etwas zuleide.“

      Maria sah Gottfried ins Gesicht. „Bist du dir da sicher?“

      Auch Gottfried hatte die vierzig lange überschritten, und Falten hatten sich um seine Mundwinkel und seine Augen eingegraben. Die Falten eines Spötters, aber Maria wusste: Er hatte ein warmes Herz, das lieber über die Welt lächelte, als über sie zu Gericht zu sitzen und dabei zu verbittern.

      Er wich ihrem Blick aus und schaute zur Severinstraße hinaus. Hühner scharrten dort zwischen den Füßen der Passanten und den Rädern der Fuhrwerke. Frauen mit kräftigen, rosigen Armen trugen Körbe und diejenigen, die in gutes Tuch gekleidet waren, blieben vor den Auslagen der Läden stehen. Über allem lag der Duft der Garnisonsbäckerei. Die Straße davor war mit einem weißen Flor bedeckt, denn täglich wurden dort Karren mit Mehl entladen und Wagen mit Brot beladen.

      Maria wusste, dass sie über Theodor nie zu einem Einvernehmen finden würden. Außerdem gab es wichtigere Dinge, um die sie sich kümmern musste. Tatsächlich hatte sie Gottfried heute noch in seiner Buchhandlung aufsuchen wollen. So war er ihr zuvorgekommen.

      „Du musst mir ein paar Bücher beschaffen.“ Sie zog einen Zettel aus der Ledertasche hervor. „Warum lächelst du jetzt?“

      „Weil du nie fragst oder bittest. Du kannst es nicht verleugnen, dass dein Vater ein Offizier war.“

      „Es ist nicht erst Ignatius von Loyola aufgefallen, dass der fromme Dienst am Nächsten von der militärischen Disziplin profitiert“, erwiderte sie. Ihr Vater, der Offizier! Er war ihr immer Vorbild und Bürde zugleich gewesen. Das Leben in dem Orden, in den sie mit sechzehn Jahren eingetreten war, unterschied sich in der Strenge der Regeln nicht vom Militärdienst, den ihr Vater für verschiedene Herren geleistet hatte. Aber wenn die Armeen ihr Zerstörungswerk begannen, begann sie zu retten – als müsste sie vor Gott einen Ausgleich leisten für das Tun ihres Vaters.

      „Und welchen frommen Dienst will Schwester Maria nun am Nächsten tun?“, fragte Gottfried und nahm die Liste.

      „Ich will mehr aus dem Melissenwasser machen“, sagte sie.

      „Warum ‚mehr‘?“

      „Weil Gott, der Herr, nun einmal will, dass wir mehr aus dem machen, was er uns anvertraut hat. Man darf seine Talente nicht vergraben!“ Auch das hatte sie in einem spaßhaften Tonfall gesagt. Doch es war ihr ernst damit, mehr noch: ein Bedürfnis. Darum zog es sie immer wieder in ihr kleines Laboratorium. Und dabei entstanden nicht nur Heiltränke. Ein Schnupfpulver und Duftwässer vertrieb sie ebenso in ihrem kleinen Geschäft auf der Litsch – und nun wollte sie dieses Geschäft vergrößern. „Das Rezept für den Melissengeist ist viele Hundert Jahre alt“, fuhr sie fort. „Aber in den letzten Jahren haben wir so vieles über die Grundelemente erfahren. Ich will sehen, wie ich das Carmeliter-Wasser verbessern kann.“

      Gottfried sah auf die Liste. „Verbessern? Mit einer Prise Ketzerei?“

      „Zunächst einmal durch einen besonders reinen Spiritus. Ein Destillat ist immer nur so gut wie sein Branntwein, verstehst du?“

      Gottfried ließ es sich nicht anmerken, aber er verstand nicht. Maria wusste, dass Männer nicht gerne belehrt wurden. Aber es hätte schon viele Leben gekostet, wenn sie darauf Rücksicht genommen hätte, daher sagte sie: „Der Spiritus ist in der Destillation wie eine Kutsche, ein Reisegefährt. Die Passagiere können noch so sauber gekleidet einsteigen, wenn sie in einem schmutzigen Wagen reisen, sind sie am Ende verdreckt. Ich brauche also einen besonders reinen Branntwein, um die Wirkstoffe der Pflanzen in bester Weise aufzubereiten. Deswegen muss ich selber destillieren.“

      „Das wird dir wenig Freunde machen unter den Branntweinbrennern und den Eau-de-Cologne-Fabrikanten.“

      „Es hat Gott, dem Herrn, gefallen, mich vor Revolutionen und der Soldateska zu beschützen, da wird er mir gegen die Kölner Unternehmer seine Hilfe kaum versagen.“ Sie zeigte auf das Papier. „Kannst du mir diese Bücher besorgen? Ich brauche alles bis zum Sommer, im Juli steht die Melissenernte an.“

      „Burbachs System der Arzneimittellehre – das dürfte kein Problem sein; Magendie? Vorschriften zur Bereitung und Anwendung einiger Arzneimittel …“

      „Es darf auch das französische Original sein.“

      „Und einen streunenden Hund gleich dazu?“ – Magendie hatte dadurch von sich reden gemacht, dass er die isolierten Wirkstoffe an Hunden erprobte, für die das nicht selten einen qualvollen Tod bedeutete.

      „Ich will sein Wissen, nicht seine Methoden“, erwiderte Maria knapp.

      „Du hast einen Weg gefunden,