Schwester Melisse. Tanja Schurkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Schurkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765571664
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zerplatzte an der Schulter, am Schulterstück, zersprang in viele braune Teile, die Hals und Gesicht trafen.

      „Habt ihr’s gesehen? Dem Preußen mitten ins Gesicht!“ Markus war stolz auf seinen Erfolg. Aber von seinen Kameraden kam keine Antwort, sie hatten das Weite gesucht. Der Unteroffizier klopfte sich unwillig über den Ärmel und warf einen drohenden Blick auf ihn. Markus fuhr herum, wollte weglaufen, prallte aber gegen einen menschlichen Berg.

      Durch die Sonne in seinem Rücken wurde der Offizier übergroß. Er fasste ihn roh am Arm. „Na, warte, Bürschchen! Dir fütter ich heut noch Pferdeäppel!“

      Markus versuchte sich loszureißen, aber er war gepackt wie eine Holzpuppe. Er schrie. Der Offizier schüttelte ihn. Markus schrie lauter. Leute murrten. Dass den Preußen das Recht zu prügeln gegeben war, sorgte in den Gassen Kölns immer wieder für Schreckgeschichten. „Lass den Kleinen doch“, sagte einer und wurde zurechtgewiesen.

      „Packt euch!“, befahl der Offizier. „Und du kommst mit!“

      „Hier find ich dich also, du nutzloser Bengel!“ Markus wurde plötzlich am anderen Arm gefasst und dem Offizier entrissen. „Solltest du nicht am Rhein beim Netzeflicken sein?“

      Markus erkannte die Frau sofort, die ihn gepackt hatte. Er wusste, sie war seine Rettung. Er wagte ein Grinsen, wurde aber gleich wieder geschüttelt und von Maria am Ohr gezogen.

      „Au, au!“

      Der Offizier ließ einen zufriedenen Laut hören. „Ist das Ihr Bengel?“

      „Nein, aber ich weiß, wo er hingehört. – Bürschchen, wenn ich deinem Vater erzähle, was für Flausen du im Kopf hast, dann setzt es was!“

      „Recht so!“, kommentierte der Offizier.

      Markus ließ sich mitziehen, wusste er doch, dass ihn keine der angedrohten Strafen erwartete. Erst als sie in der Cäcilienstraße den Blicken des Offiziers entzogen waren, lockerte Maria ihren Griff.

      „Was sollte der Unfug?“, fragte sie streng. Markus jedoch fand, dass die Sache nicht besser hätte laufen können. Davon würden sich die Jungs in den Gassen noch lange erzählen. Besser noch: Sie würden ihn von seiner Heldentat erzählen lassen.

      „Gab heut keine Netze zu flicken.“

      An drei Tagen in der Woche musste er zur Schule, das war bei den Preußen Pflicht. An den anderen Tagen ging er morgens zum Rhein und verdiente ein paar Pfennige damit, Netze auszubessern, Fische auszunehmen und in Körbe zu sortieren. An besseren Tagen konnte er den Holländern auf ihren Schiffen helfen. Die Bootsleute hatten immer etwas zu erzählen, manche waren sogar zur See gefahren. Markus wollte diese Länder sehen, in denen die Menschen Felle und Federn trugen; er wollte in einem Land leben, in dem nicht an jeder Hausecke ein Uniformierter stand.

      „Dir kann man wohl nicht damit drohen, dass ich’s deinem Vater sage. Wahrscheinlich hat der dich dazu angestiftet!“

      Maria kam nicht oft in das Haus seiner Eltern und war doch immer auf irgendeine Weise anwesend. Ihr Rat galt etwas im Haus eines jeden guten Katholiken. Manchmal allerdings wurde über sie im gesenkten Tonfall gesprochen. Es ging dann um Dinge, die eine Nonne nicht tun sollte, oder darum, ob sie überhaupt noch eine Nonne war. Sie hatte zwar ihre Haare verschleiert, trug aber keine Ordenstracht. Einen Mann hatte sie auch nicht, das wusste Markus, stattdessen stellte sie Kölnisch Wasser her und Wundertränke. Sein Freund Gustav hatte einmal mit eigenen Augen gesehen, wie sie eine Kröte aus dem Bauch einer Frau herausholte. Die Kröte war dann nach St. Severin gesprungen und zu Wachs geworden. Für Markus war sie eine der abenteuerlichsten Personen in Köln. Er war sich daher sicher, dass sie für das Husarenstück Verständnis haben würde.

      „Angestiftet hat mich der Vater nicht“, sagte er, „aber er sagt ja, dass man es den Preußen ungemütlich machen muss …“

      Maria fasste ihn noch einmal beim Ärmel und beugte sich zu ihm, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Markus wusste, dass Frauen mit diesen Fähigkeiten auch den bösen Blick hatten, aber Schwester Maria hatte einmal die ewigen Gelübde abgelegt. Flüche verhängte sie bestimmt nicht.

      „Es könnte vor allem für deinen Vater ungemütlich werden“, sagte sie. „Hätten die Preußen dich dabehalten, hätte er dich auslösen müssen! Du weißt ja, was das bedeutet!“

      Markus nickte. Dafür gab es ein Wort: Spießrutenlaufen. Jeder, der mit der preußischen Armee zu tun gehabt hatte, erzählte davon. Deswegen wollte Markus auch fort aus dem, was sich preußische Rheinprovinz nannte, bevor er alt genug war, um verpflichtet zu werden.

      Maria richtete sich wieder auf. „Dein Vater und die Preußen werden das also ungeahndet lassen. Aber beim Herrgott musst du dafür in der Beichte einstehen!“

      „Aber welche Sünde habe ich denn gemacht?“, fragte Markus mit ehrlicher Verwunderung und wartete einige Schritte lang ehrfürchtig auf die Antwort, die Maria von höchster Stelle einzuholen schien.

      „Du hast gegen eins der Zehn Gebote verstoßen. Weißt du, gegen welches?“

      Zumindest hatte sie nicht wie der Pfarrer den Rohrstock in der Hand, als sie das fragte.

      „Du sollst Vater und Mutter ehren?“

      „Jawohl … damit du lange leben wirst in dem Lande, das Gott, der Herr, dir gab. Und Gott, dem Herrn, hat es nun einmal gefallen, dieses Land an den preußischen König zu geben.“ Markus hörte aus diesen Worten heraus, dass es ihr Gefallen nicht war; wie sollte eine fromme Nonne auch Gefallen an einem nichtkatholischen Herrscher finden? Sie sprach also etwa so wie der Pfarrer in der Schule, der ein wenig eilig leierte, wenn es darum ging, den König von Preußen als Beschützer aller Gottesfürchtigen darzustellen.

      „Ein König ist der Vater seiner Untertanen. Und wenn man seine Soldaten mit Schmutz bewirft, so hat man den König, also den Landesvater, mit Schmutz beworfen. Und er straft es nicht selten damit, dass er solche Leute des Landes verweist.“

      Will ja weg, dachte Markus; der Vater hatte noch aus der Zeit des Krieges gegen die Preußen einen Kameraden, der nach Kanada gegangen war. Zweimal im Jahr kam von ihm ein Brief, der der Familie vorgelesen wurde. Die Mutter aber wollte vom Auswandern nichts wissen.

      „Aber Schwester Maria! Der König von Preußen ist doch nicht katholisch, der kann nicht unser Vater sein.“

      Maria fasste die Ledertasche nach, die sie unter dem Arm hielt. Vor ihnen lag das ehemalige Cäcilienkloster, in dem die Franzosen vor fünfzehn Jahren ein Bürgerhospiz in Köln eingerichtet hatten. „Es ist eben die Art des Allmächtigen, unser Vertrauen zu prüfen.“

      „Der Theodor sagt, wenn wir den Dom vollenden, verschwinden die Preußen von selbst.“

      „Ja, das klingt so recht nach Theodor.“

      „Waren Sie denn schon bei Johann? Der ist sterbenskrank!“ Markus war stolz auf diese aufregende Neuigkeit.

      Maria hielt ihn kurz bei der Schulter, denn über die Cäcilienstraße schaukelten Fuhrwerke und Kutschen. Köln war zu eng für eine eilige Fahrt und immer gefährlich für alle, die zu Fuß unterwegs waren.

      „Was fehlt Johann denn?“

      „Er hat’s in der Lunge. Seit zwei Tagen liegt er mit Fieber.“

      „War ein Arzt bei ihm?“

      „Zu teuer.“

      „Der Amtsarzt verlangt gar nichts.“ Amtsarzt – allein das Wort war für Markus derart Ehrfurcht gebietend, dass er darauf nichts sagte. „Ich werde gleich nachher bei Johann vorbeisehen“, meinte Maria.

      Markus sah, dass Gustav sich in einem nahen Torbogen herumdrückte. Anscheinend fürchtete er sich vor Marias Ermahnungen, aber sie winkte ihn heran. Er nahm die Filzmütze ab.

      „Und du, Gustav, solltest deine Freunde nicht zu solchem Unfug anstiften! Du bist der Älteste, also benimm dich auch so!“

      Bei dem Vierzehnjährigen schien die