Der Paragrafenreiter. Ludwig W. Muller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig W. Muller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862587
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auch ich mit meiner Eigenart akzeptiert werden. Ich dämpfe das Tempo etwas und versöhne mich im Geiste mit den anderen Kanzleimitgliedern. Ich werde ab jetzt alles versuchen, um doch noch Karriere zu machen, schon um Tante Thérèse nicht zu blamieren. Nur ihrer nachdrücklichen »Empfehlung« habe ich es zu verdanken, dass meine Probezeit seit fast zehn Jahren kontinuierlich verlängert wird. Atemlos biege ich in die Wollzeile ein und steuere auf den Luegerplatz zu. Bevor ich durch die schweren Eichenholztüren ins Haus verschwinde, kann ich gerade noch erkennen, wie der Pölzl, den Hals weit nach hinten gedreht, seinen Jeep einparkt.

      Ich bin eine Sklavenseele, ein Laufbursche, ein Lakai. Jeder macht genau die Arbeit, die er verdient. Ich werde mich nie ändern.

      Mein Arbeitszimmer in der Kanzlei ist zugleich eine Art Abstellraum mit Schränken, die fast bis zur Decke reichen. Genau wie in meiner Wohnung, nur staut sich dort das Zeug von meiner Schwester und anderer familiärer Kram. In meinem Zimmer in der Kanzlei lagern alte Buchhaltungsordner, Bücher, die längst durch neue Auflagen überholt sind, oder etwa eine alte Kugelkopfschreibmaschine, lauter Dinge, die sonst keinen bestimmten Platz haben. Sodass selbst während wichtiger Mandantengespräche dauernd wer hereinschaut, sich halbherzig entschuldigt und irgendeinen Sperrmüll bei mir verstaut oder herausstöbert. Aus Protest gegen diese Demütigung lehne ich jeden Verschönerungsversuch ab. Keine Pflanze, kein Bild. Ein Schreibtisch, den ich von meinem Vorgänger übernommen habe. Sonst nur die Kugelleuchte, an deren Boden sich die Insektenleichen sammeln.

      Herr Pölzl hat seinen Schladminger Janker abgelegt und vor mir Platz genommen. Nach dem üblichen Pseudogespräch über Wetter und Verkehr schlage ich seinen Akt auf und lege ein Angebot der Anwältin seiner Ex-Frau auf den Tisch. Ich lese ihm die wesentlichen Punkte daraus vor, während er abwesend in die Tischkante stiert und die Krempe seines Lodenhutes ausbeult.

      »Die Frauen«, seufzt er dann plötzlich auf, »... die Frauen sind halt wie ein Hurrikan. Mit ein bisserl Blasen fangts an, und am Schluss ist das Haus weg!«

      Mit Herrn Pölzls volksnahen Lebensweisheiten könnte ich mittlerweile ein Buch herausgeben.

      »Natürlich bereue ich es heut, dass ich nicht einfach meiner Edit treu blieben bin. Aber oft ist halt der Geist schwach und das Fleisch ... Sie wissen schon.«

      Herr Pölzl war kinderlos, aber glücklich verheiratet gewesen. Dann kam mit dem Geld der Gedanke, dass er sich standesgemäß eine Zweitbeziehung zulegen sollte. Zusätzlich zu seinen regelmäßigen Besuchen in diversen Etablissements. Obwohl er eigentlich mit Kartenspielen und Eisstockschießen völlig ausgelastet war. Irgendwann war dann seine Frau über Nacht verschwunden. Es hatte ihm große Mühe gekostet, sie ausfindig zu machen. Sie war zu einer Freundin nach Wien gezogen und arbeitete fürs Erste als Kellnerin. Dabei hatte sie festgestellt, dass es für eine Frau Anfang vierzig mit ihrem Aussehen auch noch andere Alternativen gab, als an der Seite von Herrn Pölzl dahinzuwelken. Sämtliche Beschwörungen seinerseits waren sinnlos. Sie hat sich mittlerweile einen jüngeren Freund zugelegt, einen Luftpinselzeichner, der Motorhauben mit halbnackten Schwertkämpferinnen verschandelt und seine Garage am Südrand von Wien als künstlerisches Atelier betrachtet. Um dessen Schulden zu bezahlen, ging sie dann doch dazu über, sich ihre erste Ehe großzügig vergüten zu lassen. Sie war tatsächlich als Jungfrau in die Ehe gegangen. Und fast wieder als solche daraus hervorgegangen.

      »Wissen S’, wenn ich eine Frau einmal erobert habe, dann verliert sie halt mit der Zeit an Reiz, sexuell mein ich. Die Edit war für mich wie ein echter Freund, da stört Geilheit eher.«

      Ich unterbreche seinen Redefluss erstmals und mache ihn darauf aufmerksam, dass sein echter Freund gerade dabei sei, nach seinem Haus zu greifen, »dieses Märchenschloss aus Glas und Beton, entworfen von Erwin Pölzl persönlich«.

      »Grundsätzlich gehört alles, was Sie in die Ehe eingebracht haben, auch nachher Ihnen. Die große Ausnahme ist die gemeinsame Ehewohnung.« Dieses Statement scheint ihn zu beschäftigen. Ich schaue kurz zu Frau Czermak ins Sekretariat und lasse ihm einen Kaffee bringen.

      Als sie mit dem Tablett hereinkommt, hat sie sogar ein kleines Lächeln für mich übrig, als sie mich so vor meinem Mandanten sitzen sieht. Immerhin sorge ich hier für Umsatz, der ihren Job absichert.

      »Aber sie hat ja schon die Wohnung in Wien gekriegt, die Edit. Obwohl das wirklich nicht die Ehewohnung war. Da war ja hauptsächlich für mich zum ... also so für Ausflüge halt.«

      »Aber diese Zweitwohnung wurde in der Ehe angeschafft, die fällt unter Zugewinn. Und sie hat eine beträchtliche Wertsteigerung durchgemacht, durch die Aufwertung des Zweiten Bezirks.«

      »Und durch meiner Hände Arbeit.«

      Ich kann nicht mehr. Wie oft habe ich ihm das alles schon erklärt. Zweimal schon hatten wir einen Vergleich ausgehandelt, der für beide Seiten annehmbar schien. Und dann ist er doch noch am Ende gekippt.

      »Wissen S’ was, wenn die so deppert ist, seit sie die neue Anwältin hat, diese ...«

      »Mrkwicka.«

      »... dann sag ich Ihnen: gut, gehe ich halt in Konkurs. Dann kann sie am End’ noch mir Unterhalt zahlen. Ich mein das im Ernst. Eine Baufirma in Konkurs schicken ist keine Kunst. Dann lass ich mich von wem andern schwarz anstellen und sie schaut durch die Finger. Stecken Sie das einmal unter der Hand dieser Murkswitzka. Dann kommt das Haus in die Masse, und glauben S’ mir, da kommt nicht einmal ein Drittel von dem raus, was ich ihr anbiete. Sagen Sie denen ruhig, dass ich wirklich so deppert bin, das zu tun.«

      Ich will es gerne glauben.

      »Gut, ich stell denen einmal die Rute ins Fenster«, antworte ich, vorerst erleichtert. »Obwohl das nicht ganz so einfach ist, mit dem Konkurs. Unterhaltsansprüche werden vorrangig befriedigt.«

      Ich warte darauf, dass er aufsteht und mir wie üblich die Hand zerquetscht beim Abschied, aber er bleibt sitzen und sagt nichts. Eine kleine, völlig sinnlose Pause.

      Dann räuspert er sich und setzt zu seiner Frage an: »Sagen Sie, wie sieht das eigentlich bei Ihnen aus? Haben Sie Ihre juristischen Kenntnisse genutzt, bei der Begründung Ihrer Partnerschaft?«

      Er verwendet sicherheitshalber das Wort Partnerschaft.

      »Ich bin nicht verheiratet.«

      »Verstehe. Als Anwalt im besten Alter, da fliegen doch die Hasen auf einen. Ich würd mir ja auch Zeit lassen, mit der endgültigen Bindung.«

      Er will offensichtlich etwas anderes wissen, als die rechtliche Ausgestaltung meiner Beziehung.

      »Herr Pölzl, wenn ich mich je von fliegenden Hasen verfolgt fühle, nehme ich mir ein Zimmer in der Psychiatrie. Ich bin Single. Und das schon seit vielen Jahren.«

      Pause.

      »Wissen Sie, jetzt hab ich Ihnen so viel aus meinem Leben erzählt, Herr Doktor. Also, jetzt können Sie doch auch einmal mit der Wahrheit rausrücken.«

      »Herr Pölzl, ich bin nicht schwul.«

      »Ja, aber, wie tun Sie denn dann so ...«

      »Ich glaub nicht, dass das hier relevant ist.«

      »Schaun Sie, Herr Doktor. Ich bin Ihnen sehr verbunden, Sie haben mir schon oft aus der Patsche geholfen, nicht nur mit dem Führerschein damals ... und Sie sind ein so ein guter Zuhörer, wie ich es selten erleb.«

      Ist der blind auf beiden Augen oder hätte ich Schauspieler werden sollen?

      »Da denk ich mir, ich könnte Ihnen vielleicht auch einmal ein bisserl unter die Arme greifen, auf einem Gebiet, von dem ich etwas verstehe.«

      »Herr Pölzl, falls Sie mir jetzt zum Dank ernsthaft eine Partnerin vermitteln wollen, sage ich dankend ab. Gott hat uns Männern eine gute Hand und etwas Fantasie gegeben, damit wir auch alleine über eine gewisse Durststrecke hinwegkommen.«

      Ich bin erstaunt, wie weit mein Niveau schon dem meiner Mandanten angepasst ist. Der Prucha würde mir sicher auf die Schulter klopfen. Auch wenn von einer bloßen Durststrecke bei mir nicht die Rede sein kann.

      »Herr