Ludwig W. Müller
DER PARAGRAFENREITER
Ludwig W. Müller
DER PARAGRAFENREITER
EIN ANWALT
SIEHT ROT
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© 2011 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wien
Herstellung und Satz: studio e, Josef Embacher
Gesetzt aus der 11,5/14 Bembo
Gedruckt in der EU
ISBN 978-3-85002-762-5
eISBN 978-3-902862-58-7
I
Eine lackierte Stoßstange ist ungefähr so sinnvoll wie ein weißer Seidenanzug für den Rauchfangkehrer. Genauso gut könnte ich einen Vorschlaghammer mit Porzellan verkleiden oder mir die Innenseite meines Dickdarms tätowieren lassen. Denn wozu dient eine Stoßstange? Richtig: den Stoß eines anderen Fahrzeugs abzufangen. Dieser Sinn wird durch die serienmäßige Verwendung lackierter Stoßstangen heute konsequent unterwandert. Damit die Werkstätten wenigstens etwas verdienen, vermutet der Konsumentenschutz, wenn schon beim Autoverkauf selbst keine brauchbaren Margen mehr drin sind.
Der Mann, der heute Morgen aus der Garagenausfahrt Hernalser Hauptstraße 57 herauswollte, hat lackierte Stoßstangen an seinem Offroader. Der Audi Q7, der für die Fahrt durch Wald und Fels konstruiert ist, hat hinten und vorne Puffer, an denen bloß kein Kind mit dem Fingernagel streifen darf. Ein Kratzer in der Größe eines Katzenhaars und die Kiste steht eine Woche beim Karosseriespengler. Aber so weit hat es der Besitzer des Hofparkplatzes gar nicht kommen lassen. Mein Volvo Kombi ragte genau zwanzig Zentimeter in den Luftraum vor seiner Ausfahrt und das war Grund genug, meine Abschleppung zu veranlassen. Hinter mir mit seinem speziallackierten Luxusjeep vorbeizulenken, kam ihm nicht in den Sinn. Dem Herrn Doktor muss man wohl erst begreiflich machen, dass man mit dem Lenkrad nicht nur hupen, sondern auch die Fahrtrichtung verändern kann.
»Der lässt jeden abschleppen«, hat mir ein Passant mit Hund erklärt, dem der Besitzer des Offroaders bereits bekannt war. »Der macht gleich kurzen Prozess.«
Da täuscht er sich allerdings. Ich mache keine kurzen Prozesse. Ich bin Anwalt.
Aber erst einmal werden das die Herren vom Abschleppdienst zu spüren bekommen. Die haben mich nämlich unter Androhung von Gewalt daran gehindert, in meinen Wagen zu steigen und wegzufahren. Dazu hätte ich das Recht gehabt, das hat der Verwaltungsgerichtshof klar ausjudiziert. Die Vorderräder hatten beide noch Bodenkontakt. Mit seiner bulligen Figur hat er mir den Weg versperrt, dieser willige Vollstrecker der Offroaderkaste, und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er auch weiter gehen würde, um mich am Einsteigen und Wegfahren zu hindern. Als ich bei der Polizei angerufen habe, wurde ich harsch darauf hingewiesen, dass dies der Polizeinotruf sei. Ist Nötigung durch einen Mitarbeiter des Abschleppdiensts kein Fall für den Polizeinotruf? Werde ich dort nur weitergereicht, wenn ich mit letzter Kraft ins Telefon hauche: »Hallo, ich bin kurz am Autobahnrastplatz eingeschlafen, jetzt ist mein Auto weg, mit allem drin, ich sitz da nackt an einen Baum gefesselt und hinten fehlt mir eine Niere!«
Nachdem ich mit reichlich Verspätung in der Kanzlei angekommen bin, hört sich der Dr. Prucha geduldig meine ausführliche Schilderung des Falles an, während sich der Rauch von drei Marlboro Menthol in seiner Lunge aufstaut. Dann schüttelt er den Kopf und steckt sich noch eine an.
»Grundsätzlich hast du Recht, Kollege Just. Hol einmal dein Auto ab, dann schauen wir uns an, was wir machen können.«
»Das krieg ich aber nur, wenn ich die Abschleppung bezahl. Die Kosten für eine rechtswidrige Abschleppung.«
Der Dr. Prucha atmet den Qualm einer Schachtel Marlboro aus und hustet dabei wie ein TBC-kranker Werwolf. Kaum zu glauben, dass er zugleich ein derartiger Sportfanatiker ist. Tennis, Golf, früher war er beim ABC, dem Akademischen Boxclub. Mit Ende fünfzig hat der Prucha einen Brustmuskel, dass das Solarium nicht mehr richtig zugeht.
»Noch einmal, lieber Kollege, zum Mitschreiben. Recht haben ist ein schönes Gefühl. Aber nur im Rahmen der faktischen Durchsetzbarkeit relevant. Ich geh beim Magistrat ein und aus, da werde ich an geeigneter Stelle einmal ein deutsches Wort über die Burschen von der MA 48 reden.«
Er richtet sich die Krawatte zurecht, dann folgt die unvermeidliche Belehrung: »Kämpf doch nicht dauernd auf Nebenschauplätzen. Du hättest wirklich das Zeug für einen Spitzenplatz in der Anwaltsszene.« Und der ebenfalls unvermeidliche Nachsatz: »Manchmal frag ich mich, wozu du eigentlich Jus studiert hast.«
Und schon ist er durch die Tür verschwunden, um sich von einem gutsituierten Autohausbesitzer, den er schon zum zweiten Mal in einem Betrugsverfahren vertritt, zum Essen einladen zu lassen. Im Grunde wünschen sich die Leute immer einen Kämpfertypen als Anwalt, wie den Dr. Prucha. Und keinen feinsinnigen Intellektuellen, sondern einen Haudegen, der auftritt wie eine Naturkatastrophe.
Allein in meinem Arbeitszimmer sehe ich zu, wie der Schaum auf meinem Nespresso zusammenfällt. Ich versuche die Frage einmal wirklich zu beantworten – nur für mich. Warum habe ich Rechtswissenschaften studiert?
»Wer zwei linke Hände hat, sollte die Rechte studieren!«, hat mein Vater wieder und wieder den alten Familienwitz bemüht.
Als Kind wollte ich Dichter werden. Nicht weil ich so besonders schön formuliert oder schon früh zu schreiben angefangen hätte. Vielmehr weil mir das romantische Bild des Künstlers gefiel. Im Stiegenaufgang unseres Reihenhauses hingen sämtliche billigen Nachdrucke von Spitzweg, darunter auch der arme Poet. Täglich unzählige Male blieb mein Blick an diesem Poeten hängen, mit seinem aufgespannten Regenschirm im Bett, vermutlich wegen eines undichten Daches. So arm konnte dieser Poet gar nicht sein, dass ich ihn nicht um die Autarkie in seinem kleinen Reich beneidet hätte. Dem würde keine aufdringliche Mutter kratzige, graue Polyester-Hosen über den Sessel legen, für den nächsten Schultag. Nebst einer Strickjacke mit Zopfmuster, die meine Eltern in ausgesucht unerotischen Farben bei einer pensionierten Handarbeitslehrerin in Auftrag gaben. Dieser Poet musste offenbar weder in eine Schule noch eine Kanzlei gehen, wie mein Vater es täglich tat, und ich habe ihn in meiner Jugend kein einziges Mal begeistert dorthin aufbrechen sehen.
Also beschloss ich, Künstler zu werden. Meine Mutter hatte selbst lange Zeit von einer Karriere als Schauspielerin geträumt, bevor sie durch die Schwangerschaft mit meiner Schwester Melanie in die Realität zurückgeholt wurde. Daher erfüllte sie eine Weile jeden Wunsch nach künstlerischer Entfaltung und kaufte Musikinstrumente, Zeichen- und Schreibmaterial. Eine Zeitlang wurden mir sogar private Stunden bei einer Malerin bezahlt, die sich und ihren senilen Mann mit Schnitzkunst und bemalten Ostereiern durchbrachte.
Aus mir ist kein Maler und auch kein großer Dichter geworden. Aber meine Mutter erzählt heute noch voller Stolz, wie mich einmal im Frühjahr eine laut trällernde Blaumeise geweckt hat, die in dem großen Apfelbaum vor meinem Fenster saß. Ich hatte mich ans Fenster gesetzt und den Vogel in schillernden Farben porträtiert. Damit bin ich dann auf die Polizei spaziert, um dieses nervige Tier anzuzeigen. Angesichts der Qualität meines Stilllebens stand dann für meinen Vater endgültig fest: ich sollte Notar werden, wie er.
Die Psychoanalyse ist jene Krankheit, für deren Therapie sie sich hält. Da hatte Karl Kraus ganz Recht. Mein Psychoanalytiker, Herr Dr. Reisinger-Jakoby, sollte vielleicht erst einmal analysieren, warum er immer zwanghaft seinen kompletten Doppelnamen ausspricht. Feinster österreichischer Bindestrichadel. Ein langer Name klingt eben nach mehr, als würden hier zwei Köpfe ihren Inhalt zusammenlegen. Denn der Herr Dr.