Der Paragrafenreiter. Ludwig W. Muller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig W. Muller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862587
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herausstellen, wird er sie schamlos mit der gegenteiligen Meinung einspeicheln und propagieren, man müsse den Wald bestand regelmäßig dezimieren, weil es sonst bald keinen geschlossenen Wild bestand mehr gibt. Hauptsache, er wird irgendwann einmal Partner in der Kanzlei. Prucha & Raschhofer, das wärs. Dann werde ich lieber hauptberuflicher Pfleger meiner Tante Thérèse.

      Der Raschhofer war einer von den Wiener Schnöseln, die vom ersten Tag an mit Anzug, Krawatte und Aktenkoffer auf die Uni gehen. Weil er einmal nur in Jeans und T-Shirt auf der Uni gesessen ist, erzählt er heute überall, er war einmal ein Punk. Und tatsächlich trug er bei diesem Kanzleiheurigen auf einmal ein flottes T-Shirt mit ein paar asiatischen Schriftzeichen und einem Typen drauf, der mit erhobener Faust eine Parole ruft. Wahrscheinlich hatte das Shirt in irgendeiner Designerboutique mehr gekostet als mein grauer Anzug vom Herrenausstatter Reindl in MünchenNeuhausen (natürlich ein Geschenk von Tante Thérèse). Aber der Julia Mayereder, unserer blutjungen Konzipientin aus Salzburg, schien er damit mächtig zu imponieren. Die hübsche Julia hatte sich für ihre erste Weihnachtsfeier mächtig herausgeputzt und steckte in einer dunkelblauen Kombination aus Jackett und Hose. Scheinbar wusste sie gar nicht, dass dieser alljährliche Heurigenabend ganz inoffiziellen Charakter haben soll. Die Julia nahm mich in dieser Großrunde kaum wahr, obwohl ich ihr ein paar Tage davor einen Nachmittag lang mit ihren Akten geholfen hatte und sie sich schon einmal bei mir ausgeheult hat, wegen ihrer Trennung. Ihr Ex hatte um ihr Verständnis gebeten, er müsse einfach Schluss machen, weil die Fahrten Wien-Salzburg- und-retour bei seiner momentanen Arbeitszeit einfach nicht mehr drin seien. Und als Dank für meine Gratis-Gesprächstherapie strahlte sie an diesem Abend den Raschhofer an, der immer wieder gerne in Salzburg ist, weil er ja dort auch zwei Jahre studiert hat (= Prüfungstourismus! Anmerkung des Verfassers).

      Dabei hat der Raschhofer erst vor kurzem während eines Smalltalks in meinem Arbeitszimmer betont, er würde es keinen Tag mehr in dieser Ansiedlung aufgeblasener Kleinkrämer aushalten, die außerhalb der Festspielzeit ungefähr so viel Nachtleben habe wie Pjöngjang. Der Salzburger Julia gegenüber fand er aber auf einmal Salzburg »schon eine Zeitlang toll zum Leben« und beschränkte sich im Übrigen auf ungefährliche Bemerkungen über die Blödheit der Festspielgäste. Und dass die sich wahrscheinlich am liebsten »Don Giovanni im Sommersteirer« ansehen würden. Obwohl die Formulierung bestimmt nicht von ihm stammt. Er hat sie sicher aus dem Feuilleton geklaut, wie alles andere, was er so an schicken Sagern aus dem Ärmel schüttelt. Die 23-jährige Julia schaute ihn dabei mit großen Augen an und wagte nur ab und zu ein »echt« oder »voll gut«.

      Salzburg war jetzt das Thema und der Prucha schaltete sich mit einer Aufzählung der besten Haubenlokale ein. Wobei er mit unglaublich bedeutungsvoller Miene festhalten musste, das beste Lokal sei nach wie vor der Schlosswirt in Aigen, aber der habe seines Wissens nach nur einen Haubenkoch, aber keine Haube. Ein ergreifendes Schicksal, trotz des gekochten Rindfleischs, das den Plachutta um Längen schlage. Dorthin lädt er unsere deutsche Partnerkanzlei einmal im Jahr ein, weil das »Preis-Leistungsverhältnis beim Schlosswirt unglaublich ist.« Die Münchner Kanzlei Schwanthaler & Schwab bezahlt dafür die Karten für den »Jedermann«. Ein schlechtes Geschäft für die deutschen Kollegen.

      Spätestens hier kommt mit der dritten Phase meiner Alkoholisierung die nächste, längst fällige Wahrheit auf den Tisch. In dieser Phase ist vor allem wichtig, unter Verweis auf meinen Intellekt zu betonen, dass ich weder kulturlos noch alkoholisiert bin. Zu diesem Zweck führe ich gleich einmal aus, dass der Hofmannsthal’sche »Jedermann« ein Spektakel für die ist, die keinen Tschechow in der Inszenierung von Peter Stein aushalten oder von Martin Kušej (was ich im Übrigen auch nicht aushalten würde). Der »Jedermann« ist der kulturelle Drive-in für die Eiligen, die nachher zu irgendeinem Empfang im Restaurant M32 am Mönchsberg eingeladen sind, hab ich gemeint. Und dass der »Jedermann« nichts anderes sei als Löwinger Bühne für Altgebliebene, musste ich natürlich auch noch anbringen. Worauf der Prucha zum ersten Mal die Stirn in Falten legte und zu bedenken gab, dass Hofmannsthal ja auch ein Lehrstück fürs Volk schreiben wollte, über die Vergänglichkeit des irdischen, materiellen Glücks. Darauf habe ich wieder eingehakt, dass eigenartigerweise gerade in Salzburg irgendwelche schmierigen Autohausbesitzer und Hersteller von Kindertretminen aus aller Welt zusammenkommen, um mit Breitling-Uhren und Brillanten behängt ein zweistündiges Lehrstück über die Vergänglichkeit des Materiellen abzusitzen. Leider habe ich bei dieser abgelutschten Plattitüde überhaupt nicht so ausgesehen, wie ich wollte. Meine ganze Tirade stiftete nur etwas Betretenheit in Julias gut frisiertem Kopf. Sie lächelte künstlich und verfolgte das Gespräch wie einen Film ohne Ton, der halt zufällig auf dem Monitor im Flugzeug läuft.

      »Gebts ihm noch ein Vierterl«, hat schließlich der Prucha gelacht, »damit er nicht gar so kritisch ist, unser Just.«

      Als ich gemerkt hatte, dass in der Julia-Ecke definitiv nichts zu holen war, hab ich mich unserer Ulli Czermak zugewendet. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch nichts gegen mich. Lächelnd verzehrt sie ihre panierten Hühnerhaxeln und schien zufrieden zu sein mit ihrem Beobachterstatus. Ich glaubte sogar, eine gewisse Gewogenheit mir gegenüber herauszuspüren. Sie hatte mich doch beim Hereinkommen so freundlich gegrüßt wie noch nie. Ich probierte es mit der Frage, ob sie Trennkost mache, weil sie nur Gurkensalat zum Hendl aß. Eine völlig blöde Frage, angesichts der fetten Panier. Sie begann ihre Antwort mit Sie und korrigierte sich dann mit einem halbherzigen: »Ach, wir sollen ja heut alle du sagen …« Ich instruierte sie, dass sie ab jetzt Ferdi zu mir zu sagen habe, als würde ich einen Pudel dressieren.

      »Der Pulli steht dir übrigens super«, setze ich fort, ohne mir bewusst zu sein, dass nun mit Berauschungsphase vier der Showdown angebrochen war. »Ist der von H&M oder von irgendeinem Designerladen?«

      Sie sah mich skeptisch an: »Nein, den hab ich selbst gestrickt.«

      »Schön, ich hatte früher auch immer selbst gestrickte Pullis an.« Das schön ist nur teilweise gelogen. Die zopfgemusterten Korsette unserer Familienstrickerin habe ich gehasst. Aber Ende der 70er und zu Beginn der 80er trugen nun einmal sehr viele Mädchen Handstrick, eben auch die, in die ich verknallt war oder mit denen ich meine ersten Erfahrungen beim Knutschen und ein bisschen Fummeln hatte. Irgendwie ist mir da eine neurotische Fixierung geblieben, neben einigen anderen, sehr eigenwilligen Wunschvorstellungen. Einer der Gründe, warum ich seit vier Jahren zur Analyse latsche.

      »Ich strick halt, weil mir Fernsehen allein zu fad ist«, antwortete die Ulli Czermak, unsicher, ob ich sie nicht doch verarschen wollte. »Erblich vorbelastet. Meine Mutter ist total strickfanatisch.«

      »Ich finds schade, dass das heut kaum mehr jemand macht«, trat ich ins nächste Fettnäpfchen.

      Auf einmal merkte ich, dass die anderen am Tisch uns zuhörten. Und gespannt warteten, was ich mit diesem Thema wollte.

      »Ich hab sogar einmal einen Pullunder stricken müssen. Weil sie gemeint haben, geschlechterspezifische Unterrichtsaufteilung geht heute nicht mehr«, seufzte der Raschhofer. Schade, dass er an diesem Abend nicht in diesem Pullunder dasaß.

      »Ich hätt das auch sollen, ich hab total verweigert«, piepste die Julia nach.

      »Lieber Dr. Just, wenn die Ulli gerne so ein Hobby hat, ist das ihre Sache. Wir machen uns auch nicht über deine Schriftstellerei lustig«, schaltete sich der Prucha ein, der wieder einmal überhaupt nichts verstanden hatte.

      »Nein, ich will doch die Ulli nicht verarschen. Ich hatte wirklich einmal was mit einer Handarbeitslehrerin.« Es war einer jener Momente, in denen ich mich einfach wegzaubern möchte. Ich hätte mir und anderen damit Einiges erspart.

      »Ich meine ja nur, ich finde Stricken, das hat auch was von Fesseln, von jemanden einstricken … sagt auch der Dr. Reisinger … also ein befreundeter Arzt, ein Praktiker …«

      Alle Blicke ruhten auf mir. Mir konnte nur mehr die Flucht nach vorn helfen.

      »Mein Gott, Sadomaso ist doch heute nix Besonderes mehr. Zum Beispiel ein bisserl im Bett anbinden lassen, von einer Frau, die dabei so ganz riesige Maschen anhat, dass man noch Haut durchsieht. Peitschen oder sowas lehn ich auch ab, wenn dann nur so symbolisch …«

      Julia wetzte währenddessen betreten auf ihrem Minihintern