»Ich bin heut nicht nur geschäftlich in Wien. Ich möcht schon das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.«
»Herr Pölzl, falls Sie mich jetzt ernsthaft in die Intimsauna einladen wollen ...«
»Aber, wer redet denn von so was. Bezahlte Liebe hat ein junger Mann wie Sie doch nicht nötig.«
Er legt ein Kärtchen auf den Tisch, auf dem sich eine wild gelockte Schwarzhaarige mit Augenmaske dem Betrachter entgegenstreckt und einen Kussmund formt. Ein Swingerclub. Jetzt ist also klar, was er will. Einem sexuell unterversorgten Klemmerl zu etwas Spaß verhelfen.
»Morgen ist Open House in meinem Stammclub Single Swingers, in der Neustiftgasse. Da kann jeder Stammkunde einen Freund mitbringen, ohne Eintritt und Gesichtskontrolle.«
»Vielen Dank, dass Sie hier Ihre Ehre für mich aufs Spiel setzen. Aber genau morgen Abend haben Sie leider vollkommen Recht, da steht ausgerechnet der Theaterbesuch im Wege.«
»Es geht erst ab Mitternacht so richtig los dort.«
Warum kann ich nicht einmal dann etwas forsch ablehnen, wenn ich es tausendprozentig nicht will?
»Wissen Sie, Herr Pölzl, es ist grundsätzlich nett von Ihnen, aber ich konnte heut erst später anfangen, weil mein Wagen ...«
»Ja, ich wollte Sie schon fragen, ob ich Sie mitnehmen soll, heut früh im Café Tirolerhof. Aber dann hab ich mir ’dacht, der schaut so verbissen drein gerade, vielleicht haben die ihn rausgeschmissen, oder er macht auf krank. Ich war ehrlich gesagt sehr erstaunt, dass Sie vor mir da waren, in der Kanzlei.«
Er hat es geschafft. Ich bin völlig entwaffnet. Er weiß, dass ich fast unseren Termin verpasst hätte. Wir haben also schon ein kleines Geheimnis. Und wenn ich dem Typen in Zukunft nicht etwas schärfer komm, haben wir vielleicht bald noch eine ganze Reihe intimer Geheimnisse miteinander.
Ich verabschiede mich sehr förmlich und übergehe sein Angebot einfach. Die Karte vom Swingerclub werfe ich in den Papierkorb. Einen Moment lang überlege ich, dann nehme ich sie doch wieder heraus, zerreiße sie und stecke die Papierfitzel in meine Hosentasche. Die Tür geht ohne Klopfen auf, der Pölzl steckt noch einmal den Kopf herein.
»Nehmen S’ halt Ihre Tante mit, wenn Sie sie gar nicht loswerden. Dort gibt’s immer wieder Typen, die stehn auch auf sowas.«
Die Tür fällt zu. Erst später fällt mir ein, was ich auf so eine Unverschämtheit alles hätte sagen müssen.
Der Dr. Prucha hat natürlich das schönste Zimmer. Manchmal tritt er wie ein mittelamerikanischer Diktator auf seinen Balkon über dem Luegerplatz und zieht an seiner Zigarre, während unten das niedere Volk vorbeizieht. Ansonsten hört er die Geräusche von der Straße nur selten, der Prucha macht bei der Arbeit weder Fenster noch Balkontür auf. Es könnte ja wertvolles Nikotin verlorengehen. Oder er fürchtet, dass der hyperventiliert, wenn die Frau Czermak sein Fenster kippt.
»Verursacht hat den Unfall eigentlich der türkische Laster«, sagt er, während er mich mit der Zigarette zwischen den Fingern auf die betreffenden Stellen im Akt hinweist. »Im Unfallprotokoll der Gendarmerie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Fahrer sehr wahrscheinlich keine Schlafzeiten eingehalten hat.«
Das könnte auch für mich gelten. Ich kann ein Gähnen nicht ganz unterdrücken.
»Der Ausdruck Massenkarambolage ist vielleicht etwas übertrieben. Uns gehts auch nur um die Unfallschäden vom Fahrer des Sharans, der hat eine Unfallversicherung bei der Merkur.«
Ich spüre ein leichtes Krampfen im Magen angesichts der bevorstehenden Arbeit. Verkehrsunfälle sind mein absolut meistgehasstes Gebiet.
»Der türkische Spediteur ist natürlich viel schwerer dranzukriegen. Also halten wir uns an den Fahrer des Peugeot. Der wollte mit einem altersschwachen 305er die ganze Kolonne überholen, obwohl ihm ein Traktor entgegenkommt. Dann reiht er sich gerade noch rechtzeitig vorm Frontalcrash wieder in die Kolonne ein, aber direkt vor dem türkischen Laster. Hirnverbrannt sowas, der muss doch ungefähr abschätzen können, was so ein Sattelschlepper für einen Bremsweg hat.«
Ich möchte nicht wissen, mit wie vielen solcher hirnverbrannten Manöver der Prucha schon andere Autofahrer in Angst und Schrecken versetzt hat.
Draußen ist hübsches Wetter. Aber der Dr. Prucha sitzt mit dem Rücken zu den großen Altbaufenstern und ignoriert den blauen Maihimmel wie einen unauffälligen Diener, der devot hinter ihm steht. Der Zigarettenqualm nimmt mir fast den Atem. Der Prucha legt sogar bei einem Mittagessen dreimal das Besteck beiseite und zündet sich eine an. Das wäre natürlich in keinem anderen Land mehr möglich, außer in Österreich.
Laut unserem Gesundheitsminister gilt jetzt auch in Österreich ein generelles Rauchverbot. Die Gastwirte müssen allerdings durch ein Abziehbild an der Türe klarstellen, ob sie sich dran halten wollen oder nicht. Dann wird allerdings sehr streng geprüft, ob in Nichtraucherlokalen auch wirklich nicht geraucht wird. Das einzige Zugeständnis zum weltweiten Trend, zu dem sich die österreichische Politik bislang durchringen konnte, ist ein strenges Rauchverbot für Nichtraucher.
Das österreichische Tabakgesetz ist an Dilettantismus und politischer Feigheit nicht zu übertreffen. Als Konsequenz daraus müsste man nun vor allem deutsche Nikotintouristen darauf hinweisen, dass in österreichischen Lokalen keine Rauchpflicht besteht.
Die Wirte und Hoteliers stehen mit dieser von Ausnahmen durchlöcherten Regelung vor bisher ungeahnten juristischen Herausforderungen. Mit Gerümpel vollgestellte Abstellkammerln werden als Schankraum mitgezählt, damit die Quadratmeter-Aufteilungen stimmen. Und am Ende bleiben alle Fragen offen. Darf zum Beispiel eine afghanische Touristin in einem Wiener Hotelfoyer unter ihrer Burka rauchen? Der österreichische Gesetzgeber sagt Ja, wenn sie ab einem gewissen Volumen der Burka durch eine zusätzliche Stoffbahn einen Nichtraucherbereich abtrennt.
Aber momentan ist das österreichische Tabakgesetz das letzte Rechtsgebiet, mit dem ich mich beschäftigen muss. »Denk dran: Wir klagen immer Lenker, Halter und Versicherer!«, ermahnt mich der Dr. Prucha noch, als ich mit dem Aktenstapel von der Massenkarambolage aus seinem Zimmer trete. Als ob ich das nicht längst wüsste.
Eigentlich sollte ich mir eher Gedanken machen, wie es mit meinem abgeschleppten Auto weitergeht. Nach über zwei Stunden mit Herrn Pölzls epischen Eheerzählungen glaube ich, ein Recht darauf zu haben, mich mit meinen eigenen Streitfällen zu befassen. Mich erfasst ein undefinierbares Gefühl aus Wut und Resignation. Als juristisches Mädchen für alles wollte ich doch niemals enden. Wenn überhaupt, dann hätten mich große Strafverfahren gereizt. Politisch motivierte Prozesse, in denen ich von der CIA verschleppte Mitbürger vertrete. Und jetzt sitze ich da und darf mit viel Fantasie die körperlichen Unfallschäden eines Kleinbusfahrers hochrunden. »Möglichst hohe Schmerzperioden geltend machen«, heißt das fachlich korrekt. Warum schmeiße ich nicht alles hin und werde Schriftsteller. Ich habe einen kleinen Bausparvertrag, der demnächst ausbezahlt wird. Damit könnte ich zumindest ein halbes Jahr in einem Schwellenland durchkommen. Und meinen ersten Roman verfassen. Oder mein erstes Stück. Stücke hätte ich ja schon einige in der Schublade. Ich nenne sie Dramolette. Eine Massenkarambolage wäre doch ein hervorragendes Sujet für so ein Kurzstück.
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