Rückblickend sehe ich es nicht als den schwersten Fehler des Abends an, dass ich irgendwann meinen Arm um den Prucha gelegt und gemeint hab: »Gehn wir doch einmal zu zweit fort, durch die Nachtlokale, von dir kann i sicher einiges lernen …« Oder öffentlich verkündet habe, dass ich eigentlich ein Künstler bin und demnächst meinen Job hinschmeißen werde. Der Prucha hatte mich ja selbst aufgefordert, ein paar meiner Schüttler zum Besten zu geben. Und seine waren auch längst nicht mehr jugendfrei. Der größte Fehler war, dass ich mich danach vom Raschhofer in die Stadt mitnehmen habe lassen, in seinem Cabrio.
»Wie war das noch mal, das Gedicht da …«
»Welches meinst?«
»Das mit dem Gangbang. ›Ich habe keinen Tau, ob ich den deinen kau?‹«
»Nein, das mit dem Zopfpulli.«
»Strick dir einen Noppenpulli, dann werde ich dich poppen, Ulli.«
»Super, dass du die spießige Kuh einmal aus der Reserve gelockt hast.«
»Das wollte ich aber gar nicht. Ich find die Czermak wirklich scharf.«
Der Raschhofer sieht mich an, als hätte ich ihm einen One-Night-Stand mit Angela Merkel gebeichtet.
»Du verarschst mich, Ferdi, gelt. Sag mir, dass du das nicht ernst meinst. Die Czermak ist doch überhaupt nicht deine Klasse. Und Schmäh hat sie ungefähr so viel wie die Elfriede Jelinek.«
»Nein ehrlich, René. Ich steh auf so strenge Frauentypen, so Lehrerinnen halt.«
»Bist du da irgendwie fixiert? Von deinem ersten Mal Sex oder so?«
Und so kam es, dass ich dem Raschhofer von meinem Erlebnis in Neuberg an der Mürz erzählt hab.
Dort war ich wegen meines Bandscheibenvorfalls auf Reha. Folglich wehrlos. Da lernte ich eine steirische Jugendamtsleiterin kennen, die war auf Kur. Und sie war wirklich Handarbeitslehrerin, früher einmal. Als sie mich auf der Matte des Gymnastikraums ritt, war das nicht mein erstes Mal. Aber das erste Mal, dass ich den Sexualakt lege artis vollzogen habe, inklusive Erektion und Ejakulation. Der Raschhofer kann sich fast nicht mehr halten, obwohl an der Ampel gerade die Polizei neben uns hält.
»Wow, Ferdi. Das will ich auch einmal. Mit einem mundgeblasenen Schwanz auf der Matte liegen, und dann eine pensionierte Handarbeitslehrerin …«
»Die war aber noch topfit! Sie hat nur einen kürzeren Fuß gehabt.«
»Ist doch wurscht, ob sie einen kürzeren Fuß gehabt hat. Man könnte ja genauso gut sagen, sie hatte einen längeren Fuß!«
Und dann hat mich der Raschhofer eben nicht nach Hause gebracht, sondern mitgenommen auf eine superoriginelle Penthouseparty. Es war föhnig warm an diesem Dezemberabend, die Gäste saßen auf Hockern im Freien und spielten Schneebar mit Blick auf den Kahlenberg. Eine unfassbar lange Brünette reichte mir einen Joint, der roch, als hätten sie eine alte Matratze hineinverarbeitet. Fiese, bewusstseinsverändernde Kräuter. Mike, der Gastgeber, ein Flugzeugpilot, der um drei Uhr früh in einem Schi-Overall Drinks mixte, hatte mich gewarnt. Ich nahm einen höflichen Zug und hustete. Ich kenne das Zeug aus meiner wilden Zeit mit Sladko, es macht mich völlig apathisch und konfus. Aber beim Raschhofer löste es einen gewaltigen Redeschub aus.
»Ferdinand, laut Darwin entwickelte sich der Mensch durch Mutation – und nicht durch Masturbation!«
Ich nickte mit schläfrigem Blick, während sich zwei Mädels an der Bar fragten, wer eigentlich der ist, den der René da mitgeschleppt hat.
»Ich weiß, René. Kinder zeugt man nicht, indem man auf ein Hausdach wichst und wartet, bis sich der Storch draufsetzt.«
Ich versuchte, korrekt zu artikulieren, aber ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Sprache. »Frau Spermak« habe ich immer gesagt und »Frau Dr. Frigidowitsch«. Und dabei genauso blöd gegackert wie der Raschhofer.
Und ich habe noch einmal kräftig beim Joint angezogen. Man will doch nicht immer die Spaßbremse sein. Der letzte Satz, den ich gehört habe, war: »Ferdinand, ich geh erst, wenn ich sicher bin, dass deine Wohnungstür hinter dir zufällt.«
Es war zumindest der letzte Satz, der wirklich zu mir gesprochen wurde.
Ich sitze im Schönbrunner Zoo und betrachte die
vorbeiziehenden Besucher
Es soll drei neue Zoobesucherbabys zum Anschaun geben!
Eigentlich ist es ganz hübsch in meinem Käfig
Ein Schreibtisch, ein Regal mit Ordnern
Der Dr. Prucha kommt herein, mit einem Stapel Akten
Aber plötzlich kann ich fliegen
aus dem Käfig heraus
Ich fliege über Wien
und ärgere mich über diese Bausünden
Warum baut man denn einen achthundert Jahre alten Dom
ausgerechnet neben ein modernes Einkaufszentrum hin!
Die Häuser unter mir sehen ganz durcheinandergewürfelt aus
Offenbar gab es ein Erdbeben, aber es hat sich noch keine
Terrororganisation dazu bekannt
Ein Dermatologe rennt als Erster aus den Trümmern vor
seiner Garagenausfahrt:
Lassen Sie mich durch, ich bin ein Arsch!
Ich drehe das Radio auf, um zu erfahren, was los ist
Aber ich finde nur den Schweizer Verkehrsfunk:
»Achtung, auf der Autobahn Basel–Zürich liegt Geld auf
der Straße!«
Ich sitze in meinem Auto
Links halte ich einen riesigen Kaffee von Starbucks,
der einzige Kaffee, der auch gegen den Durst geht
Rechts blättere ich in der Weltkarte von Wien
und suche die Schweiz
Mit dem Knie lenke ich
Wozu heißt das denn Knie-Gelenk!
Ich nehme einen Autostopper mit, er entpuppt sich als
Schweizer Informant
Zum Dank für die Mitfahrt steckt er mir eine CD mit den
Daten von Schweizer Steuersündern zu,
die ihr Geld heimlich in Deutschland anlegen
Und das ist nur der Eisberg
Die Spitze ist angeblich noch viel vernachlässigbarer
Wir kommen an die Grenze
Aber das ist gar nicht die Schweiz
Das ist ja Griechenland!
Das einzige Land, das noch den Euro hat
Der Rest Europas hat in Panik die Drachme eingeführt
Ich gehe in die Taverne
Aber es ist gar kein griechisches Lokal
Ich bin im Café Engländer
und schüttle meine Kanzleikollegen mit der Hand
Dann