Der Paragrafenreiter. Ludwig W. Muller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig W. Muller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862587
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Runde. Als ich beteuerte, wenn überhaupt, dann nur mit einem Wollschal geknebelt werden zu wollen, fiel mir der Prucha ins Wort und lenkte das Thema wieder auf eine nervige Mandantin. Unsere alte Burgschauspielerin, der man eigentlich wegen ihrer Paranoia einen Sachwalter bestellen müsste. Die Ulli Czermak nutzte die Gelegenheit und entschuldigte sich kurz. Aber so leicht habe ich nicht locker gelassen, jetzt wo ich die letzte Hemmschwelle überschritten hatte. Auch nicht, als sich die Czermak nach ihrer Rückkehr neben die Julia setzte.

      Rückblickend sehe ich es nicht als den schwersten Fehler des Abends an, dass ich irgendwann meinen Arm um den Prucha gelegt und gemeint hab: »Gehn wir doch einmal zu zweit fort, durch die Nachtlokale, von dir kann i sicher einiges lernen …« Oder öffentlich verkündet habe, dass ich eigentlich ein Künstler bin und demnächst meinen Job hinschmeißen werde. Der Prucha hatte mich ja selbst aufgefordert, ein paar meiner Schüttler zum Besten zu geben. Und seine waren auch längst nicht mehr jugendfrei. Der größte Fehler war, dass ich mich danach vom Raschhofer in die Stadt mitnehmen habe lassen, in seinem Cabrio.

      »Wie war das noch mal, das Gedicht da …«

      »Welches meinst?«

      »Das mit dem Gangbang. ›Ich habe keinen Tau, ob ich den deinen kau?‹«

      »Nein, das mit dem Zopfpulli.«

      »Strick dir einen Noppenpulli, dann werde ich dich poppen, Ulli.«

      »Super, dass du die spießige Kuh einmal aus der Reserve gelockt hast.«

      »Das wollte ich aber gar nicht. Ich find die Czermak wirklich scharf.«

      Der Raschhofer sieht mich an, als hätte ich ihm einen One-Night-Stand mit Angela Merkel gebeichtet.

      »Du verarschst mich, Ferdi, gelt. Sag mir, dass du das nicht ernst meinst. Die Czermak ist doch überhaupt nicht deine Klasse. Und Schmäh hat sie ungefähr so viel wie die Elfriede Jelinek.«

      »Nein ehrlich, René. Ich steh auf so strenge Frauentypen, so Lehrerinnen halt.«

      »Bist du da irgendwie fixiert? Von deinem ersten Mal Sex oder so?«

      Und so kam es, dass ich dem Raschhofer von meinem Erlebnis in Neuberg an der Mürz erzählt hab.

      Dort war ich wegen meines Bandscheibenvorfalls auf Reha. Folglich wehrlos. Da lernte ich eine steirische Jugendamtsleiterin kennen, die war auf Kur. Und sie war wirklich Handarbeitslehrerin, früher einmal. Als sie mich auf der Matte des Gymnastikraums ritt, war das nicht mein erstes Mal. Aber das erste Mal, dass ich den Sexualakt lege artis vollzogen habe, inklusive Erektion und Ejakulation. Der Raschhofer kann sich fast nicht mehr halten, obwohl an der Ampel gerade die Polizei neben uns hält.

      »Wow, Ferdi. Das will ich auch einmal. Mit einem mundgeblasenen Schwanz auf der Matte liegen, und dann eine pensionierte Handarbeitslehrerin …«

      »Die war aber noch topfit! Sie hat nur einen kürzeren Fuß gehabt.«

      »Ist doch wurscht, ob sie einen kürzeren Fuß gehabt hat. Man könnte ja genauso gut sagen, sie hatte einen längeren Fuß!«

      Und dann hat mich der Raschhofer eben nicht nach Hause gebracht, sondern mitgenommen auf eine superoriginelle Penthouseparty. Es war föhnig warm an diesem Dezemberabend, die Gäste saßen auf Hockern im Freien und spielten Schneebar mit Blick auf den Kahlenberg. Eine unfassbar lange Brünette reichte mir einen Joint, der roch, als hätten sie eine alte Matratze hineinverarbeitet. Fiese, bewusstseinsverändernde Kräuter. Mike, der Gastgeber, ein Flugzeugpilot, der um drei Uhr früh in einem Schi-Overall Drinks mixte, hatte mich gewarnt. Ich nahm einen höflichen Zug und hustete. Ich kenne das Zeug aus meiner wilden Zeit mit Sladko, es macht mich völlig apathisch und konfus. Aber beim Raschhofer löste es einen gewaltigen Redeschub aus.

      »Ferdinand, laut Darwin entwickelte sich der Mensch durch Mutation – und nicht durch Masturbation!«

      Ich nickte mit schläfrigem Blick, während sich zwei Mädels an der Bar fragten, wer eigentlich der ist, den der René da mitgeschleppt hat.

      »Ich weiß, René. Kinder zeugt man nicht, indem man auf ein Hausdach wichst und wartet, bis sich der Storch draufsetzt.«

      Ich versuchte, korrekt zu artikulieren, aber ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Sprache. »Frau Spermak« habe ich immer gesagt und »Frau Dr. Frigidowitsch«. Und dabei genauso blöd gegackert wie der Raschhofer.

      Und ich habe noch einmal kräftig beim Joint angezogen. Man will doch nicht immer die Spaßbremse sein. Der letzte Satz, den ich gehört habe, war: »Ferdinand, ich geh erst, wenn ich sicher bin, dass deine Wohnungstür hinter dir zufällt.«

      Es war zumindest der letzte Satz, der wirklich zu mir gesprochen wurde.

      Ich sitze im Schönbrunner Zoo und betrachte die

      vorbeiziehenden Besucher

      Es soll drei neue Zoobesucherbabys zum Anschaun geben!

      Eigentlich ist es ganz hübsch in meinem Käfig

      Ein Schreibtisch, ein Regal mit Ordnern

      Der Dr. Prucha kommt herein, mit einem Stapel Akten

      Aber plötzlich kann ich fliegen

      aus dem Käfig heraus

      Ich fliege über Wien

      und ärgere mich über diese Bausünden

      Warum baut man denn einen achthundert Jahre alten Dom

      ausgerechnet neben ein modernes Einkaufszentrum hin!

      Die Häuser unter mir sehen ganz durcheinandergewürfelt aus

      Offenbar gab es ein Erdbeben, aber es hat sich noch keine

      Terrororganisation dazu bekannt

      Ein Dermatologe rennt als Erster aus den Trümmern vor

      seiner Garagenausfahrt:

      Lassen Sie mich durch, ich bin ein Arsch!

      Ich drehe das Radio auf, um zu erfahren, was los ist

      Aber ich finde nur den Schweizer Verkehrsfunk:

      »Achtung, auf der Autobahn Basel–Zürich liegt Geld auf

      der Straße!«

      Ich sitze in meinem Auto

      Links halte ich einen riesigen Kaffee von Starbucks,

      der einzige Kaffee, der auch gegen den Durst geht

      Rechts blättere ich in der Weltkarte von Wien

      und suche die Schweiz

      Mit dem Knie lenke ich

      Wozu heißt das denn Knie-Gelenk!

      Ich nehme einen Autostopper mit, er entpuppt sich als

      Schweizer Informant

      Zum Dank für die Mitfahrt steckt er mir eine CD mit den

      Daten von Schweizer Steuersündern zu,

      die ihr Geld heimlich in Deutschland anlegen

      Und das ist nur der Eisberg

      Die Spitze ist angeblich noch viel vernachlässigbarer

      Wir kommen an die Grenze

      Aber das ist gar nicht die Schweiz

      Das ist ja Griechenland!

      Das einzige Land, das noch den Euro hat

      Der Rest Europas hat in Panik die Drachme eingeführt

      Ich gehe in die Taverne

      Aber es ist gar kein griechisches Lokal

      Ich bin im Café Engländer

      und schüttle meine Kanzleikollegen mit der Hand

      Dann