Der Paragrafenreiter. Ludwig W. Muller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig W. Muller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862587
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wieder einmal unglaublich gelogen in der Kanzlei, um rechtzeitig zur Therapiestunde zu kommen. Stattdessen hätte ich Karl Kraus lesen sollen. Ich sag das auch meinem Analytiker, weil ich alles sage, was mir auf der Couch durch den Kopf geht. Und er geht wie üblich überhaupt nicht darauf ein.

      »Beschreiben Sie doch einmal diesen Herrn vom Abschleppdienst.«

      »Kleiner als ich, aber bullig. Schaut aus wie mit Efeu überwachsen, so drückt’s ihm die Adern zwischen den Tätowierungen raus.«

      »Und das Gesicht?«

      »Glatzköpfig und ganz viele Piercingringe. Ich hätte meinen gesamten Duschvorhang dran auffädeln können.«

      »Und was hat dieses Bild in ihnen ausgelöst?«

      »Angst … ach was … Wut!«

      »Also was jetzt?«

      »Dieser Typ hat mir einfach den Weg zu meinem Auto verstellt, während sein Kollege hinter mir die Ketten des Abschleppkrans angelegt hat. Ich hätte noch einsteigen und wegfahren können. Solange noch keine Bewegung stattgefunden hat, darf ich das, laut ständiger Rechtsprechung.«

      »Gut, gehen wir noch einmal zurück zu diesem Herrn vom Abschleppdienst. Was will der von Ihnen?«

      Von mir will der eigentlich gar nichts. Abschleppen ist ein Geschäft, das er sich oder seiner Firma nicht entgehen lassen will. Polizei und Abschleppdienst machen sich einfach zum Handlanger eines depperten Garagenbesitzers, ohne überhaupt zu prüfen, ob der nicht vielleicht eh hinter mir vorbeikommt, mit seinem SUV.«

      »Ich weiß, Blechschäden sind teuer«, wirft mein hochbezahlter Analytiker ein. »Ich war selber grad in der Werkstatt, weil mir eine Dame beim Ausparken reingefahren ist.«

       Sie fuhr sich durch die Dauerwelle, stieg aus und sprach nur: Wow, a Delle!

      »Entschuldigung, darf ich auch erfahren, was Ihnen grade durch den Kopf geht? Ich möcht gern mitlachen.«

      »Sorry, Herr Doktor. Nur ein depperter Schüttelreim, wie üblich.«

      Und so analysieren wir wieder einmal meinen Zwang, Worte zu verdrehen, und Konfrontationen, die ich nicht verarbeiten kann, in einem Kalauer aufzulösen. Im konkreten Fall über eine Frau, die an meine Stoßstange »anbumst«. Freuds »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten«, eine Privatvorlesung. Das Einzige, was mich an Dr. Reisinger immer wieder überrascht, ist sein Gedächtnis. Sogar wenn ich dachte, er wäre wieder einmal eingeschlafen, erinnert er sich auch noch eine halbe Stunde später an irgendwelche bedeutungslosen Passagen vom Beginn der Sitzung.

      »Sagen Sie, was bedeutet eigentlich SUV?«

      »Sport … vehicle … was weiß ich … wahrscheinlich sexuell unterversorgter Vollhorst.«

      Als die Sitzung zu Ende ist, weiß ich, dass der Offroader, der da »aus seiner Öffnung herausfährt«, der im Vergleich zu mir ungleich kräftigere Penis ist. Das ist insofern richtig, als mein Volvo Kombi länger ist, aber schmäler als ein SUV. Der bodygebuildete Scherge vom Abschleppdienst wird im Wege einer Verschiebung der Bilder vom »langen Arm«, also einem Bestandteil, zum Penisbesitzer selbst, also Halter des Offroaders, was meine Aggression gegen ihn bestens erklärt. Und gegen den Analytiker selber, der auch ein Arztausfahrt-Schild über seiner Garage hängen hat, obwohl ich ihn klar darauf hingewiesen habe, dass die Aufschrift »Arztausfahrt« rechtlich völlig irrelevant ist. Ich könnte genauso gut Pfarrer- oder Analytikerausfahrt hinschreiben.

      Die sechzig Euro für die psychoanalytische Sitzung haben sich wieder einmal richtig bezahlt gemacht. Die Endlosschleife in meinem Kopf über präpotente Verkehrsteilnehmer kommt danach erst richtig in Gang. Dabei ist der Hass auf Besitzer von Fahrzeugen, die einen Meter höher sitzen und anderen direkt in die Augen oder in den Rückspiegel leuchten, einfach ein Ausdruck des Überlebenswillens. Natürlich hat auch der Dr. Prucha ein solches Amphibienfahrzeug, einen BMW X5.

      »Aber, ich bitt Sie, Dr. Just. Ich hab ja schließlich eine Jagd, im Waldviertel.« Das ist sein Hauptargument.

      Zweimal im Jahr geht der Dr. Prucha auf die Jagd, mit dem Oberstaatsanwalt Schwarzäugl oder sonst irgendeinem Würdenträger, bei dem er sich dafür den einen oder anderen Vorteil herausschlagen kann. Einmal hat er auch etwas geschossen, und zwar einen Birkhahn. Ein völlig ausgemergeltes schwarzes Federvieh, das jetzt ausgestopft über seinem Schreibtisch hängt. Wozu braucht es für so einen rachitischen Piepmatz überhaupt Schrotflinte und Munition, da reicht doch ein Insektenspray.

      Der Dr. Prucha hat für solche Raubtiere einen Waffenschrank zu Hause, ausreichend für einen Amok mit zwanzig Opfern. Aber er hat natürlich noch mehr als das Jagdargument im Talon.

      »Die Knautschzone, Just. Das Thema Sicherheit hat bei mir absolute Priorität. Ich hab zwei Kinder.«

      Ich selbst fühle mich in Kleinwagen auch nicht besonders wohl. In einem Smart bekomme ich sowieso klaustrophobische Zustände. Wir hatten eine Zeitlang einen kanzleieigenen Smart, für den Stadtverkehr, bei dringenden Terminen. Der Dr. Prucha hat darin ausgesehen, als hätte er ihn an. Wenn jetzt ein Offroader mit so einem Smart kollidiert, dann braucht er keine Knautschzone. Der Smart ist die Knautschzone.

      Ein Fußgänger wird bei der Kollision mit einem Offroader in der Regel oberhalb der Hüfte getroffen, was seine Überlebenschancen mindert, weil er dadurch unter das Fahrzeug gedrückt wird. Und nicht wie sonst über die Kühlerhaube abrollt.

      »Eben, sehen Sie. Dafür ist ja auch unter einem Offroader jede Menge Platz.«

      Der Dr. Prucha ist freilich kein übertrieben scharfsinniger Jurist. Der könnte genauso gut ein Inkassobüro oder einen Gebrauchtwagenhandel leiten. Aber er kompensiert sehr gut fachliche Mängel durch charakterliche Defizite. Zum Beispiel absolute Rücksichtslosigkeit. Wenn der Dr. Prucha mit seinem Offroader eine alte Frau umfährt, dann schiebt er erst noch einmal rückwärts drüber und dann noch einmal nach vorn: »Damit sie nicht unnötig leiden muss.«

      Nach meiner psychoanalytischen Sitzung haste ich zurück in die Kanzlei, um noch einmal Präsenz zu zeigen. Unsere Sekretärin, die Frau Czermak, tritt kurz darauf ein und klopft, als sie bereits herinnen steht. Eine Respektlosigkeit, die sie sich bei unseren Seniorpartnern natürlich nicht herausnimmt. Heute macht sie sich auch nicht die Mühe, ihre gewaltigen Hüften unter einem bauschigen langen Rock zu verbergen, wie üblich. Sie trägt dunkelblaue, enganliegende Jeans, die maßgeschneidert sein müssen, so einen Hintern gibt es nur einmal. Drüber trägt sie eine leichte, frühlingshafte Bluse, in ganz normaler Größe, über ihren perfekt sitzenden Brüsten. Sie ist genauso alt wie ich, sieht aber eine Generation jünger aus. Unsere Frau Czermak ist ein absolutes Unikat.

      »Ich soll Ihnen das hier noch übergeben, bevor der Chef ins Wochenende geht.«

      Bei der letzten Weihnachtsfeier waren wir kurz per Du. Aber so, wie dieser Abend ausging, quittierte sie schon am nächsten Bürotag mein »Servus Ulli« mit einem trockenen »Der Chef möchte Sie sprechen.«

      Sie deponiert einen Stapel Akten auf meinem Schreibtisch, als wäre es der ihre. Dann erklärt sie mir kurz, worum es geht und was ich wenn möglich damit tun soll. Als ob ich das nötig hätte. Ich weiß selbst am besten, was ich mit dem juristischen Sondermüll anfangen soll, der regelmäßig in meinem Arbeitszimmer landet. Wenn ich am Verzweifeln bin, mache ich mir einen Reim drauf:

      Weil die auf uns runterschifften, sammeln wir jetzt Unterschriften.

      Als ein Mieter auf Besitzstörung klagt, weil ein besoffener Gast des Penthousebesitzers auf den Balkon gepieselt hat, zum Beispiel. Oder zum Thema Erbschaftsstreitigkeiten zwischen heillos zerstrittenen Geschwistern:

      Du kriegst den Estrich, den Rest ich.

      Ich habe ein paar Kollegen, die diese Passion mit mir teilen. Einen Staatsanwalt in Graz, Simon Pichler. Von dem ist der mit dem Estrich. Der durchgeknallteste ist der Magister Krall:

      Nur wenig nützt ein Heilbad, wenn man im Kopf ein Beil hat.

      Die meisten Gedichte tauschen wir per Internet aus. Aber wir haben