ONE TO GO - Auf Leben und Tod. Mike Pace. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Pace
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351271
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gebräunt und gut aussehend auf eine saubere, angenehme Art. Sie waren beide blond und hatten eisblaue Augen. Sie waren keine Zwillinge, ähnelten einander aber so stark, dass sie leicht Bruder und Schwester hätten sein können. Sie trugen knackige weiße Shorts und passende lindgrüne T-Shirts, was sie aussehen ließ wie Models aus einer Werbung von Abercrombie & Fitch oder J. Crew, die an einem warmen Vormittag spät im September zum Joggen gingen. Und sie schienen gar nichts von den Geschehnissen um sich herum mitzubekommen.

      »Haben Sie ein Telefon?«, schrie Tom.

      Der Mann griff in seine Hosentasche, holte ein Handy hervor und zeigte es ihm.

      »Wählen Sie den Notruf! Schnell, meine Tochter …!«

      »Das ist gar nicht nötig, Tom«, entgegnete der Mann mit einem strahlenden Lächeln.

      »Sie haben schon angerufen? Super. Sehen Sie, meine Tochter und ein paar weitere Kinder sind in dem grünen Van. Sie müssen mir helfen, die Tür aufzubekommen.« Er hinkte zu dem Van. »Wir müssen vorsichtig sein, denn wenn der Van umkippt … Warten Sie, woher wissen Sie, wie ich heiße?« Er blieb stehen und wandte sich wieder dem Paar zu. Da dämmerte es ihm – die Umgebung eingefroren im Augenblick, zwei gut aussehende Menschen, die ihn grüßten.

      Heilige Scheiße. Er war tot.

      »Du bist nicht tot, Tom«, sagte das Mädchen.

      »Woher wissen Sie, was ich denke?«

      Sie reagierten beide mit einem breiten Grinsen auf diese Frage.

      »Kommen Sie schon, wir müssen die Mädchen aus dem Van befreien, schnell.« Er gab sich alle Mühe, die Schmerzen nicht zu beachten, schlurfte auf den Minivan zu und erwartete, dass ihm die beiden folgten.

      Als er ungefähr zehn Meter weit gekommen war, drehte er sich um. Sie hatten sich nicht vom Fleck gerührt. Dann, eine Hundertstelsekunde später, standen sie unmittelbar vor ihm.

      »Wer seid ihr?«

      »Ich heiße Chad und das hier ist Britney. Schön, dich kennenzulernen, Tom.« Sie hielten ihm beide die Hand hin.

      Tom nahm an, dass es für das bizarre Verhalten der beiden Spinner, die aussahen wie Eliteschüler, eine logische Erklärung gab, aber er hatte keine Zeit, großartig darüber nachzudenken. Er musste Janie aus dem Dodge befreien. Er ignorierte die ausgestreckten Hände und humpelte zum Minivan.

      Als er ihn erreichte, war alles beim Alten. Das Fahrzeug balancierte weiterhin auf zwei Reifen und Janies Gesichtsausdruck war immer noch eingefroren. Sie hatte sich nicht im Mindesten bewegt.

      Er hörte das Mädchen – Britney? – direkt hinter sich. »Das ist irgendwie abgefahren, findest du nicht?«

      Tom sah nach hinten. Sie standen beide da, die Hände noch immer ausgestreckt. »Ich meine, die ganze Sache mit der stehengebliebenen Zeit. Gruselig.«

      »Genau«, fügte Chad hinzu, der unverändert weiterlächelte. »Total gruselig.«

      Wer zum Teufel waren diese Menschen? »Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber wenn Sie irgendetwas tun können, dann helfen Sie mir bitte, sie da rauszuholen.«

      »Wir können tatsächlich etwas tun, Tom«, antwortete Chad.

      »Absolut«, meinte Britney.

      Chad legte Tom freundschaftlich einen Arm um die Schulter und drehte ihn sanft herum, sodass nun beide den Minivan ansehen konnten. »Ich bin mir sicher, dass du mir beipflichtest, dass das Leben voller Entscheidungen steckt. Banale Entscheidungen – was werde ich heute anziehen, was werde ich zum Frühstück essen – und Entscheidungen mit Folgen; welchen Karriereweg man einschlägt, welchen Ehepartner man sich aussucht. Manchmal werden wir gezwungen, über Leben oder Tod zu entscheiden. Fällt dir ein Beispiel für solch eine Entscheidung ein, Tom?«

      »Bitte, helft mir einfach …«

      »Versuch es mal, Tom.«

      »Ich weiß nicht, bei einem geliebten Menschen den Stecker ziehen?«

      »Ausgezeichnet«, lobte ihn Britney. »Du bekommst eine Eins mit Stern.«

      Chad winkte mit dem Arm über die Unfallszene. »Siehst du, Tom, gleich kannst du hier an Ort und Stelle eine Entscheidung über Leben und Tod treffen.«

      »Eigentlich geht es dabei um Leben oder Tod«, verbesserte Britney.

      »Da hast du recht«, kicherte Chad. »Ich korrigiere mich: eine Entscheidung über Leben oder Tod.«

      »Worüber zur Hölle redet ihr da?« Er sah hinüber zum Lexus, teilweise in Erwartung, seinen eigenen Körper in der Fahrerkabine zu sehen. Oder, entgegen dem, was sie gesagt hatten, war er vielleicht tatsächlich tot. Wenn er aber tot war, wo war er dann? Und warum sollte ein stechender Schmerz von seinen Lendenwirbeln und das Bein entlang toben?

      »Die Sache kann auf zwei verschiedene Arten ausgehen«, erklärte Chad und zeigte auf die Karambolage. »Hier kommt Möglichkeit A.«

      Tom hörte ein Surren, als würde ein altmodischer Kassettenrekorder zurückgespult. Plötzlich bewegte sich alles. Rückwärts. Es wurde zurückgespult bis zu einem Zeitpunkt ein paar Sekunden vor der Kollision.

      Tom traute seinen Augen nicht. Er sah den grünen Minivan mit Rosie in östlicher Richtung auf die Brücke fahren, hinter den roten Pick-up. Er konnte den Fahrer jetzt erkennen: Ein gut aussehender Junge, vielleicht siebzehn oder achtzehn, der mit seinem Handy telefonierte. Er sah auch seinen Lexus, wie er sich den zwei anderen Autos näherte, und er saß am Steuer. Was aber unmöglich war, denn er stand ja auf dem Bürgersteig.

      Er sah genauer hin. Er saß am Steuer.

      »Irgendwie cool«, meinte Britney.

      Tom konnte nicht wegsehen. Er sah sich selbst nach unten blicken, um Gayles SMS zu lesen.

      »Man sollte am Steuer keine SMS schreiben«, mahnte Chad.

      »Ablenkungen beim Fahren können tödlich sein«, ergänzte Britney.

      Tom hörte die Hupen und die quietschenden Reifen. Er roch den verbrannten Gummi. Wie gelähmt sah er zu, wie der Lexus ins Schleudern geriet und außer Kontrolle auf den Minivan und den roten Pick-up zusteuerte.

      Nur blieb dieses Mal die Kollision aus.

      Rosie machte eine Vollbremsung, und der Minivan kam quietschend zum Stehen, sodass der Lexus noch vor ihr aus dem Schleudern herauskam. Der Lexus schlitterte über den Randstein, verfehlte den Laternenpfahl um Haaresbreite und kehrte schließlich auf die Fahrbahn zurück. Der rote Pick-up fuhr weiter. Tom konnte sehen, wie Rosie dem Fahrer des Lexus – ihm – den Mittelfinger durch das Fenster zeigte. Offenbar konnte sie ihn nicht genau sehen und erkannte das Auto nicht. Sie fuhr langsam wieder los und setzte ihren Weg in östlicher Richtung nach DC fort.

      Als der Minivan vorbeifuhr, konnte Tom sehen, wie Janie und die anderen Mädchen wegen Rosies obszöner Geste kichern mussten.

      Er winkte wie verrückt mit beiden Armen. »Janie!«

      Zwar wusste er, dass sie ihn nicht hören konnte, aber er war so aufgeregt, sie lebend und in Sicherheit zu sehen, dass ihm das egal war. Er wandte sich wieder an Chad. »Wenn das ein Traum ist, dann möchte ich jetzt gerne aufwachen.«

      Chad beachtete ihn nicht.

      Erneut war das Surren zu hören und die Szenerie kehrte zu dem Zeitpunkt von vor ein paar Augenblicken zurück – die Zeit eingefroren, der Pick-up auf dem Dach, der Lexus um die Laterne gewickelt und Toms Tochter mitten im Schrei gefangen in einem grünen Minivan, der auf zwei Rädern über den Rand einer Brücke ragte.

      »Und das hier ist Möglichkeit B«, sagte Chad. Er wischte mit dem Arm über die Unfallszene. Dieses Mal wurde die Szene nur ein paar Sekunden zurückgespult.

      Tom wurde augenblicklich mit dem inzwischen bekannten Wirrwarr an Bildern, Geräuschen und Gerüchen konfrontiert: Ein gellender Schrei von der Frau mit dem Pudel; quietschende Bremsen und lärmendes Gehupe von anderen Fahrzeugen,