Prüfend sah Helga Köster ihre Tochter an. »Setzt er dir noch sehr zu?«
Gabriela zögerte, dann nickte sie. »Und wie. Zuerst hat er versucht, mich wieder herumzukriegen. Damals wäre ich auch beinahe schwach geworden, weil ich zu jenem Zeitpunkt ja nur wußte, daß er mich mit einer anderen Frau betrogen hat. Aber als ich dann darüber hinaus erfahren mußte, daß er mich niemals geliebt hat… da war es mir, als könne ich nicht einmal mehr seine Anwesenheit ertragen. Ich habe Onkel Toni also gebeten, ihn zu entlassen, doch er hat meinem Wunsch erst entsprochen, als ich ihm in groben Zügen geschildert habe, was wirklich zwischen Harry und mir vorgefallen ist. Allerdings habe ich mir dadurch nun Harrys Haß zugezogen. Er hat mir bereits gedroht, mich und die Klinik zu vernichten, und bei Operationen versucht er systematisch, mich fertigzumachen. Heute hätte ich deswegen beinahe einen Fehler gemacht, aber ich glaube, genau das ist es, was Harry erreichen will. Wahrscheinlich will er mich als Ärztin um meinen guten Ruf bringen.« Sie seufzte tief auf. »Am liebsten würde ich auswandern.«
Ihre Eltern erschraken sichtlich.
»Aber, Kind, das ist doch nicht dein Ernst«, meinte Helga Köster.
Gabriela brachte nur mit Mühe ein Lächeln zustande. »Nein, Mutti, eigentlich nicht, obwohl… in den letzten Tagen habe ich mir darüber tatsächlich so meine Gedanken gemacht. Wenn Harrys Plan nämlich aufgehen sollte, dann bin nicht nur ich als Ärztin am Ende, sondern vermutlich auch Onkel Tonis Klinik. Stelle dir vor, mir würden bei der Anästhesie Fehler unterlaufen. Es braucht nur einen einzigen Todesfall zu geben…«
»An so etwas solltest du gar nicht denken«, fiel Gabrielas Vater ihr ins Wort. »Du bist eine gute… ach was, eine erstklassige Ärztin.«
»Nicht, wenn Harry in der Nähe ist«, wandte Gabriela ein. »Onkel Toni hat ihm keine Frist gesetzt, wann er gehen muß. Er kann sich mit der Arbeitssuche also soviel Zeit lassen, wie er will. Genau das tut er auch, und in der Zwischenzeit macht er mich so sehr fertig, daß ich irgendwann die Nerven verlieren und irgend etwas ganz Dummes machen werde.« Sie senkte den Kopf. »Ich will ehrlich sein – davor habe ich bereits schreckliche Angst.«
*
Es war für Karina Daniel ein schönes Gefühl, endlich wieder zu Hause zu sein. Natürlich genoß sie die Aufenthalte in der Schweiz bei ihrem Verlobten Jean Veltli, und auch in Freiburg fühlte sie sich sehr wohl, aber es ging eben doch nichts über die Heimat.
»Papa!«
Sie umarmte ihren Vater so stürmisch, als hätte sie ihn mindestens zehn Jahre nicht mehr gesehen, dabei war es noch gar nicht so lange her, da Dr. Daniel sie in ihrer Freiburger Studentenwohnung besucht hatte.
»Gnade, Karinchen, du bringst mich ja noch um«, erklärte Dr. Daniel in gespielter Verzweiflung, während er die Umarmung seiner Tochter ganz innig erwiderte.
»Ach, Papa, es ist schön, wieder einmal hier zu sein«, meinte Karina und strahlte dabei über das ganze Gesicht. »Und ich freue mich auch schon auf die Arbeit in der Klinik.«
Dr. Daniel wurde ernst. »Ich fürchte, dafür hast du dir gerade den schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht.«
»Wieso denn das?« fragte Karina erstaunt. »Gibt’s Probleme?«
»Nicht so, wie du vielleicht denkst«, entgegnete Dr. Daniel. »Aber ich würde vorschlagen, daß wir jetzt erst mal nach Hause fahren. Ich muß dir das alles ja nicht unbedingt auf dem Bahnsteig erzählen.« Er lächelte wieder. »Irene freut sich schon sehr auf dich, und Stefan scheint auch ganz glücklich zu sein, weil er seine Schwester mal wieder für längere Zeit bei sich hat.«
»Ich schätze, seine Freude wird sich bald wieder in Grenzen halten«, scherzte Karina, dann sah sie ihren Vater an. »Und Tante Irene führt dir immer noch mit Leib und Seele den Haushalt?«
Dr. Daniel nickte. »Ich bin jeden Tag aufs neue froh, daß ich sie bei mir habe.« Er lächelte schelmisch. »Gelegentlich sind ältere Schwestern eben doch für etwas gut.«
Drohend hob Karina den Zeigefinger. »Mein lieber Papa, was glaubst du, was dir blüht, wenn ich das Tante Irene erzähle?«
»Dann bekommt dein alter Vater von seiner lieben Schwester vermutlich ein paar hinter die Ohren.«
Karina schmunzelte. »Das kann ich natürlich nicht verantworten. Also werde ich Stillschweigen bewahren.«
Inzwischen hatten sie Dr. Daniels Auto erreicht, verstauten Karinas Gepäck im Kofferraum und stiegen dann ein, um zur Villa hinaufzufahren. Hier wurde Karina von ihrer Tante aufs herzlichste begrüßt, dann trug sie das reichhaltige Menü auf, das sie anläßlich der Ankunft ihrer Nichte zubereitet hatte.
»Ich sehe schon, wie meine schlanke Linie verlorengeht«, prophezeite Karina. »Für die Rückkehr nach Freiburg brauche ich sicher keine Fahrkarte. Da kann ich dann kugeln.«
»Na, na, übertreib mal nicht«, wehrte Irene ab, während sie daranging, den Tisch abzuräumen.
»Also, Papa, jetzt kannst du erzählen«, wandte sich Karina ihrem Vater gespannt zu. »Was ist in der Waldsee-Klinik los?«
Dr. Daniel seufzte. »Es geht eigentlich gar nicht um die Klinik selbst, sondern…« Er zögerte. Wenn er doch nur genau wüßte, wie Karina jetzt wirklich gefühlsmäßig zu Dr. Metzler stand. Falls sie ihn nämlich noch immer liebte…
»Sondern?« hakte Karina nach, weil ihr Vater nicht weitersprach.
»Es geht um Erika Metzler«, gestand er schließlich und beobachtete Karina dabei ganz genau. Daher entging es ihm auch nicht, wie es um ihren Mund leicht zuckte.
»Gibt es Probleme in ihrer Ehe mit Wolfgang?« brachte sie ein wenig mühsam hervor.
»Diese Frage gefällt mir ganz und gar nicht, Karina«, meinte Dr. Daniel stirnrunzelnd.
»Was hast du erwartet?« Mit einer fahrigen Handbewegung strich Karina ihr langes, goldblondes Haar zurück. »Ich liebe Jean, und ich bin mit ihm verlobt, aber ein Teil meines Herzens schlägt nach wie vor für Wolfgang, und ich fürchte, es wird sich auch nicht mehr ändern.« Sie seufzte. »Ich habe auch keine Ahnung, wie es sein wird, wenn ich ihn wiedersehe.« Dann blickte sie ihren Vater an. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Papa.«
»Es gibt keine Probleme in ihrer Ehe«, erklärte Dr. Daniel, »ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich haben sich Wolfgang und Erika nie so dringend gebraucht wie jetzt. Erika hatte vor knapp sechs Wochen eine Fehlgeburt.«
Karina erschrak sichtlich. »O mein Gott. Die Arme.« Sie senkte den Kopf. »Ich weiß, wie schlimm so etwas ist… ich weiß es aus eigener Erfahrung.« Langsam hob sie den Blick wieder. »Was meinst du, Papa, soll ich sie besuchen und mit ihr sprechen?«
»Ich fürchte, das mußt du ganz allein entscheiden, Karina. Kannst du es ertragen, die glückliche Ehe von Wolfgang und Erika so hautnah mitzuerleben?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Karina ehrlich. »Und ich kann es nur herausfinden, indem ich zu Erika hinübergehe.«
*
Erika Metzler war sehr erstaunt, als sie so unverhofften Besuch bekam.
»Karina, seit wann sind Sie denn wieder in Steinhausen?«
»Seit heute«, antwortete Karina. »Hat Wolfgang Ihnen nicht gesagt, daß ich komme?«
Erika erstarrte förmlich. Natürlich wußte sie, wie sehr sich Karina damals, als Wolfgang nach Steinhausen zurückgekommen war, in ihn verliebt hatte. Doch diese Liebe hatte nicht auf Gegenseitigkeit beruht, was für Karina eine große Enttäuschung gewesen war. Diese Enttäuschung war vermutlich noch größer geworden, als sie mitbekommen hatte, wie sehr sich Wolfgang in Erika verliebt und sie schließlich auch geheiratet hatte, und obwohl sich Erika der Liebe ihres Mannes sehr sicher war, nagte