In Erikas Augen leuchtete es auf. »Heißt das… die Gefahr ist vorüber?«
»Nicht ganz«, schränkte Dr. Daniel ehrlich ein. »Aber Sie sind jetzt im vierten Monat, und da könnte es nicht mehr so schnell gehen wie am Anfang Ihrer Schwangerschaft. Das heißt, eine Fehlgeburt würde sich jetzt zunächst mit Schmierblutungen ankündigen.«
Die Freude in Erikas Augen erlosch wieder. »Aber… wäre es denn dann nicht besser, wenn ich weiterhin im Bett bleiben würde?«
»Ich kann Ihre Angst sehr gut verstehen«, meinte Dr. Daniel. »Aber ich finde, Sie sollten nur dann die ganze Schwangerschaft im Bett verbringen, wenn es unbedingt nötig wäre. Immerhin sind es bis zum Geburtstermin noch fünf Monate.«
Erika atmete tief durch. »Also gut, ich werde es versuchen.« Sie schwieg einen Moment. »Darf ich dann auch wieder nach Hause?«
Dr. Daniel nickte. »Selbstverständlich. Sagen wir… Anfang nächste Woche. Und falls alles gut verläuft, dann habe ich auch nichts dagegen, wenn Sie in zwei oder drei Wochen Ihre Arbeit in der Klinik wieder aufnehmen – mit Maß und frei von Streß natürlich. Das heißt, keine Überstunden und kein Wochenenddienst.«
Erika lächelte. »Das würde Wolfi sowieso nicht erlauben. Er ist wirklich sehr besorgt um mich.«
Dr. Daniel nickte. »Das habe ich schon bemerkt, und ich will ganz ehrlich sein – es überrascht mich sogar ein bißchen.
Wolfgang war immer so ehrgeizig, sein Beruf ging ihm über alles, und ich hätte nicht gedacht, daß er einmal ein so aufmerksamer Ehemann werden könnte.« Er lächelte. »Allerdings bin ich sehr froh darüber. Sie hätten es nämlich nicht verdient, hinter der Klinik an zweiter Stelle zu stehen.«
»Das haben Sie jetzt aber sehr nett gesagt, Robert.« Sie schwieg kurz. »Ich muß gestehen, daß ich anfangs auch so meine Bedenken hatte. Sie wissen ja, daß Wolfgang und ich uns bereits in Amerika kennengelernt hatten, und zu jenem Zeitpunkt war er so ehrgeizig, daß es schon beinahe an Besessenheit grenzte. Deshalb hat er wahrscheinlich auch nicht gemerkt, daß ich ihn damals schon liebte. Mir wäre beinahe das Herz gebrochen, als ich nach Deutschland zurückkehrte, während er sich entschloß, nach Japan zu gehen. Doch jetzt… es scheint, als hätte er gemerkt, daß es im Leben auch noch etwas anderes gibt als nur die Medizin.« Ein zärtliches Lächeln schlich sich auf ihr fraulich-schönes Gesicht. »Wir sind sehr glücklich miteinander, und wenn dieses Baby gesund zur Welt kommt…« Sie beendete den Satz nicht, doch Dr. Daniel wußte auch so, was sie ausdrücken wollte.
Mit einem besonders herzlichen Lächeln drückte er Erikas Hand.
»Wir werden jedenfalls alles tun, damit Ihr Baby gesund zur Welt kommt.«
*
In den vergangenen Wochen hatte Karina den Chefarzt der Waldsee-Klinik genau beobachtet und dabei festgestellt, daß ihr Bruder in seinem Urteil über ihn vollkommen recht hatte. Wolfgang Metzler hatte sich von Grund auf verändert, und sie konnte nicht gerade sagen, daß diese Änderung zu seinem Vorteil ausfiel. Immer wieder bekam sie mit, wie er Stefan – oftmals ungerechtfertigterweise – zurechtwies und nicht selten auch bestrafte. Und ihr Bruder erduldete das alles schweigend, was Karina auch nicht so richtig begriff. Warum vertraute er sich nicht seinem Freund Gerrit Scheibler an, dem es als Oberarzt sicher zugestanden hätte, Dr. Metzler zur Rede zu stellen? Oder noch besser – warum erzählte er das alles nicht seinem Vater? Dr. Daniel war immerhin Direktor der Waldsee-Klinik. Doch Stefan schwieg beharrlich – vielleicht auch aus Angst, Dr. Metzler würde ihm dann noch mehr zusetzen.
Was Karina allerdings nicht wußte, war, daß Dr. Scheibler ziemlich genau über alle Fehltritte, die sich der Chefarzt in letzter Zeit geleistet hatte, informiert war. Er stand sogar bereits kurz davor, Dr. Daniel endlich über die ganzen Vorkommnisse an der Klinik in Kenntnis zu setzen.
»Na, Karina, haben Sie Angst vor der ersten Operation, die Sie praktisch live miterleben sollen?« wollte Dr. Scheibler jetzt von ihr wissen und riß sie damit aus ihren Gedanken.
»Es geht«, meinte Karina. »In Freiburg habe ich ja schon ein paarmal sozusagen auf der Galerie gestanden und zugeschaut, aber ich glaube, es ist doch etwas anderes, wenn man direkt mit am Tisch steht.« Sie lächelte. »Aber bevor ich umkippe, werde ich hinausgehen. Sie werden mit mir bestimmt keine Arbeit haben.«
In diesem Moment trat auch der Anästhesist Dr. Herbert Weiß herein, der normalerweise im Kreiskrankenhaus arbeitete, während
Erikas Ausfall aber hier in der Waldsee-Klinik eingesprungen war.
»Tut mir leid, daß ich mich ein bißchen verspätet habe«, erklärte er und trat nun ebenfalls an ein Waschbecken, um sich die Hände gründlich zu desinfizieren. »Auf der Bundesstraße hat es einen Unfall gegeben. Nur Blechschaden glücklicherweise, aber die Fahrbahn war eine halbe Ewigkeit blockiert.«
»Nicht so tragisch«, urteilte Dr. Metzler. »Jetzt sind Sie ja hier. Fangen wir also an.«
Der Eingriff gestaltete sich als ziemlich schwierig und verlangte den Ärzten volle Konzentration ab. Es wurde wenig gesprochen, denn mittlerweile waren Dr. Metzler und Dr. Scheibler ein so eingespieltes Team, daß nicht mehr viele Worte zwischen ihnen nötig waren, und auch Stefan kannte den Ablauf schon so gut, daß er hilfreich assistieren konnte. Um so erschrockener waren alle, als Dr. Metzler den jungen Assistenzarzt plötzlich anfuhr: »Verdammt, Stefan, paß doch auf, was du tust!«
Stefan zuckte zusammen. Normalerweise wurde im Operationssaal ein so barscher, lauter Ton nicht angeschlagen – außer bei ganz gravierenden Fehlern, aber ein solcher war ihm eigentlich nicht unterlaufen. Er hatte lediglich nicht ganz exakt abgeklemmt, so daß noch ein wenig Blut in den Bauchraum des Patienten gesickert war.
»Nur keine Panik, Stefan«, erklärte Dr. Scheibler in beruhigendem Ton, als er sah, wie sehr die Hände des Assistenzarztes plötzlich zu zittern begannen. »Es ist alles in Ordnung. Du wirst jetzt ganz vorsichtig…«
»Was soll das, Gerrit?« mischte sich Dr. Metzler wieder in diesem barschen Ton ein. »Sind wir hier in einem Sanatorium oder im OP? Stefan soll sich gefälligst auf seine Arbeit konzentrieren, da ist es nicht nötig, daß du…«
»Hör auf, Wolfgang«, fiel Dr. Scheibler ihm mit leiser, drohender Stimme ins Wort. »Es nützt niemandem, wenn du hier alle nervös machst.« Er sah den Assistenzarzt wieder an. »Komm, Stefan, abklemmen. Das hast du schon x-mal gemacht. Du kannst es.«
Dr. Scheiblers ruhig gesprochene Worte wirkten Wunder. Das Vibrieren von Stefans Händen ließ merklich nach, und nun gelang es ihm auch, den Arbeitsgang richtig auszuführen.
»Gut«, meinte Dr. Scheibler, dann wandte er sich der OP-Schwester zu. »Absaugen, bitte.«
Die konzentrierte Ruhe kehrte wieder ein, dann war der Eingriff beendet, doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheit trat Dr. Metzler diesmal nicht vom OP-Tisch zurück. Sein Blick traf Stefan.
»Du machst die Naht, und ich bleibe hier und sehe dir zu«, erklärte er, und es klang wie eine Drohung.
»Wolfgang, das ist doch unnötig«, entgegnete Dr. Scheibler energisch.
»Nein, es ist meiner Meinung nach sogar dringend nötig, daß ich dem werten Herrn Assistenzarzt mal ein bißchen auf die Finger schaue. In letzter Zeit baut er nämlich nur noch Mist.« Er sah Stefan an. »Also, was ist? Wann gedenkst du anzufangen?«
Stefan spürte die Anspannung in sich, als er jetzt begann, die Wunde zu schließen. Er fühlte Dr. Metzlers unbarmherzigen Blick und rechnete jeden Moment mit einem scharfen Angriff, der auch tatsächlich nicht lange auf sich warten ließ.
»Gerrit, du machst das hier fertig«, ordnete Dr. Metzler zum Schluß noch an, dann wandte er sich Stefan wieder zu. »Und du, mein Freund, meldest dich in fünf Minuten bei mir im Büro.«
Stefan wartete, bis Dr. Metzler draußen war, dann ließ er sich erschöpft gegen