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Als Harald zwei Tage später zum Direktor der Klinik gerufen wurde, ahnte er schon, was ihn dort erwarten würde.
»Bitte, Harald, nimm Platz«, erklärte Prof. Köster, Gabrielas Onkel.
Doch Harald blieb stehen. »Ich denke nicht, daß unser Gespräch sehr lang sein wird. Du hast mich doch nur rufen lassen, um mir zu kündigen.«
Prof. Köster seufzte. »Glaub ja nicht, daß mir das leichtfällt, Harald. Du weißt, wie sehr ich dich schätze, aber…« Er zuckte die Schultern. »Meine Nichte muß mir wichtiger sein, und sie hat mich nun mal vor diese schwere Wahl gestellt – entweder du oder sie.« Wieder zuckte er bedauernd die Schultern. »Ich weiß nicht, was zwischen euch tatsächlich vorgefallen ist. Gabi hat mir nur gesagt, ihr hättet euch getrennt, und sie könnte jetzt nicht mehr mit dir zusammenarbeiten.« Der Professor seufzte. »Es tut mir leid, Harald, aber du mußt dich nach einer anderen Stellung umsehen. Selbstverständlich kannst du so lange bleiben, bis du einen gleichwertigen Arbeitsplatz gefunden hast. Ich werde dich keinesfalls drängen, die Klinik zu verlassen, aber… in deinem eigenen Interesse solltest du versuchen, so bald wie möglich…«
»Ich verstehe«, fiel Harald ihm ins Wort, dann drehte er sich um und verließ ohne Abschiedsgruß den Raum. Er kochte vor Wut, und in dieser Stimmung suchte er Gabriela auf.
»Das wirst du mir büßen!« drohte er ihr. »Du hast mir gerade meine Karriere zerstört, aber dafür werde ich mich bitter rächen, das schwöre ich dir. Ich werde dich vernichten! Dich und deine ganze Klinik!«
»Es ist nicht meine Klinik«, entgegnete Gabriela und wunderte sich, wie sie dabei so ruhig bleiben konnte.
»Aber irgendwann wird es deine Klinik sein«, erklärte Harald, und in seinen Augen stand dabei glühender Haß. »Allerdings wird es bis dahin keine Klinik mehr sein, sondern nur noch ein lächerlicher Schrotthaufen.«
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Die Schmerzen überfielen Erika Metzler mit solcher Wucht, daß ihr sekundenlang die Luft wegblieb, dann sackte sie mit einem leisen Stöhnen in die Knie.
»Frau Doktor, um Gottes willen«, stieß die Oberschwester Lena Kaufmann erschrocken hervor, dann reagierte sie sofort und lief in das Büro des Klinikdirektors. Ohne anzuklopfen stürzte sie hinein, was bei der äußerst korrekten Schwester normalerweise nie vorkam. Deshalb sprang Dr. Daniel auch sofort alarmiert auf.
»Herr Doktor, schnell! Frau Dr. Metzler…«
Mehr war nicht nötig. Im Laufschritt folgte Dr. Daniel der Oberschwester und fand Erika im Ärztezimmer der Chirurgie vor. Sie saß zusammengekrümmt am Boden und weinte. Rasch kniete Dr. Daniel neben ihr nieder, und im selben Moment sah er das Blut.
Zusammen mit der Oberschwester gelang es Dr. Daniel, Erika auf die Untersuchungsliege im Nebenzimmer zu bringen, doch schon eine erste Untersuchung zeigte ihm, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Offensichtlich spürte das auch Erika, denn sie weinte noch immer – still und herzzerreißend.
»Holen Sie den Chefarzt«, bat Dr. Daniel leise, und nahezu lautlos verließ Oberschwester Lena den Raum. Wenig später stürzte Dr. Metzler herein.
»Was ist passiert?« stieß er angstvoll hervor, dann nahm er seine weinende Frau in die Arme.
»Wolfi«, schluchzte sie. »Unser Baby… unser Baby…«
Dr. Metzler blickte fragend in Dr. Daniels Gesicht, doch dieser schüttelte nur den Kopf, dann wandte er sich ab und bereitete eine Injektion vor.
»Nicht erschrecken, Erika«, erklärte er sanft. »Jetzt piekst es ein bißchen.«
Erika bäumte sich in den Armen ihres Mannes auf. »Nein!«
Doch Dr. Daniel hatte die Injektion schon gesetzt. Erikas Widerstand erlahmte allmählich, dann schlief sie ein.
»Wie konnte das passieren?« fragte Dr. Metzler fassungslos und sah seinen Freund dabei anklagend an.
Dr. Daniel seufzte. »Es kam ganz ohne Vorwarnung. Erika war gestern noch bei mir zur routinemäßigen Vorsorgeuntersuchung. Nichts wies auf eine drohende Fehlgeburt hin.«
»Oder du hast es nicht erkannt«, hielt Dr. Metzler ihm vor.
Sehr ernst sah Dr. Daniel ihn an. »Normalerweise würde ich mir eine solche Anschuldigung nicht einfach gefallen lassen, aber du steckst gerade in einer Ausnahmesituation, deshalb will ich deine Worte nicht ernst nehmen.« Er schwieg kurz. »Wolfgang, du bist selbst Arzt und weißt, daß so etwas gelegentlich vorkommt. Deine Frau hat vor fünf Minuten Schmerzen und starke Blutungen bekommen. Selbst wenn ich von Anfang an dabeigewesen wäre, hätte ich die Fehlgeburt nicht mehr verhindern können.«
Dr. Metzler fühlte, wie seine Augen zu brennen begannen. Er betrachtete seine schlafende Frau und wußte, was Dr. Daniel jetzt tun mußte.
»Robert, sei ehrlich… wird sie danach jemals wieder… ich meine…«
Tröstend legte Dr. Daniel einen Arm um seine Schultern.
»Selbstverständlich wird sie wieder ein Baby bekommen können, Wolfgang«, erklärte Dr. Daniel. »Im Augenblick ist das natürlich weder für Erika noch für dich ein Trost, aber ihr seid beide noch jung genug…«
Dr. Metzler wandte sich ab. Obwohl er selbst danach gefragt hatte, wollte er eine solche Antwort jetzt nicht hören. Dr. Daniel hätte ihn gern getröstet, doch er wußte, daß das leider nicht möglich war. Erika und Wolfgang mußten mit dem, was geschehen war, selbst fertig werden, und das war für sie ganz bestimmt nicht einfach.
Dr. Daniel zögerte noch einen Moment, dann wies er zwei Pfleger an, die noch immer schlafende Erika in den kleinen Operationssaal der Gynäkologie zu bringen.
»Darf ich dabeisein, wenn du die Ausschabung vornimmst?« wollte Dr. Metzler wissen.
»Ich glaube zwar nicht, daß das gut für dich ist, aber…«
»Ich möchte Erika beistehen«, fiel Dr. Metzler ihm ins Wort, »auch wenn sie nichts davon mitbekommt.« Er sah zu, wie seine Frau auf einer fahrbaren Trage hinausgebracht wurde, dann richte er seinen Blick wieder auf Dr. Daniel. »Wenn sie kein Kind mehr bekommen kann, dann wird sie daran zugrunde gehen.«
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Völlig erschöpft ließ sich Gabriela Köster auf das gemütliche kleine Sofa im Wohnzimmer fallen. Sie hatte einen entsetzlichen Tag hinter sich, und die Aussicht, den Abend nun ganz allein zu verbringen, reizte sie auch nicht besonders. Kurzerhand verließ sie ihre Wohnung, setzte sich ins Auto und fuhr zu ihren Eltern.
»Gabi, das ist aber eine hübsche Überraschung!« Ihre Mutter freute sich über den unverhofften Besuch so sehr, daß sie Gabriela spontan umarmte, dann betrachtete sie ihre Tochter genauer. »Du siehst aber gar nicht gut aus.« Mitfühlend streichelte sie Gabrielas Gesicht. »Die Trennung von Harald macht dir sehr zu schaffen, nicht wahr?«
Gabriela seufzte. Bisher hatte sie nichts über die wahren Gründe für diese plötzliche Trennung erzählt, doch sie spürte, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen war, das zu tun.
»Ach, weißt du, Mutti, die Trennung von Harry… ja, sie schmerzt«, gab sie zu, während sie mit ihrer Mutter das Haus betrat. »Allerdings bei weitem nicht so sehr wie die Gründe, die dazu geführt haben.« Wieder seufzte sie. »Harry hat mich niemals geliebt. Er wollte durch mich lediglich Chefarzt und später auch wohl Klinikdirektor werden.«
Entsetzt starrte Helga Köster ihre Tochter an. »Das ist ja fürchterlich!« Sie schüttelte den Kopf. »So etwas hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Er machte immer einen so anständigen Eindruck.«
»Also, ich weiß nicht«, mischte sich Helmut Köster ein. »Ich konnte ihn von Anfang an nicht besonders gut leiden. Irgendwie war er mir zu glatt.«