Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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und dabei kann mir niemand helfen. Du bist also vorläufig deines schätzbaren Dienstes ledig.«

      Nach einer stummen Verbeugung verließ Wilfred das Zimmer mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit.

      Er wollte sich nach seinem im Turm befindlichen Kämmerlein hinaufbegeben und tat dies ganz leise, denn er scheute die auf dem Wege dahin leicht mögliche Begegnung mit einem, dem er lieber auswiche. Der Ritter Dowald von Ascharien, von dessen überraschender Ankunft gestern abend er gehört hatte, war derjenige, mit dem er ein Wiedersehen vermeiden möchte, denn die beiden kannten sich von einem, allerdings schon einige Zeit zurückliegenden, für Wilfred aber sehr unrühmlichen Abenteuer her. Das sollte ihm nun freilich nicht gelingen. Aufwärts schleichend vernahm er zu seinem Schrecken schon ganz nahe die schweren, hallenden Schritte des noch höher im Turm Wohnenden die Wendeltreppe herabkommen, und gleich darauf standen sie sich gegenüber. Nun konnte er dem Gefürchteten nicht mehr entrinnen. Zum Umkehren war es zu spät, das hätte wie feige Flucht ausgesehen, und an ein schattenhaft stilles Vorbeihuschen war auch nicht zu denken, weil des Ritters feiste Gestalt den engen Treppengang von Wand zu Wand ausfüllte.

      Dowald erkannte den zufällig Gestellten sofort und rief höchst verwundert aus: »Wen sehen meine Augen? Wie kommst denn du hierher, du spitzbübischer Landstreicher?«

      »Ich bin hier auf der Burg geboren, Herr Ritter, und bin der Sekretarius des Herrn Grafen von Falkenstein,« erwiderte Wilfred, der seine Unverfrorenheit schnell wieder gefunden hatte.

      »Ist die Möglichkeit! Der Sekretarius des Herrn Grafen. Gibt es denn hier soviel Tintenkleckserei zu besorgen?«

      »Augenblicklich bin ich der Amanuensis des Herrn Ritters Eike von Repgow.«

      »Ah, das ist der Fremde, den ich gestern abend hier antraf. Was tut denn der hier?«

      »Wir schreiben hier ein neues Gesetzbuch,« brüstete sich Wilfred, »ein großes Hauptwerk über die sonderbarsten Rechte.«

      »Wir? wer sind wir

      »Na, ich und der Ritter Eike von Repgow.«

      »So! Du und der Ritter. Was du sagst! also ihr schreibt hier ein neues Gesetzbuch. Das ist ja sehr merkwürdig.«

      »Ich weiß nicht, ob ich Euch das anvertrauen darf, und, Herr Ritter, ich hab' eine Bitte an Euch,« sprach Wilfred jetzt demütig und bescheiden. »Verratet nichts von der Judengeschichte damals am Kattenbach. Erinnert Ihr Euch?«

      »Ganz genau, hab' ein gutes Gedächtnis, Wilfred Bogner. Aber ich bin verschwiegen, werde nichts verraten, weder von dem neuen Gesetzbuch noch von der Judengeschichte. Jetzt laß mich vorbei, ich will in den Stall, nach meinem Rosse zu schauen.«

      Wilfred mußte umkehren und die Stufen hinabgehen bis zu einem Treppenabsatz, der soviel Raum bot, daß die beiden einander ausbiegen konnten.

      »Ein Unglück kommt selten allein,« knurrte Wilfred, als er wieder treppauf stieg. »Erst der Reppechower, für den ich mir die Finger krumm und lahm schreiben soll, und dann der Ascharier, der den verflixten Vagantenstreich von mir weiß. Aber er will ja schweigen, hat er versprochen.« –

      Kurze Zeit nach dieser für Wilfred peinlichen Begegnung trat Graf Hoyer in Eikes Gemach, um sich bei seinem lieben Gaste umzusehen und ihn zu fragen, ob ihm nicht irgend etwas fehle, worauf ihm Eike die Versicherung gab, daß er sich hier vollkommen wohl und behaglich fühle und ihm nichts zu wünschen übrig bleibe.

      Danach begann der Graf unvermittelt: »Eike, mir geht etwas im Kopf herum. Wie werden wir den dickfelligen Ascharier wieder los?«

      »Ich habe auch schon darüber nachgesonnen, Herr Graf,« erwiderte Eike, »und mir ist ein Einfall gekommen, der freilich, wenn seine Ausführung mißglückte, in das Gegenteil des erstrebten Zweckes umschlagen könnte.«

      »Laß hören!« sagte der Graf gespannt.

      Eike fuhr fort: »Ritter Dowald sieht mir nicht danach aus, als ob er sich viel aus schriftlicher Arbeit machte.«

      »Der? nein!«, bestätigte der Graf lachend. »Auf einem Sitz hält er nur aus im Sattel oder beim vollen Humpen. Er schlägt eine gute Klinge und führt auch die Lanze tadellos, aber der Gänsekiel taugt nicht für seine Eisenfaust. Worauf willst du denn damit hinaus?«

      »Auf eine List, Graf Hoyer. Sagt ihm, wir könnten uns hier nicht um ihn kümmern, hätten Tag für Tag von früh bis spät mit der Abschrift eines seltenen und berühmten Kodex zu tun, ein äußerst mühseliges Geschäft, weil die alte Handschrift sehr schwer zu entziffern wäre. Was das für ein Kodex ist, braucht er ja nicht zu wissen, darf überhaupt von dem Gesetzbuche nichts erfahren.«

      »Hm! und du glaubst, damit würden wir ihn los, daß wir uns nicht um ihn kümmern? Du kennst ihn nicht, Eike! Der setzt sich hier wochenlang fest und vertreibt sich die Zeit mit Essen und Trinken. Ob wir dabei mittun oder nicht, danach fragt er so wenig wie das Kamel nach dem Purpur.«

      »Aber er soll bei unserem Zeitvertreib mittun; abschreiben soll er uns helfen!« rief Eike.

      »Uns abschreiben helfen? Das ist ein köstlicher Gedanke,« lachte der Graf.

      »Nur unter dieser Bedingung dürfte er hier bleiben, müßt Ihr ihm sagen, wir brauchten notwendig noch eine fleißige Schreibhand. Haltet Ihr es für möglich, daß er darauf eingeht?«

      »Nun und nimmermehr! ja, wenn es sich um einen gewagten Heckenritt handelt, so einen beuteverheißenden Schnapphahnzug, – da steht er seinen Mann, aber vor Geschreibsel in Klausur nimmt er Reißaus und läßt uns seines Rosses Eisen sehen.«

      »Und dann haben wir gewonnen Spiel,« lachte nun auch Eike aus frohem Herzen.

      »Eike, wenn das glückt,« sagte der Graf, »laß ich hoch oben am Bergfried als Abschiedsgruß für den fahrenden Ritter eine Fahne heraushängen. Heute mittag bei Tische werd' ich's ihm beibringen, und dann paß einmal auf, wie schleunig er Fersengeld gibt. Und sobald er zum Tore hinaus ist, lasse ich die Brücke aufziehen, damit er sich draußen nicht etwa eines anderen besinnt, umkehrt und wieder hereinkommt. Und dann, heut abend, da trinken wir eins auf seinen Ritt ins Blaue, denn wo er zu Nacht Unterschlupf suchen soll, weiß er gewiß selber nicht; er findet ja nirgend eine offene Tür.« –

      Die Mittagsstunde kam heran und sollte für den Grafen und Eike zunächst eine unliebsame Überraschung bringen, auf die sie nicht gefaßt sein konnten und die in ihrem Angriffsplan eine kleine Verschiebung verursachte.

      Kaum hatten sich die drei Herren mit der Gräfin zu Tische gesetzt, als Ritter Dowald anfing: »Euer Sekretarius Wilfred Bogner hat mir die seltsam lautende Mitteilung gemacht, Graf Hoyer, daß er mit dem hier gegenwärtigen Herrn ein neues Gesetzbuch über höchst sonderbare Rechte ausarbeitet. Was soll denn das, wenn ich fragen darf, für ein Gesetzbuch werden, Herr von Repgow?«

      Die beiden Männer stutzten erst und krausten unwillig die Stirnen, brachen aber dann in ein schallendes Gelächter aus, in das auch Gräfin Gerlinde belustigt mit einstimmte.

      »Der Fred ist wohl verrückt geworden,« schäumte danach Graf Hoyer auf, »der und an einem Gesetzbuche mitarbeiten! Der Schreibknecht meines gelehrten jungen Freundes ist er, und für ihn abschreiben soll er, weiter nichts. Aber wie seid Ihr denn mit dem Windbeutel zusammengekommen?«

      »O, wir sind gute Bekannte,« erwiderte Dowald, »ich traf ihn einmal weit von hier, auf einsamen Wegen, abseits von der Landstraße, die ich, einer unabweislichen Einladung folgend, dahinritt. Da hörte ich aus geringer Entfernung plötzlich ein fürchterliches Zetermordiogeschrei und sprengte schnurstracks darauf los, um vielleicht schwer Bedrängten, von Räubern Angefallenen zu Hilfe zu kommen. Es war auch so, wie ich vermutete. Eine Bande nichtsnutzigen Gesindels hatte zwei wandernde Juden ausgeplündert, ihnen ihre ganze Barschaft abgenommen, sie dann Rücken an Rücken mit Stricken zusammengebunden und war eben im Begriff, die vor Todesangst Zitternden in den vorüberfließenden Bach zu werfen. Ich, wie der Blitz aus den Bügeln, packte den Rädelsführer, Euren Wilfred, am Kragen und zwang ihm mit gezogenem Schwerte das geraubte Geld, ein rundes, nicht zu verachtendes