Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
Скачать книгу

      Die Tischgenossen hatten dem Erzähler aufmerksam zugehört und harrten nun des noch Fehlenden, denn dies konnte unmöglich das Ende der Geschichte sein, und daß der hier als preislicher Held auftretende Ritter damit zurückhielt, kam ihnen verdächtig vor. Sie wollten darum alles wissen, und um von dem Ruhmredigen den Austrag des Überfalles zu erfahren, richtete zuerst Eike die Frage an ihn: »Habt Ihr denn den Rädelsführer nicht weidlich durchgeprügelt oder ihm sonst einen unvergeßlichen Denkzettel erteilt?«

      »Nein, mich tätlich an ihm zu vergreifen hielt ich unter meiner Ritterehre,« versetzte Dowald stolz. »Aber er mußte mir seinen Namen nennen, und ich sagte ihm auch den meinigen mit dem Zusatz, ich wäre Gerichtsherr in dem Gau und würde mir sein Malefizgesicht auf das genaueste merken. Darob erschrak er gewaltig und flehte mich himmelhoch an, Gnade zu üben und ihn laufen zu lassen. Das tat ich denn auch, die Juden aber nahm ich mit, das heißt, ich ließ sie neben meinem Pferde einhertrotten so lange, bis sie vor den vielleicht in der Nähe auf sie lauernden Strichvögeln sicher sein konnten.«

      »Und das geraubte Geld gabt Ihr den beiden Juden natürlich zurück,« sagte der Graf.

      »Zur Hälfte,« erwiderte Dowald, »die andere Hälfte behielt ich als verdienten Lohn für die Lebensrettung.«

      »Nur die Hälfte behieltet Ihr? wie großmütig!«

      »O sie waren sehr erfreut, soviel wiederzubekommen.«

      »Hatten gar nichts erwartet, nicht wahr?«

      »Es schien mir in der Tat so,« gab Ritter Dowald zu ohne den Sinn dieser fast beleidigenden Frage zu verstehen.

      »Nun aber bitte ich Euch, Eurem Schreiber den jugendlichen Schelmenstreich nicht nachzutragen,« schloß er.

      »Deswegen könnt Ihr ruhig schlafen,« erwiderte der Graf. »Dieser jugendliche Schelmenstreich, wie Ihr die Beraubung harmloser Wanderer mit gewohnter Milde nennt, wird wohl nicht der einzige von ihm verbrochene sein. Er hat aus seiner Vagantenzeit gewiß mehr solcher Stücklein auf dem Kerbholz, von denen ich nichts weiß und nichts wissen will.«

      »Recht so, Graf Hoyer! wir sind doch auch einmal jung gewesen.«

      »Ja freilich! und Ihr seid es beinahe noch, so tapfer und geschäftsklug habt Ihr Euch bei dem Handel benommen,« sprach der Graf mit anzüglichem Tone.

      Dowald fühlte den ihm versetzten Stich und schwieg. Ihm ward durch diese recht deutliche Anspielung doch allmählich klar, daß er sich mit der Erzählung der abenteuerlichen Begebenheit in ein sehr ungünstiges Licht gerückt hatte.

      Auch die anderen saßen unter diesem Eindrucke eine Weile stumm da, bis Gräfin Gerlinde das Gespräch wieder aufnahm mit der Frage: »Habt Ihr bei Eurem unverhofften Wiedersehen mit dem ehemaligen Strichvogel die Erinnerung an jenes erste Zusammentreffen aufgefrischt, Herr Ritter?«

      »Nur ganz beiläufig erwähnten wir es unter uns, gnädigste Gräfin,« erwiderte Dowald verlegen, nun auch noch in dem erwachenden Bewußtsein seines Wilfred gegenüber begangenen Wortbruches, da er doch Verschwiegenheit gelobt hatte. Um weiteren Erörterungen über den heikelen Gegenstand vorzubeugen, wandte er sich schnell an Eike und sagte: »Mit Eurem Gesetzbuche könntet Ihr übrigens ein gutes Werk tun, Herr von Repgow.«

      »Inwiefern, Herr von Ascharien?« fragte Eike wißbegierig.

      »Ihr solltet Euch der armen fahrenden Ritter annehmen und in Eurem Buche die Bestimmung festlegen, daß wir mit Sorgen und Nöten schwer Beladenen überall nur die halbe Zeche, kein Wegegeld, keinen Brückenzoll, keine Zinsen für Schulden und vor allem keine Steuern und Beden zu bezahlen hätten.«

      »Dowald! Ihr Zeche und Zinsen bezahlen?« lachte der Graf frei heraus.

      Auch Gräfin Gerlinde lächelte verstohlen und biß sich auf die Lippen, um einen lauten Heiterkeitsausbruch zurückzuhalten.

      Eike aber erwiderte scheinbar ganz ernsthaft: »Kein übler Vorschlag von Eurem Standpunkte aus. Aber was würden wohl die Wirte, die Gläubiger, und die kaiserlichen Säckelmeister dazu sagen?«

      »Die kaiserlichen Säckelmeister mögen sich die Steuern und Abgaben zu des Reiches Nutz und Notdurft aus den Taschen des geringen Volkes, der Handels- und Gewerbsleute, Handwerker und Pfahlbürger holen, aber nicht der edlen Ritterschaft aufbürden, der man mit so etwas nicht kommen darf, weil sie ihr Geld zu ihrem eigenen standesmäßigen Auftreten braucht,« schnarrte der selbstsüchtige Ascharier.

      »Was Ihr da verlangt, edler Ritter, wäre für die in meinem Gesetzbuch angestrebte Rechtsgleichheit ein Schlag ins Gesicht,« entgegnete Eike empört.

      Auch Graf Hoyer fühlte sich in seiner echt vornehmen Denkungsart durch das unerhörte Ansinnen tief verletzt, wollte sich aber auf einen Streit darüber mit dem verbohrten Querkopf nicht einlassen und hielt es jetzt für an der Zeit, mit dem verabredeten Plane zur Abschüttelung des Überlästigen einzugreifen. Er begann: »Wir hatten uns vorgenommen, Euch über Repgows Buch genauen Bericht zu erstatten, und nun ist uns Fred damit zuvorgekommen. Aber es gibt ein Mittel, Euch gründlicher in das Werk einzuführen als es die weitschweifigste Belehrung vermöchte. Ich habe Euch nämlich einen dringenden Wunsch ans Herz zu legen, dessen Erfüllung Ihr mir schwerlich versagen werdet, Dowald.«

      »Ich kann mir keinen Wunsch denken, den ich Euch nicht mit Freuden erfüllen würde, Graf Hoyer,« versicherte der Ritter mit einem Tone, der auf bedingungslose Bereitwilligkeit zu allem schließen ließ.

      »Das freut mich, und ich habe auch nichts anderes von Euch erwartet,« fuhr der Graf fort. »Seht mal, wir beide, Repgow und ich, haben mit dem Gesetzbuch alle Hände voll zu tun und wissen gar nicht, wie wir allein damit fertig werden sollen, denn die Sache drängt zur größten Eile. Wie wäre es nun, wenn Ihr uns einige Wochen lang beim Schreiben fleißig hülfet?«

      Dem Ascharier blieb vor Schreck der Bissen im Munde stecken. Er legte das Messer nieder und starrte den Grafen sprachlos an. Dann ermannte er sich und brachte nun stotternd vor: »O wie gerne, wie sehr gerne tät ich das, lieber Graf! aber – jammerschade! leider, leider muß ich heut nachmittag fort nach der Heimburg, wo man mich bestimmt und ungeduldig erwartet, denn ich habe dem zweitgeborenen Regensteiner, der dort oben auf dem Kegel horstet, meinen Besuch hoch und heilig versprechen müssen.«

      Graf Hoyer wiegte das Haupt hin und her wie mit dem tiefsten Bedauern und in der bittersten Enttäuschung. »Das trifft sich schlecht,« sprach er, sich mühsam beherrschend, »ich hatte schon meine Hoffnung auf Euch gesetzt. Daß Ihr des Schreibens kundig seid, weiß ich, und es braucht ja nicht so schön zu werden wie eine kunstvoll gedrechselte Mönchschrift. Könnt Ihr uns nicht wenigstens heute nachmittag noch ein paar Stunden helfen?«

      »Nein, nein! es geht nicht, es geht nicht,« beteuerte Dowald, Angstschweiß auf der Stirn. »Es ist ein weiter Ritt nach der Heimburg und schon die höchste Zeit zum Aufbruch, ich sollte längst in den Bügeln sein. – Folkmar,« rief er dem Diener zu, »laß mir mein Roß satteln, aber schnell! – Mit diesem Abschiedstrunke dank ich Euch, Graf Hoyer, und Euch, Gräfin Gerlinde. Ich wäre so gern noch geblieben und weiß, ihr hättet mich gern hier behalten, aber diesmal geht's nicht, ich komme bald einmal wieder und dann will ich bleiben so lange wie ihr wollt; heute geht's nicht, ich muß fort, muß gleich fort.« –

      Als kaum ein Viertelstündchen später Ritter Dowald aus der Burg hinaus war, jubelte Eike: »Der Streich wäre gelungen, Graf Hoyer! nun heraus mit der Fahne am Bergfried!«

      »– Nein!« entschied der Graf, »ich ärgere mich.«

      »Worüber?«

      »Daß der alte Schwätzer durch Freds alberne Prahlerei von deinem Buche weiß.«

      »Ja, den berühmten Kodex konnten wir ihm danach freilich nicht aufbinden.«

      »Ach, das ist Nebensache, aber der Ascharier kann's Maul nicht halten,« stieß Graf Hoyer grimmig hervor. »Er wird es allenthalben herumträtschen, daß hier auf dem Falkenstein ein neues Gesetzbuch geschrieben wird, und nun werden sie uns von allen Seiten mit törichten Fragen und aufdringlichen