Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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Vorschlage stimmte Eike gern zu, und als sie ihr Frühstück, bei dem sie von dem Buche nicht sprachen, beendet hatten, machten sich die Herren zu ihrem Gange bereit und traten ihn wohlgemut an.

      Alsobald sie auf der Landstraße sanft ansteigend den Saum des Waldes erreicht hatten, blieben sie stehen, wandten sich um und schauten noch einmal zurück. Da lag in geringer Entfernung das große Gehöft des Gasthauses am Scheideweg in der Maienpracht seiner Blütenbäume so malerisch vor und unter ihnen, daß sie sich von dem fesselnden Anblick kaum trennen konnten. Aus einem Schornstein wirbelte blauer Rauch kerzengerade in die Höhe, denn es regte sich kein Lüftchen, und die Flügel der Windmühle auf dem Hügel da rechts harrten vergeblich der treibenden Kraft. Auf dem Hofe, den man von hier aus übersehen konnte, spannten die Fuhrleute ihre Gäule an die Wagen, und ihr Reden und Rufen hallte durch die Stille deutlich zu den Rastenden herauf. Von den Dörfern in der Umgegend führten die Hirten ihre Herden auf die Weide, und über die lachenden Fluren streckte sich weit und breit der Friede eines gesegneten Wohlstandes.

      »Vorwärts!« gebot der Graf, und sie schritten wieder fürbaß und in den frühlingsduftigen, taufunkelnden Wald hinein, wo das junge Laub der Sträucher und Bäume, von den Sonnenstrahlen hell durchleuchtet, mit dem frischesten, saftigsten Grün alle Wipfel und Zweige füllte, daß unten auf Gras und Moos scharf begrenzte Lichter und Schatten wechselten. Und nicht lautlos war es in Geäst und Gebüsch. Muntere Vogelstimmen erklangen ringsum. Amseln flöteten, Pirol und Kuckuck riefen, Finken schlugen, und Grasmücken sangen lockende, werbende Liebeslieder.

      Nachdem die Wanderer, mit vollen Zügen die wonnesame Waldluft atmend, eine Zeitlang schweigend nebeneinander hergegangen waren, begann Graf Hoyer: »Nun sprich, Eike! aber fang von vorn an, wie der Plan des neuen Gesetzbuches in deinem Kopf allmählich gereift ist. Entstanden ist er also, wie du gestern sagtest, infolge des Ungerichtes, das dein Vater einst über sich ergehen lassen mußte.«

      »Nein, Herr Graf! Der übel verlaufene Rechtshandel meines Vaters war nur der Anstoß zu meinem Besuche der hohen Schule in Bologna,« entgegnete Eike. »Dort erst, je mehr ich mich in das Studium vertiefte, sah ich ein, daß das römische Recht nun und nimmer unserem Volke frommen kann. Aber ich war damals schon alt und gewitzt genug, um auch die großen Schäden und Mängel unserer eigenen Rechtverhältnisse zu erkennen und daß sie einer gründlichen Wandlung dringend bedürften. ›Gewalt fährt auf der Straße, und Fried und Recht sind sehre wund,‹ singt Walter von der Vogelweide. Und er hat wahrhaftig recht; die widerspruchvollsten Satzungen zur Entscheidung über Schuld und Unschuld laufen bei uns durcheinander und gegeneinander wie die kribbelnden Tierlein in einem Ameisenhaufen. Was ist das für ein jämmerlicher Zustand, daß hinter jedem Grenzstein, in jedem Gau und jeder Stadt ein anderes Recht gilt, ja, daß zwischen Mann und Frau, die ehelich zusammen hausen, oft weit voneinander abweichende Bestimmungen zur Anwendung kommen, wenn die beiden aus zwei verschiedenen, noch so nahe belegenen Ortschaften gebürtig sind! Unsere Rechtspflege, das Verfahren vor dem Schöffenstuhl auf der Dingstatt, Gerüfte und Klage, Eidstabung, Verfestung und Urteilsspruch liegen im Argen und müssen geändert werden. Dem Volke muß das natürliche Rechtsgefühl und damit auch die Rechtssicherheit wiedergegeben werden in einheitlichen und einfältigen Gesetzen, die sich aus den Erscheinungen und Ereignissen des täglichen Lebens selber entwickeln, statt in verknöcherten Institutionen, starren Paragraphen und verzwickten Kautelen, die dem gemeinen Sinn unfaßbar und dunkel sind.«

      Der Graf hatte dem erregt Sprechenden aufmerksam zugehört, nickte beifällig und fragte nun: »Und welche Rechtsgebiete hast du dir zur Verbesserung ausersehen?«

      »Alle, mit denen Herr und Knecht, Bürger und Bauer in Berührung kommen und die dem Höchsten wie dem Geringsten im Reich an Leib oder Seele gehen,« gab Eike stolz zur Antwort. »Land- und Lehnrecht, Hof- und Erbrecht und was sonst noch mit diesen Gruppen irgendwie zusammenhängt.«

      »Ein weites Feld, eine gewaltige Aufgabe!« sagte der Graf, »wirst du sie lösen können?«

      »Ich hoffe es zuversichtlich, denn ich bin gut gerüstet mit allem für meinen Zweck Wissenswerten.«

      Graf Hoyer schwieg nachdenklich. Dann kam aus seinem Munde die Frage: »Hast du deinen Plan außer mit mir noch mit einem andern Menschen besprochen?«

      »Jawohl, mit meinem getreuen Kumpan Hinrik Warendorp, und er hat mir mannigfach dabei geholfen, hat mir, so lange er lebte, eigene Wahrnehmungen und Erfahrungen über alte Volks- und Gewohnheitsrechte in seiner Vaterstadt Lübeck und in Stormarn und Holstein mitgeteilt und mir schriftliche Auszüge aus Urkunden, Handfesten und Verbriefungen gesandt, wie ich mir solche auch selber aus allen Teilen Altsachsens in Menge herbeigeschleppt habe.«

      »Und sonst hast du niemand eingeweiht?«

      »Doch! noch einen,« erwiderte Eike noch stolzer als vorher, »aber Ihr werdet nicht raten, wen

      »Nun?«

      »Kaiser Friedrich den Hohenstaufen.«

      »Mensch! Das hast du gewagt?« rief der Graf erschrocken aus, »dem Kaiser hast du's offenbart? Du selbst ihm selber?«

      »Auge in Auge! und ich bin froh, daß ich's getan habe, denn der gewagte Schritt war kein verlorener.«

      »Wie bist du nur an ihn herangekommen? was sagte er zu deinem kühnen Unterfangen? wie nahm er's auf?«

      »Über alles Erwarten huldvoll und gnädig,« versicherte Eike. »Laßt Euch erzählen. Während meines letzten Studienjahres in Bologna hatte der Kaiser einen Reichstag nach Cremona einberufen, um die sich trutzig gegen ihn auflehnenden Städte des lombardischen Bundes gefügig und unterwürfig zu machen und auch um den Kreuzzug endlich in die Wege zu leiten, den er dem Papste Honorius bei Strafe des Bannes hatte geloben müssen. Da nahm ich die günstige Gelegenheit wahr, ritt von Bologna nach Cremona und trug dem großdenkenden Hohenstaufen meinen schon fest aufgebauten Plan freimütig und ausführlich vor. Er schenkte mir geduldiges Gehör und gab mir unverhohlen seine Zustimmung zu erkennen. Ich sehe ihn noch, wie er ernst und hoheitsvoll mir gegenüberstand und, so lange ich redete, den durchdringenden Blick nicht von mir abließ. Du willst, hub er an, als ich geendet hatte, mit deinem Buche den Sachsen einen Spiegel des Rechtes vorhalten, eines einheitlichen Rechtes, nach welchem alle Lebenden auf sächsischer Erde ohne Ansehung des Standes und der Geburt mit gleichem Maße gemessen und gerichtet werden sollen. Das gefällt mir, Eike von Repgow! Ich selber habe schon mehr als einmal zu einer solchen Gesetzgebung, wie sie dir im Sinn liegt, den Anlauf genommen, aber bei meinen unaufhörlichen Streitigkeiten mit den Päpsten und den harten Kämpfen hier in der Lombardei und in Apulien gebricht es mir an Zeit zu einer so umfassenden Arbeit. Jetzt hetzen sie von Rom zum Kreuzzuge, um mich aus Italien loszuwerden und nach Belieben hier schalten und walten zu können. Nun schaffe du, was ich als deutscher Kaiser und König nicht vermag. Doch Schutz und Schirm will ich dir gewähren und, soweit mein weltlicher Arm reicht, die Hand über dir halten. Wenn ich dein Buch, wie ich hoffe, gutheißen kann, will ich ihm allen Vorschub leisten und ihm Kraft und Geltung verleihen in Herzogtümern und Grafschaften, in Stadt und Land. Also Gott befohlen, Eike von Repgow! geh mutig und getrost ans Werk, laß dich durch nichts beirren und berufe dich auf mich. – So, Graf Hoyer,« schloß Eike seinen Bericht, »so sprach der hochsinnige Kaiser zu mir; all mein Lebtag werd' ich's nicht vergessen.«

      Graf Hoyer war immer langsamer gegangen und hatte seinen Wandergenossen, von dem Gehörten ganz erfüllt, oft prüfend und wägend angeschaut. Jetzt sprach er: »Den Friedrich von Hohenstaufen gesehen und gesprochen zu haben ist für jedermann ein Glück und eine Ehre. Möge dir seine gnädige Verheißung von Nutzen sein! Meine beiden Söhne, Otto und Arnulf, auch längst zu Rittern geschlagen, stehen bei des Kaisers Heer in Apulien und haben ihn vielleicht auch schon zu Gesicht bekommen. Aber jetzt laß uns ein wenig ruhen, Eike,« fügte er im tiefen Walde stehen bleibend und sich verschnaufend hinzu. Damit streckte er sich auf Gras und Kraut in den Schatten einer mächtigen Eiche, und sein junger Gefährte tat das gleiche.

      Der Graf schob sich beide Hände unter den Kopf und dehnte mit Behagen die müden Glieder. »Wie gut liegt sich's hier!« sagte er. »Unter dieser Eiche hat in den sieben Jahrhunderten, auf die ich ihr Alter schätze, gewiß mancher Weidmann bei seinem Pirschgange gerastet, hat den Eschenspeer und