Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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die so klang, als wäre die Besprechung schon im besten Gange. »Sagt mir zuvörderst, Herr von Repgow,« hub sie an, »wie seid Ihr auf den kühnen Gedanken gekommen, ein neues Gesetzbuch zu schreiben?«

      »Aus Entrüstung über unsern unerträglichen Rechtswirrwarr, aus Mitleid mit unserem armen Volke und aus dem unwiderstehlichen Drange, hier helfend und bessernd einzugreifen soviel ich, alle Kraft daran setzend, vermag,« gab ihr Eike zum Bescheide.

      »Rechtswirrwarr sagt Ihr? ist denn der so groß?«

      »Zum Himmel schreiend, Frau Gräfin! Kein Mensch in ganz Sachsen weiß, woran er ist und an was er sich halten soll. Wenn ein Bauer die Grenzen seiner Dorfmark überschreitet, wenn ein Bürger einen Freund in einer benachbarten Stadt besucht, ein Lehnsmann zu Fuß oder zu Pferd den nächsten Gau betritt, so steht er sofort unter anderen Gesetzen als zu Hause und wird für sein Tun oder Lassen nach Rechten zur Verantwortung gezogen, die er nicht kennt, die seinen heimatlichen oft in der unverständlichsten Weise widersprechen, ihn Unrecht und Unbill dünken und ihn in unbewußte Schuld verstricken. Soviel Grafschaften, Städte und Dörfer wir haben, fast soviel grundverschiedene Rechte haben wir auch.«

      »Das wußte ich nicht und kann es mir auch gar nicht vorstellen.«

      »Es ist auch schier unglaublich,« sprach Eike. »Ein Beispiel wie es mir gerade so einfällt. Mann und Weib haben kein gezweiet Gut bei ihrem Leib, lautet der alte Satz. Der Mann nimmt das ganze Vermögen der Frau in seine Gewere zu rechter Vormundschaft, und Frauengut soll weder wachsen noch schwinden. Aber nicht überall wird das so gehandhabt. In einer Stadt an der Weser lebte ein Ehepaar im innigsten Einvernehmen. Der Mann war in dieser Stadt geboren, die Frau aber in einer anderen, nicht weit davon entfernten. Als der Vater der Frau starb, hinterließ er ein Testament, in welchem er seine Tochter als Erbin seines gesamten Nachlasses eingesetzt hatte. Der Gatte verlangte nun im Namen seiner Frau die Auslieferung der Erbschaft, worauf er nach dem Stadtrecht seines Wohnortes vollen Anspruch hatte. Aber die Übergabe wurde ihm verweigert, weil in der Geburtsstadt der Frau letztwillige Verfügungen unerlaubt und ungültig waren. Und weshalb? auf Betreiben der Geistlichkeit, weil ihr damit sehr erhebliche Anteile an der Hinterlassenschaft eines Verstorbenen entgingen, die ihr ohne Testament unbestritten zufielen. – Dem wollte der Vater der Frau dem Verbote zum Trotz vorbeugen. Aber es nutzte nichts, seine Tochter erhielt das ihr zugeschriebene Erbe erst nach einem sehr belangreichen Abzuge, den der Prior eines Klosters einsackte. Wären alle drei, der Mann, die Frau und deren Vater, in der Stadt gebürtig gewesen, wo Testamente Kraft und Gültigkeit hatten, so hätte der Frau die Erbschaft nicht geschmälert werden dürfen. So aber hatte jede dieser beiden Städte ihr besonderes Erbrecht, und der Mann war anderen Gesetzen unterworfen als seine mit ihm zusammenlebende Ehefrau.«

      »Das ist allerdings höchst seltsam,« sagte die Gräfin.

      »Und wie gedenkst du das Erbrecht zu behandeln?« fragte der Graf.

      »Folgendermaßen. Alle, die gleich nahe zur Sippe stehen, erben unbeschränkt zu gleichen Teilen und brauchen von dem fahrenden Gut niemand etwas abzugeben. Kein Geistlicher, sei er Bischof, Abt oder Mönch, und kein Stift oder Kloster darf von einem Laien etwas erben; nur bei Lebzeiten ihnen freiwillig gemachte Schenkungen dürfen sie annehmen. Der älteste Sohn erhält als nächster Schwertmage vom Heergeräte stets des Vaters Schwert, sein bestes Roß, gesattelt und gezäumt, seinen besten Harnisch und einen Heerpfühl. Die verwitwete Mutter ist Gast im Erbe des Sohnes, aber er muß ihr am Tisch und am Herd den besten Platz einräumen.«

      »Merke dir das, Gerlinde!« sprach der Graf mit einem eigentümlichen Lächeln zu seiner Gemahlin.

      Aber diese verstand den Wink in die Zukunft nicht oder wollte ihn nicht verstehen. Sie war in ihren Gedanken noch mit dem beschäftigt, was Eike über die Erbunfähigkeit der Geistlichen gesagt hatte, und wandte nun dagegen ein: »Mit der unchristlichen Enterbung der Geistlichen und der Klöster beeinträchtigt Ihr doch die Einkünfte der Kirche.«

      »Frau Gräfin, ich schreibe mein Buch keineswegs mit dem Vorsatze, die Kirche schädigen zu wollen.«

      Eike zuckte die Achseln und erwiderte: »Frau Gräfin, ich schreibe mein Buch keineswegs mit dem Vorsatze, die Kirche schädigen zu wollen; ich will nur das Recht schaffen und die Gerechtigkeit auf den Schild heben.«

      »Und wie die Kirche dabei fährt, ist Euch gleichgültig!«

      »Die Kirche ist schon zu reich und zu mächtig, und ihr Übergewicht über die weltlichen Stände darf nicht durch ein diesen zugefügtes Unrecht noch verstärkt werden.«

      Gräfin Gerlinde schüttelte, in dem ihr anerzogenen streng kirchlichen Sinne gekränkt, mißbilligend das Haupt und schwieg.

      »Ihr seid damit nicht einverstanden, edle Frau,« fuhr Eike fort, »aber die Sache muß endlich einmal geregelt werden. In manchen Gegenden nämlich begünstigt die Geistlichkeit die Errichtung von Testamenten und hilft gern dabei, um erbschleichen und der Kirche möglichst viele Vermächtnisse sichern zu können. Darum sollen Geistliche überhaupt nichts von Laien erben, weder mit noch ohne Testament.«

      »Wie wollt Ihr das ändern?« fragte die Gräfin. »Wie wollt Ihr das, was dort als Recht gilt und anderswo als Unrecht empfunden wird, in Übereinstimmung bringen?«

      »Durch Rechtseinheit binnen ganz Sachsenland!« tönte es wie ein Schlachtruf von des Ritters Munde. »Gleiches Recht für alle ohne Unterschied des Standes, ohne Ansehen der Person. Das natürliche Rechtsgefühl muß dem Volke erhalten bleiben oder wieder geweckt werden, wo es eingeschlafen und ihm verloren gegangen ist, damit auch der Ärmste weiß, was sein unanfechtbares Recht ist.«

      »Darüber läßt das seit tausend Jahren bei uns eingeführte römische Recht keinen Zweifel,« behauptete die Gräfin.

      Eike staunte, wie bewandert die junge Frau in diesen schwierigen Begriffen war, und entgegnete: »Hoch, sehr hoch schätze ich das tief durchdachte, sorgfältig ausgearbeitete römische Recht, aber unser Volk kennt es zu wenig, mag es nicht und wird sich nie mit ihm befreunden. Darum will ich dem Volke das deutsche Recht wahren, das mit ihm verwachsen ist und das es vom römischen nicht überwuchern und verdrängen lassen will. Und nicht bloß im Wortlaut des geschriebenen Gesetzes, sondern auch im gehandhabten Verfahren an der Dingstatt soll es ihm lebendig bleiben. Sitzend findet man Urteil, stehend schilt man Urteil unter Königsbann, heißt es da. Jedermann soll seine nothaftige Klage vorbringen und das Gerüfte schreien, denn das Gerüfte ist der Klage Beginn, und der verfestete Mann soll vor Schultheiß und Schöffen seine Aussage bei den Heiligen bewähren, soll auch einen Fürsprech haben, der aber kein Pfaffe sein darf. Kann er vor dem Gaugrafen im Echtding nicht aufkommen, so soll er seinen Gegner übersiebenen durch Eideshelfer oder dadurch, daß er ihn zum Kampfe grüßt, das heißt, daß er zu sieben Mann mit andern sieben für seine Sache kämpft. Wer dann siegt, der hat das Urteil behalten und ist im Rechte. Der andere wird von der Schöffenbank abgewiesen und hat, je nach Befund, Wehrgeld, Wedde und Buße zu zahlen. Der überführte Verbrecher aber soll, wenn es ihm nicht gleich an Haut und Haar geht, nur da Frieden haben, wo man ihn weder sieht noch hört. So ist deutsche Art seit erdenklichen Zeiten.«

      »Das Übersiebenen läuft auf Gottesurteil hinaus,« sagte der Graf. »Willst du die Ordalien nicht abschaffen?«

      »Nein, wenigstens nicht ganz,« erwiderte Eike. »Glühendes Eisen tragen, über glühende Pflugscharen schreiten, in einen Kessel siedenden Wassers greifen bis an den Ellenbogen soll dem Beklagten auch künftig zum Beweise seiner Unschuld gestattet sein, wenn er sich anders keinen Frieden wirken kann. Das Volk hängt von alters an diesen wundersamen Entscheidungen, sieht in ihnen die Offenbarung des göttlichen Willens und nennt sie darum Gottesurteile.«

      Die Gräfin, die der letzten Erklärung Eikes nur mit halbem Ohre gefolgt und in ein beharrliches Nachdenken versunken gewesen war, sagte jetzt: »Ich kann mir nicht helfen, Herr von Repgow, aber ich hoffe, daß Ihr mit dem, was Ihr uns hier von Eurem gesetzgeberischen Vorhaben so mutvoll enthülltet, nicht durchdringt. Es gibt noch einen Kaiser im Reiche als obersten Hüter alles Rechtes.«

      Eike