Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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mag er sich das wohl ge–liehen haben! denn geschenkt hat es ihm niemand und verkauft erst recht nicht,« brummte der Graf. »Und heute just! daß er uns gerade heut auf den Hals kommen muß! Wo steckt er denn nun?«

      »Er bittet, sich erst umkleiden zu dürfen, ehe er vor den Herrschaften erscheint, denn so wie er wäre, könnte er sich nicht zeigen,« erwiderte Folkmar.

      »Das will ich ihm unbesehen glauben; es wird mit seiner Ausstaffierung schäbig genug bestellt sein,« höhnte der Graf. »Schaff' ihn in das kleine Turmgemach und hilf ihm, brauchst dich aber damit nicht zu beeilen. Melissa mag uns inzwischen bedienen, denn warten werden wir auf den alten Schmarutzer nicht, und sie soll nun die gewöhnlichen, zinnernen Becher aufsetzen.«

      Des Grafen Freude war zerstört, seine gute Laune dahin. »Dieser Dowald von Ascharien,« wandte er sich zu Eike, der das alles staunend mit angehört hatte, »ist ein fahrender Ritter, ein edles Blut, das wenig hat und viel vertut. Er nennt sich einen Vetter des Fürsten von Anhalt, mit dem er aber nur sehr weitläufig versippt ist und vor dem er sich seines verworfenen Umhertreibens wegen nicht blicken lassen darf. Er besaß früher einen kleinen Hof bei Aschersleben, der ihm jedoch längst abgepfändet worden ist, hat nicht Hind, nicht Kind, ist ein unleidlicher Schwätzer, bis über die Ohren verschuldet und kriegt nirgend mehr einen Heller geborgt. Nun brandschatzt er alle Burgen im weitesten Umkreise, pokuliert und prahlt mit den unglaublichsten Abenteuern, in denen er selbst stets den siegreichen Helden spielt. Daneben behauptet er, überall eingeladen zu sein, aber wer sein Nahen wittert, läßt schnell die Brücke aufziehen und verleugnet sich vor ihm, denn wo er sich einmal zu Labe und Ruhestatt eingenistet hat, da wird man ihn sobald nicht wieder los.«

      Graf Hoyer wäre in dieser wenig schmeichelhaften Schilderung noch fortgefahren, wenn der so übel Beleumundete jetzt nicht geräuschvoll in den Speisesaal eingetreten wäre, wo sich die drei bereits zu Tische gesetzt hatten. Während er fast stürmisch die Gräfin überfiel, die seinen sprudelnden Wortschwall sehr gelassen hinnahm, flüsterte der Graf, mit einem tadelnden Seitenblick auf den achselzuckenden Diener, Eike zu: »Das nennt er sich umkleiden! einen Rock von mir hat er angezogen, den ich nun niemals wiedersehe.« Dem Grafen schüttelte Ritter Dowald die Hand, als ob er sie gar nicht wieder loslassen wollte, und als er mit Eike die unumgängliche Begrüßung tauschte, betrachtete er diesen mit mißfälliger Miene wie einen hier sehr Überflüssigen.

      Er war fast kahlköpfig mit einem roten, gedunsenen Gesicht, rechts und links lang starrendem, grauweißem Schnurrbart und von vierschrötigem Gliederbau. Ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten, ließ er sich an dem inzwischen für ihn gedeckten Platze nieder und griff sofort nach allem gierig zu, was an Speise und Trank aufgetragen war. Dabei sprach er so viel, daß niemand ein Wort dazwischen reden konnte, berichtete, von wannen er käme und daß man dort vergeblich alles aufgeboten, ihn noch länger zu halten; aber eine unbezwingliche Sehnsucht nach seinem lieben alten Freunde Hoyer hätte ihn hergetrieben, wozu der Graf ein sauersüßes Gesicht machte und die Gräfin ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken konnte.

      Auf diese ungemütliche Weise wurde den anderen der Abend verdorben, und ihr trauliches Beisammensein, auf das sie sich so gefreut hatten, ging ihnen durch die aufdringliche Schwatzhaftigkeit des ungebetenen Gastes, der stets seine eigenen, oft ziemlich gewagten Späße wiehernd belachte, verloren.

      Nach Verlauf von zwei langsam schleichenden Stunden hob Gräfin Gerlinde die Tafel auf, auch Graf Hoyer entschuldigte sich, und Eike schützte Müdigkeit von seinem Reiseritt vor, so daß dem Ascharier nichts übrig blieb, als für heute auf einen weiteren fleißigen Becherschwung zu verzichten und sich innerlich grollend in sein Turmzimmer hinauf zu begeben. Die drei wünschten ihm laut gute Nacht, heimlich aber etwas ganz Anderes.

       Inhaltsverzeichnis

      Am nächsten Morgen machte sich Eike an das Auspacken seines großen Mantelsackes, und Wilfred, der ihm dabei helfen mußte, staunte über die Menge umschnürter und mit Aufschriften versehener Bündel, die nach ihrem Inhalte reihenweise geordnet und in das Büchergestell gelegt wurden, damit man Gewünschtes ohne langes Suchen mit dem ersten Griffe herausfand. Das Staunen des Schreibers wurde aber noch überwogen von seinem Unbehagen angesichts der Fülle von Schriften und der Stöße von Papier und Pergament, die ihm ein bedrohliches Maß von zu leistender Arbeit weissagten. Dazu kam die seine Sorge noch verstärkende Frage Eikes, ob er auch wohl einen reichlichen Vorrat von Schreibsaft in Bereitschaft hätte.

      »Jawohl!« versicherte Wilfred mit leisem Stöhnen, »eine ganze Kruke voll, aus Galläpfeln, Wasser und Vitriol zusammengequirlt, kohlpechrabenschwarz wie der Teufel, vergilbt nicht, verlischt nicht, jedes Wort damit wie für die Ewigkeit geschrieben. Auch roten für die Initialen und Majuskeln. Tinte mischen und Eselshaut zu Pergament glätten habe ich in der Klosterschule gelernt.«

      »Und Pudeln eine Platte scheren auch, nicht wahr?«

      Wilfred, durch diese Erinnerung an seine Gröninger Freveltat gereizt, gab keck zur Antwort: »Allerdings, und wenn Ihr einmal Bischof werdet, Herr, empfehle ich mich Euch als Tonsor; unterm Krummstab lebt sich's lustig.«

      Ein frecher Bursche! dachte Eike und forschte weiter, ob er auch Federn geschnitten hätte.

      »Auch das,« erwiderte der Schreiber ungeduldig, »Gänsefedern und Rabenfedern, spitze und breite, je nach Bedarf, und Pinsel hab' ich auch nebst Farben und Goldpigment, alles fix und fertig.«

      »Schön!« sprach Eike, »hier hast du Papier. Nun setze dich und schreibe, was ich dir vorsage; ich möchte deine Handschrift sehen.«

      Der Schreiber nahm Platz, und Eike diktierte: »Zwei Schwerter ließ Gott auf Erden, zu beschirmen die Christenheit. Dem Papste ist gesetzt das geistliche, dem Kaiser das weltliche. Dem Papste ist auch gesetzt, zu beschiedener Zeit auf einem weißen Rosse zu reiten, und der Kaiser soll ihm den Stegreif halten, auf daß der Sattel sich nicht wende.«

      »Ei, dann möchte ich lieber Papst als Kaiser sein,« meinte Wilfred, als er die Zeilen beendet hatte.

      »Hüte dich, daß du nicht einmal rückwärts auf einem Esel reiten mußt, statt des Zaumes den Schwanz des Bruder Langohr in der Hand,« duckte Eike den Vorlauten, während er das Geschriebene betrachtete.

      Wilfred schwieg, kaute an der Feder und dachte: Hoppla! der gelehrte Ritter dünkt sich wohl im kurulischen Sessel zu fahren; da wird es noch Tänze geben zwischen uns.

      »Mit deiner Schrift bin ich zufrieden, sie ist gut,« lobte Eike.

      »Das Papier ist aber auch gut,« erklärte Wilfred.

      »Hat ein großes Handelshaus in Lübeck für mich aus Burgund bezogen,« berichtete Eike.

      »Aus Burgund? Da war ich auch einmal auf meinen Wanderfahrten. Der Wein dort ist köstlich und billig, wenn man ihn nicht bezahlt,« lachte Wilfred, dem das übermütige Vagantenblut noch in den Adern prickelte.

      Sie schichteten und ordneten weiter, wobei Wilfred die Aufschriften der Bündel las, Namen von Gesetzen und Rechten, Willküren, Weistümern und Regesten, die er noch niemals in seinem Leben gehört hatte. Ihm graute davor, sich in sie hineinfinden und mit ihnen vertraut machen zu sollen. Das kann eine recht erbauliche Sache werden, sagte er sich, wo bleibt da meine schöne Mußezeit? Und es war so hübsch ruhig und friedlich hier auf der Burg, ehe dieser aus der Art geschlagene Ritter auf den unglücklichen Gedanken kam, hier, ausgesucht hier auf dem Falkenstein ein Gesetzbuch schreiben zu wollen.

      Als sämtliche Schriftenbündel in dem Bücherrück übersichtlich untergebracht waren, sprach Eike zu seinem Gehilfen: »Ich irre wohl nicht, wenn ich annehme, daß dein dringendstes Arbeitsbedürfnis für diesen Vormittag gestillt ist.«

      »Ich bin jederzeit zu Euren Diensten, Herr,« erwiderte Wilfred höflich und zugleich erfreut über die damit kundgegebene Absicht des Gestrengen, die Kramerei einstellen und die Schreiberei noch nicht beginnen zu wollen. Trotzdem fügte er mit erheucheltem Pflichteifer hinzu: »Es ist aber noch lange nicht Mittag.«

      »Weiß