Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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      »Fein eingefädelt habt ihr euer boshaftes Fürnehmen gegen ihn,« bemerkte die Gräfin.

      »Bedanke dich bei Eike!« bedeutete sie der Graf, »der hat's ausgeheckt.«

      »Ein Meisterstück, Herr von Repgow! aber hartherzig und grausam.«

      »Schmerzt Euch sein Scheiden?«

      »Durchaus nicht! aber der arme Mensch dauert mich. Ihr habt ihn verjagt und vertrieben durch eure schändliche List, indem ihr ihn bei seiner schwachen Seite faßtet. Wo soll er nun hin, der nicht Heim, nicht Herd, kein Obdach und keinen Gastfreund hat, dem er willkommen wäre?«

      »Du hast recht, Gerlinde,« sprach der Graf. »Ein armer, bedauernswerter Mensch ist, wer keinen Freund, keinen wahren Herzensfreund hat. Innerlich einsam geht er durchs Leben, ob er auch hundert Gesellen hat, die mit ihm bechern und bankettieren, ihn umschwärmen und umschwänzeln, ihn aber nicht lieben und achten.«

       Inhaltsverzeichnis

      Von dem kleinen Garten innerhalb der Burgumwallung führten Stufen zu einem geräumigen Altan empor, der mit einer gemauerten Brustwehr umgürtet war. Aus dieser erhoben sich in gleichmäßigen Abständen steinerne Säulen, ein Gitterwerk von Latten tragend, das den ganzen Altan mit einem luftig durchbrochenen Dach überspannte. Denn sowohl die Säulen als auch das wagerechte Spalier waren mit Efeu und anderen Schlinggewächsen berankt, deren Blätter zwar hier und da den Sonnenstrahlen einen Durchschlupf erlaubten, aber den größten Teil der Plattform beschatteten. Nur wenn sich die Sonne am Spätnachmittage tiefer senkte, konnte sie ungehindert eindringen, jedoch befanden sich zwischen den Säulen leinene Vorhänge, die zugezogen werden konnten und dann vor Blendung schützten.

      Hier von der Hochwacht hatte man einen herrlichen Blick in das Tal und auf den dichten, krausen Wald, dessen Laub vom hellsten bis zum dunkelsten Grün in wohltuendem Gemisch und Wechsel üppig prangte. Weit umfassend war die Aussicht nicht, weil sie durch die Krümmungen des Tales und die sich voreinander schiebenden Berge beschränkt war. Fern im Westen aber zeigte sich bei klarem Wetter der Gipfel des Brockens, mit seiner stolz geschwungenen Linie die nahen Berge hoch überragend.

      Außer unermüdlichen Vogelstimmen jeglicher Art, rufend und flötend, lockend und girrend, tönte kein Laut von unten herauf. Nur in den vom Winde geschaukelten Wipfeln und Zweigen der Bäume regte sich zuweilen ein Brausen und Rauschen oder ein Lispeln und Säuseln wie Liebesgeflüster oder wie geheimnisvolles Raunen von alten Mären und Sagen. Wer das deuten und verstehen wollte, hörte bald ein Grollen und Drohen, bald ein heißes Sehnen und leises Klagen heraus, oder legte der Lauschende das alles selber hinein, wie es in den von Gefühlen bewegten Saiten seines eigenen Herzens erklang? –

      Gräfin Gerlinde stand an der Brüstung, und ihre schlanke Gestalt in hellem Gewande hob sich von dem satten Waldesgrün drüben wirkungsvoll ab.

      Sie gedachte der unwilligen Äußerungen ihres Gemahls heute mittag nach dem Abzuge des Ritters Dowald von Ascharien und konnte sich seinen Verdruß über dessen Mitwissen von dem Gesetzbuche nicht erklären.

      Enthielt es denn etwas Verfängliches, Gefährliches, dessen Bekanntwerden den Männern Sorgen schaffen konnte? Es war doch nach seiner Vollendung für die weiteste Verbreitung im Sachsenlande bestimmt, und jetzt wollte man es vor dem keineswegs scharfsinnigen Ascharier wie ein Geheimnis hüten?

      Allerdings, sie wußte so gut wie nichts davon. Der Graf hatte sie schon bei seiner Ankündigung von Eikes Besuch vertröstet, daß sie alles, was ihr von dem Inhalt zu wissen nötig oder wünschenswert wäre, aus des Verfassers eigenem Munde hören sollte, und ihre verzeihliche Neugier wäre gewiß schon gestern befriedigt worden, wenn das Hereinplatzen jenes ungebetenen Gastes die offene Aussprache nicht unterdrückt hätte.

      Heut abend jedoch und hier auf dem Altan stand ihr der Genuß bevor, in das groß angelegte Werk, wie es ihr Gemahl genannt hatte, eingeweiht zu werden. Der Genuß? wird es wirklich ein Genuß für sie werden? fragte sie sich. Trockene Rechtsgelehrsamkeit zählte nicht zu ihren Liebhabereien, und sie konnte dem Dozierenden keineswegs ein aufmerksames Gehör versprechen. Indessen – Repgows ritterliches Wesen bürgte ihr einigermaßen dafür, daß er sie nicht mit geistlosen, spitzfindigen Tüfteleien über verzwickte Rechtverhältnisse langweilen würde.

      Also wollte sie es darauf ankommen lassen, was sie von dem ihr bis jetzt durchaus wohlgefälligen Manne für Weisheiten vernehmen würde, und, falls er sie damit nicht zu fesseln vermochte, frühzeitig müde werden und vor seinen weitläufigen Auseinandersetzungen die Flucht ergreifen.

      Die Schatten wurden länger und länger; im Tale herrschte tiefe Ruhe und ein alles Lebende hold beschirmender Friede. Die Sonne ging in Gold und Purpur zu Gnaden, und die Hitze des Tages wich allmählich einer angenehmen, leis fächelnden Kühle, in der sich wonnig atmen ließ. Auch aus dem ganzen Bereiche der Burg, dem Hochbau, den Wohnräumen der Mannen und des Gesindes, dem Hof und den Ställen drang kein störendes Geräusch zu der abgelegenen Empore, auf die sich die Herrin des Schlosses wie auf eine umhegte Freistatt gern zurückzog, wenn sie mit ihren Gedanken allein sein wollte.

      Jetzt nahten Schritte und veranlaßten die Einsame, die sich inzwischen einen Schemel an die Brustwehr gerückt hatte, umzuschauen. Folkmar und Melissa kamen mit allerhand Gerät die Stufen herauf, um hier den Tisch zum Abendessen zu decken. Folkmar stellte die selten in Gebrauch genommenen silbernen Pokale auf, was sicherlich nicht ohne den ausdrücklichen Befehl des Grafen geschah und seine Absicht verriet, der kleinen Tafelrunde einen etwas prunkhaften Anstrich zu geben. Dann brachte er auch eine hohe, silberne Weinkanne in einem kupfernen Kübel mit kaltem Brunnenwasser. Die Gräfin lächelte zu diesen ungewöhnlichen Vorbereitungen und dachte: ob Hoyer auch dem Koch heimlich Weisung gegeben hat, ein Festmahl anzurichten vor Freude, daß er den Ascharier so schnell wieder losgeworden ist? Nun, wenn die geistige Nahrung so gut ausfällt, wie die leibliche Verpflegung zu werden verspricht, – mir soll's recht sein.

      Bald hörte sie die beiden Herren in lebhaftem Gespräch durch den Garten daherkommen, erhob sich und winkte ihnen freundlich zu. Ein dickes Aktenbündel bringt der Herr Magister wenigstens zu seinem Vortrage nicht mit, sagte sie sich mit einem Gefühl der Erleichterung.

      »Haben wir warten lassen, Gerlinde?« fragte der Graf von unten herauf in offenbar fröhlicher Stimmung.

      »Es ist alles bereit,« erwiderte sie, »aber ich wußte meine Ungeduld zu zügeln, so gespannt ich auch auf die Geheimnisse bin, die uns Herr von Repgow enthüllen wird.«

      »Geheimnisse sind es nicht, gnädigste Gräfin, was ich Euch und dem Grafen von den Dingen, die mich beschäftigen, mitteilen kann, falls Ihr überhaupt etwas davon zu wissen begehrt,« versetzte Eike.

      »Doch, Eike!« rief der Graf vergnügt, »ein noch ungeschriebenes und noch ungelesenes Buch ist immer ein Geheimnis für jedermann, ausgenommen den Autor.«

      »Und ich bin in der Tat begierig, soviel davon zu erfahren, wie Ihr mir anvertrauen wollt und ich begreifen kann,« fügte die Gräfin hinzu.

      »Letzteres wird nicht allzuviel werden,« lächelte der Graf. »Du mußt dich auf die gelehrtesten Erörterungen gefaßt machen.«

      »Ich werde mich bemühen, so gelehrig wie möglich zu sein, gestrenger Herr Ehgemahl,« gab sie ihm mit einer schelmischen Verneigung zurück.

      Sie gingen zu Tisch und nahmen Platz. Die Gräfin legte dem Gaste vor, und der Graf füllte aus der Kanne die silbernen Pokale. Dann erhob er den seinigen und sprach fast feierlich: »Dies ist der erste Trunk, Eike, den ich dir auf das gute Gelingen deines Werkes zubringe. Möge es dir zum Ruhme und unserem Sachsenvolke zum Heil und Segen gereichen.«

      Die drei Becher klangen aneinander, und die Blicke begegneten sich.

      Darauf trat ein längeres Schweigen ein, aber nicht bloß von der Tätigkeit des Essens geboten, sondern mehr noch in der zurückhaltenden Erwartung jedes der drei, daß einer von ihnen mit der Behandlung des Gegenstandes