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Hinsichtlich des Verbandsverfahrens war die sinngemäße Anwendung der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren vorgesehen (§ 13 VerbStrG-E). Der Legalitätsgrundsatz (§ 14 VerbStrG-E) sollte Anwendung finden, wobei bei Auslandstaten von der Verfolgung hätte abgesehen werden können, wenn dort bereits eine hinreichende Strafe rechtskräftig verhängt wurde oder zu erwarten wäre. Vorgesehen waren umfangreiche Verfahrensregelungen (§§ 15–21 VerbStrG-E) zur gerichtlichen Zuständigkeit und Ausschließung von Richtern, zu Vertretung und Zustellung, Beschuldigtenrechten, Verteidigung und Pflichtverteidigung, verfahrenssichernden Maßnahmen und zur Hauptverhandlung. Die gemeinsame Verfahrensführung sollte möglich sein (§ 15 Abs. 2 VerbStrG-E). Im Verbandsverfahren hätten nicht nur die Vertreter des Verbands[453] als Beschuldigte gegolten, sondern auch untergeordnete Personen, die einer Zuwiderhandlung verdächtigt werden (§ 18 Abs. 1 VerbStrG-E). Die gemeinschaftliche Verteidigung von Verband und natürlicher Person wäre zulässig gewesen (§ 18 Abs. 2 VerbStrG-E).[454] Als verfahrenssichernde Maßnahme (§ 20 VerbStrG-E) war die Anordnung des dinglichen Arrests bis zur Höhe von 10 % des Durchschnittsumsatzes der vorausgegangenen drei Geschäftsjahre vorgesehen, also des Höchstbetrages der Verbandsgeldstrafe. Für die Vollstreckung (§ 22 VerbStrG-E) war im Fall der Nichteinbringlichkeit der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgesehen. Schließlich waren Regelungen zum Eintrag von Strafen und Maßregeln ins Bundeszentralregister, zur Erstreckung der Entschädigungsvorschriften des StrEG und zur steuerlichen Nichtabzugsfähigkeit der Verbandsgeldstrafe enthalten.
II. Bewertung
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Der Entwurf des VerbStrG ist ganz überwiegend auf scharfe Ablehnung[455] gestoßen. Der Vorstoß wurde als „heikel, untauglich und unnötig zugleich“ bewertet.[456] Schünemann[457] sprach gar von einem „kriminalpolitischen Zombie“. Geäußert wurden nicht nur dogmatische sowie rechts- und kriminalpolitische Bedenken, sondern die einzelnen Regelungen wurden z.T. sehr scharf kritisiert. Nur vereinzelt wurden positive Ansätze hervorgehoben, insb. die Berücksichtigung der Compliance,[458] die Einführung ertragsbezogener Verbandsgeldbußen[459] und die Möglichkeit, Auflagen und Weisungen anzuordnen.[460] Vom hiesigen Standpunkt (Rn. 67 ff.) erscheint bereits das Grundkonzept verfehlt,[461] da dem Verband unwiderlegbar ein „originäres“ Organisationsverschulden vorgeworfen werden sollte. Dies hätte den Übergang zu einem zivilrechtlichen Haftungskonzept und den Bruch mit dem bisherigen Verständnis von Strafe bedeutet. Damit wäre die Sanktionierung von Verbänden im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nach unterschiedlichen Grundmodellen erfolgt, da § 30 OWiG, dem das Repräsentationsmodell zugrunde liegt, unverändert fortbestehen sollte.
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Im materiell-rechtlichen Ersten Teil des VerbStrG wurde die Bestimmtheit der Strafbarkeitsvoraussetzungen kritisiert. „Zuwiderhandlungen“ und „Aufsichtsmaßnahmen“ seien unzureichend definiert.[462] Gefordert wurde die Schaffung eines Kataloges von Wirtschaftsstraftaten[463] und die Festlegung von Compliance-Mindeststandards in Anlehnung an den „Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act“ bzw. den (U.K.-)Guidance „The Bribery Act 2010“.[464] Kritisiert wurde weiter der Generalverweis auf die Vorschriften des AT, die auf natürliche Personen zugeschnitten seien.[465] Unklar bleibe etwa, inwieweit die Vorschriften zu Täterschaft und Teilnahme[466] anwendbar sein sollten und ob Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe[467] in Betracht kämen. Kritisiert wurde weiter die im Vergleich zu § 30 OWiG sehr starke Erweiterung des transnationalen Geltungsbereichs durch Anwendung der §§ 3 ff. StGB.[468] Die Erfassung von Zuwiderhandlungen im Ausland erzwinge entsprechende Aufsichtspflichten, die Unternehmen lähmen könnten.[469] Sowohl die Einbeziehung ideeller Vereine[470] als auch die Privilegierung hoheitlichen Handelns wurde als fragwürdig bewertet.[471] Gegen die Etablierung der Risikoerhöhungslehre wurde eingewandt, damit werde der Grundsatz in dubio pro reo unterlaufen.[472]
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Im Zentrum der Kritik standen die Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln, die Unternehmen im internationalen Vergleich mit „nahezu gnadenloser Härte“[473] getroffen hätten. Die Orientierung der Anzahl der Tagessätze nicht am Verschulden, sondern am Gewicht und den Auswirkungen einer Zuwiderhandlung, statuiere eine „Haftung“.[474] Die Bemessung der Tagessatzhöhe am Ertrag bzw. weltweiten Umsatz könne zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen und eröffne erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten.[475] Die Vorteilsabschöpfung gemäß dem Bruttoprinzip könne verheerende Wirkungen haben („Overkill“).[476] Die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt installiere das aus den USA bekannte „Monitoring“ und importiere damit die kompetenz- und vergütungsrechtlichen Folgefragen.[477] Die Möglichkeit der Steuerung des Unternehmens durch Auflagen und Weisungen begründe die Gefahr eines zu tiefen Eingriffs.[478] Die Bekanntgabe der Verurteilung statuiere eine „Prangerstrafe“.[479] Der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und von Subventionen hätte in manchen Branchen existenzvernichtende Wirkung.[480] Die Verbandsauflösung versetze Unternehmen den „Todesstoß“ und treffe insb. die Arbeitnehmer.[481] Die Regelungen zum Absehen von Sanktionen würden jedem Verband eine Compliance-Organisation aufzwingen, was für kleinere und mittlere Unternehmen und die rund 580 000 ideellen Vereine unverhältnismäßig sei[482] und auf ein „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ für Anwaltskanzleien[483] hinauslaufe. Schließlich sei es verfehlt, das Absehen von Sanktionen zu gestatten, wenn nach der Tatbegehung Compliance-Programme implementiert werden, während vor der Tatbegehung vorhandene Compliance-Programme nur zu einer Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt führen könnten.[484]
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Der verfahrensrechtliche Zweite Teil unterlag ebenfalls scharfer Kritik. Der Generalverweis auf die allgemeinen, auf das Individualverfahren zugeschnittenen Vorschriften wurde als verfehlt bewertet.[485] Das Legalitätsprinzip werde die bereits überlasteten Strafverfolgungsbehörden überfordern, Folge wäre eine „Flut“ von Verständigungen.[486] Nicht nur im US-Strafverfahren, sondern auch im VbVG gelte das Opportunitätsprinzip.[487] Die Erwartung, die Mehrbelastung könnte durch Mehreinnahmen abgedeckt werden, ernte „auf Justizseite nur Spott und Hohn“.[488] Die Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO müssten an Unternehmenssachverhalte angepasst werden.[489] Durch die Auflösung der Verklammerung von Verbandstat und Tat des Entscheidungsträgers bestehe nicht mehr der Zwang, ein Urteil über die Tat des Entscheidungsträgers herbeizuführen und entlastende Gesichtspunkte zu ermitteln.[490] Die gerade in Wirtschaftsstrafverfahren sehr effiziente Telekommunikationsüberwachung könne nicht angeordnet werden, da die Verbandsstraftat keine Katalogtat des § 100a Abs. 2 StPO sei.[491] Eine Regelung der zentralen Frage fehle, ob die Strafverfolgungsbehörden auf Beweismittel zurückgreifen dürften, die im Rahmen von Internal Investigations gewonnen worden seien.[492] Die Aufgabe des Verbots der Mehrfachverteidigung könne dazu führen, dass sich Verbände „auf dem Rücken von Individualbeschuldigten“ verteidigen.[493] Der Ausschluss beschuldigter Personen von der Vertretung ermögliche es, den Verband „vertretungslos“ zu stellen, um Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen.[494] Der vorgesehene Umfang der verfahrenssichernden Maßnahmen sei unangemessen.[495] Schließlich sei unklar, ob ein Strafbefehl gegen den Verband ergehen könne.[496]
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 49 Strafbarkeit