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Sippenhaft“ von Mitarbeitern und Aktionären führen.[394] Bei der Hauptverhandlung bliebe „das Unternehmen“ nicht nur weitgehend „gesichtslos“, sondern mit dem Vertreter des Unternehmens würde eine unschuldige Person sichtbar, die „den Kopf hinhält“.[395]
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Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass die Verbandsgeldbuße nicht die gleiche Wirkung haben kann und auch nicht hat, die eine Verbandsgeldstrafe hätte.[396] Die Durchführung von Strafverfahren gegen Unternehmen erregt öffentliche Aufmerksamkeit und wird – wie auch die Erfahrungen im Ausland zeigen – gefürchtet. Gerade der öffentliche Druck eines Strafverfahrens in Verbindung mit der entehrenden und stigmatisierenden Wirkung der Strafe im Fall einer Verurteilung entfaltet eine hohe Abschreckungswirkung. Unternehmen sind i.d.R. sehr um ein positives Bild in der Öffentlichkeit bemüht und reagieren auf negative Schlagzeilen empfindlich; sie sind nicht daran interessiert, dass Interna in die Öffentlichkeit gelangen.[397] Der Unterschied zwischen Geldbußen und Geldstrafen mag zwar in der Bevölkerung weitgehend unbekannt sein, die Leitungspersonen von Unternehmen und ihre Rechtsberater dürften ihn aber genau kennen. Diese Personen agieren rational und ihnen wird regelmäßig bekannt sein, dass ein Strafverfahren und erst recht eine Verurteilung die Reputation nachhaltig schädigen kann – womit auch die „Kosten“ höher ausfallen. Eine Verbandsstrafe kann daher eine stärkere Wirkung entfalten als andere Reaktionsformen. Gegen ein Verbandsstrafrecht sprechen im Übrigen nicht die Auswirkungen, die die Durchführung eines Strafverfahrens auf Unternehmensvertreter, Mitarbeiter und Aktionäre haben könnte, da es sich nur um mittelbare Effekte handelt, die mit jeder Strafverfolgung verbunden sein können und von denen diese Personen bei ausländischen Strafverfahren auch heute schon betroffen sind.
e) Unrechts- und Schuldgehalt sowie Angemessenheit der Sanktion
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Weiter führen die Befürworter eines Verbandsstrafrechts zu Recht an, dass es nicht den wahren Unrechts- und Schuldgehalt widerspiegelt, wenn auf Straftaten, die von Leitungspersonen zugunsten von Unternehmen begangen werden, nur mit Verbandsgeldbußen reagiert werden kann.[398] Strafe dient dazu, sozialschädliche Verhaltensweisen zu sanktionieren, die einen hohen Unrechts- und Schuldgehalt haben. Gerade Wirtschaftsstraftaten weisen aber häufig eine hohe Sozialschädlichkeit auf. Es ist unangemessen, ein sehr sozialschädliches Verhalten nicht zu bestrafen, sondern nur mit Geldbußen zu ahnden und damit wie einen „Bagatellverstoß“ zu behandeln.[399] Strafen werden von der Öffentlichkeit anders bewertet als Geldbußen. Wenn nach der Festsetzung von Verbandsgeldbußen in der Presse häufig fälschlich von „Geldstrafen“ die Rede ist, zeigt dies, dass nur Strafen als eine angemessene Reaktion erscheinen. Nur eine Kriminalstrafe bringt durch ihre entehrende und stigmatisierende Wirkung die sozialethische Missbilligung der Rechtsgemeinschaft unmissverständlich zum Ausdruck, so dass allein eine Verbandsstrafe eine angemessene Sanktion darstellt.[400]
f) Strafrechtliches Risiko und gesellschaftliche Verantwortung
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Schließlich trifft es zu, wenn die Befürworter eines Verbandsstrafrechts angeben, das „Strafrechtsrisiko“ für juristische Personen bzw. Personenvereinigungen sei gegenwärtig nur ein individuelles und kein institutionelles Risiko ist, da nur den Leitungspersonen Strafe droht.[401] Die gesellschaftliche Verantwortung der Verbände ist mindestens ebenso groß, wenn nicht gar größer als die natürlicher Personen. Verbände nehmen in großem Umfang am Wirtschaftsleben teil. Durch die Globalisierung ist die Tendenz zu Zusammenschlüssen und damit zur Bildung von „Global Players“, die ökonomisch und gesellschaftlich ein großes Machtpotential haben, erheblich gewachsen.[402] In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit werden Wirtschaftsstraftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, häufig weniger Individualtätern, sondern dem Unternehmen insgesamt zugeordnet.[403] Es ist deshalb unangemessen, ausschließlich Individualtäter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, nicht aber Unternehmen, die als juristische Personen bzw. Personenvereinigungen verfasst sind.[404] Diese Unternehmen haben dadurch gegenüber Einzelunternehmern einen (Wettbewerbs-)Vorteil.[405] Hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung dürfen sie nicht besser gestellt sein als andere Unternehmensträger.[406] Die Einführung eines Verbandsstrafrechts ist damit auch eine Frage der (System-)Gerechtigkeit.
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Da eine Kriminalstrafe die stärkste präventive und repressive Wirkung hat, darf die Öffentlichkeit erwarten, dass der Staat die Unternehmenskriminalität auf die effektivste Art und Weise bekämpft.[407] Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass zwar gegen Individualtäter rigoros vorgegangen wird, nicht aber gegen verbandsmäßig organisierte Unternehmen. Die Existenz eines Unternehmensstrafrechts würde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung fördern,[408] könnte die Funktion eines „Ventils“ erfüllen, durch das sich die sozialethische Missbilligung der Rechtsgemeinschaft Geltung verschaffen und der Rechtsfrieden gesichert werden kann.[409] Wenn die Gegner eines Verbandsstrafrechts anführen, das Strafrecht müsse als ultima ratio eingesetzt und auf den Schutz der wichtigsten Grundregeln für das soziale Verhalten beschränkt bleiben, sei keine „politische Allzweckwaffe“, dürfe nicht zu einem „willkürlich einsetzbaren Instrument staatlicher Machtausübung ausarten“,[410] so ist ihnen in vollem Umfang zuzustimmen – ein künftiges Verbandsstrafrecht würde aber gerade nicht gegen den ultima ratio-Grundsatz verstoßen.
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Zutreffend hat Vogel[411] darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, eine „Mindestparallelität“ mit dem Strafrecht für Menschen sicherzustellen, so dass die Nichtbestrafung von juristischen Personen und Personenvereinigungen einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG[412] darstellen könnte. Diese „Mindestparallelität“ ist allerdings bereits im bisherigen System gewahrt, da schon lange umstritten ist, ob ein Verbandsstrafrecht dogmatisch möglich sowie rechts- und kriminalpolitisch erforderlich ist. Diesbezüglich steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, von der er mit der Einführung der Verbandsgeldbuße vor Jahrzehnten Gebrauch gemacht hatte. Damit ist ein „Verbandsstrafrecht im weiteren Sinne“ entstanden, das eine hinreichende kriminalitätsdämpfende Wirkung entfaltet. Defizite bei Anwendung und Vollzug stellen dieses System, das ausgebaut werden kann, nicht grds. in Frage, selbst wenn ein Verbandsstrafrecht eine gleichmäßigere und stärkere Wirkung hätte und angemessener (Rn. 116) erscheint.
g) Prozessuale Regelungen
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Schließlich müssten mit der Einführung eines Verbandsstrafrechts spezielle Verfahrensvorschriften geschaffen werden, etwa zur Verfahrensführung, zur Prozessvertretung, zur Anwesenheit, zum Schweigerecht und zu Verständigungen.[413] Hinzuzufügen ist, dass bislang vor allem angemessene Regelungen für verbandsinterne Untersuchungen fehlen, welche die Compliance stärken. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen hat dazu geführt, dass in der Praxis nicht nur die Frage des Umfangs der Beschlagnahmefähigkeit von Dokumenten aus internen Untersuchungen uneinheitlich beantwortet wurde und wird, sondern auch die Verwertbarkeit der Aussagen von Unternehmensmitarbeitern durch Zivil- und Arbeitsgerichte unterschiedlich beurteilt wurde[414] (siehe auch Rn. 173 ff.). Die mit dem Verfahrensrecht verbundenen Fragen sind jedoch grds. lösbar, wie nicht nur der Blick auf die Auslandsrechte nahelegt, und stehen einer Normierung eines Verbandsstrafrechts nicht entgegen. Etwaige Unsicherheiten des neuen Rechts würden im Laufe der Zeit durch das Wechselspiel