IV. Zusammenfassung
125
Es lässt sich zusammenfassen, dass der Einführung eines Verbandsstrafrechts dogmatisch keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen. Die Handlungs– und Schuldfähigkeit von Verbänden lässt sich über die Zurechnung des schuldhaften Verhaltens ihrer Leitungspersonen konstituieren. Die Straffähigkeit folgt aus der Wirkung der Verbandsstrafe auf die Mitglieder des Verbands. Wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit des Verbands ist weder eine Doppel- noch eine Kollektivbestrafung zu befürchten. Rechts- und kriminalpolitisch besteht allerdings kein zwingendes Bedürfnis für die Einführung. Weder fordern bislang die europäischen und internationalen Vorgaben die Einführung, noch drängen hierzu die uneinheitlichen Auslandsrechte. Zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität ist das bestehende System grds. ausreichend. Fortschritte könnten durch den Ausbau des bisherigen Systems, die Beseitigung von Anwendungs- und Vollzugsdefiziten sowie die Stärkung von Präventionsmaßnahmen, insb. der Compliance, erreicht werden. Ein Verbandsstrafrecht hätte freilich den Vorteil, dass hiervon eine gleichmäßigere und stärkere kriminalitätsdämpfende Wirkung ausgehen sollte, da eine Verfolgung gemäß dem Legalitätsprinzip stattfinden und die Verbandsstrafe in einem öffentlichen Strafprozess verhängt würde. Zudem spiegeln nur Verbandsstrafen den Unrechts- und Schuldgehalt verbandsbezogener Straftaten und die gesellschaftliche Verantwortung der Verbände angemessen wider. Konzeptionell sollte sich ein künftiges deutsches Verbandsstrafrecht am Repräsentationsmodell orientieren, da es stringenter als das Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit erscheint und bereits dem bisherigen System zugrunde liegt.
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 49 Strafbarkeit juristischer Personen › E. Zum Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs (2013)
I. Konzept und Ausgestaltung
126
Der im September 2013 vom nordrhein-westfälischen Justizminister Kutschaty vorgestellte „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ (Rn. 15) sollte die „Haftung“ von Verbänden in einem Verbandsstrafgesetzbuch (VerbStrG) regeln. Als Vorbild fungierte das österreichische VbVG (Rn. 17),[439] aufgegriffen wurden aber auch Elemente des italienischen und US-amerikanischen Unternehmensstrafrechts.[440] Dogmatisch lag dem Entwurf – abweichend vom VbVG – das „Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit“ (Rn. 123) zugrunde. Der Erste Teil (§§ 1–12 VerbStrG-E) enthielt materiell-rechtliche Regelungen, der Zweite Teil (§§ 13–22 VerbStrG-E) Verfahrensvorschriften.
127
Der Anwendungsbereich (§ 1 VerbStrG) sollte juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften umfassen, und zwar des „privaten und öffentlichen Rechts“ (Abs. 1), um den diesbezüglich bei § 30 OWiG bestehenden Streit zu entscheiden.[441] Bei den „Zuwiderhandlungen“ (Abs. 2) wurde einerseits die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ausgenommen, um klarzustellen, dass die „Bestrafung des Staates durch den Staat“ ausscheidet,[442] und andererseits Verbandsbezogenheit vorausgesetzt, um aus rein privaten Interessen begangene Taten auszuschließen.[443] Der Kreis der „Entscheidungsträger“ (Abs. 3 lit. a bis d) deckte sich mit dem Kreis der Leitungspersonen des § 30 OWiG. Die Allgemeinen Bestimmungen (§ 3 VerbStrG-E) sahen grds. die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des AT vor (Abs. 1). Für Verjährung und Strafantrag sollte die Zuwiderhandlung maßgebend sein (Abs. 2 und 3), womit die Verklammerung der Verbandsstraftat mit der Tat der natürlichen Person aufgegeben worden wäre.[444] Die Verbandsstraftaten (§ 2 VerbStrG-E) sollten zum einen an die vorsätzliche oder fahrlässige Begehung einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung durch einen Entscheidungsträger anknüpfen (Abs. 1), wobei dem Verband – abweichend von § 30 OWiG und dem VbVG – stets ein Auswahlverschulden vorgeworfen worden wäre.[445] Zum anderen sollte ein Entscheidungsträger bei Begehung einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung durch eine untergeordnete Person für eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene Aufsichtspflichtverletzung verantwortlich sein, womit – analog zu § 130 OWiG – die Risikoerhöhungslehre im Strafrecht etabliert worden wäre.[446] Um einer Verlagerung von Aufsichts- und Kontrollzuständigkeiten zu begegnen, sollten Auslandstaten erfasst werden, wenn der Verband seinen Sitz in Deutschland hat (Abs. 3).[447] Verhängte Sanktionen sollten auch gegen Rechtsnachfolger wirken (Abs. 4).
128
Ein abgestuftes, stark präventiv ausgerichtetes Reaktions- und Sanktionsinstrumentarium hätte dem Verband die Möglichkeit eröffnet, fehlerhafte Strukturen selbst zu korrigieren.[448] Vorgesehen war das Absehen von Sanktionen (§ 5 VerbStrG-E), wenn ausreichende organisatorische Maßnahmen getroffen wurden, um vergleichbare Straftaten künftig zu vermeiden, und ein bedeutender Schaden nicht entstanden war oder überwiegend wieder gut gemacht (Abs. 1) bzw. freiwillig Aufklärungshilfe geleistet wurde (Abs. 2, 4). Dies sollte die Einführung von Compliance-Systemen und die Offenlegung unternehmensinterner Erkenntnisse begünstigen.[449] Die Verbandsgeldstrafe (§ 6 VerbStrG-E) wäre nach Tagessätzen bemessen worden (Abs. 1), die sich nach der Ertragslage richten. Die Geldstrafe hätte höchstens 10 % des durchschnittlichen (Jahres-)Gesamtumsatzes betragen dürfen (Abs. 4), wobei der weltweite Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre zugrundegelegt worden wäre (Abs. 5). Die Zumessung (Abs. 3) sollte an § 46 StGB und § 17 Abs. 3 OWiG anknüpfen, wobei Art, Schwere und Dauer des Organisationsmangels, die Auswirkungen der Zuwiderhandlung und das Nachtatverhalten im Vordergrund gestanden hätten.[450] Die Verbandsverwarnung (§ 7 VerbStrG-E) sollte zulässig sein. Bei den Regelungen zu Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen (§ 8 VerbStrG-E) hätte das Gericht u.a. den Verband mit dessen Einwilligung „nach Art einer Therapieweisung“[451] anweisen können, organisatorische und personelle Maßnahmen zu treffen und hierüber regelmäßig Bericht zu erstatten (Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3). Die Bekanntgabe der Verurteilung (§ 9 VerbStrG-E) sollte in Anlehnung an § 200 StGB und § 12 Abs. 3 UWG[452] bei der Schädigung einer „großen Zahl von