Regelungen zur Milderung der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen enthalten die §§ 16–18 VerSanG-E, um Rechtssicherheit für die Unternehmen und ihre Berater zu schaffen und die Mitarbeiter zu schützen. Die Regeln sollen das Verhältnis zwischen der staatlichen Sachverhaltsaufklärung durch die Strafverfolgungsbehörden und der privatrechtlichen Untersuchung durch das Unternehmen klären sowie ein abgestuftes Anreizsystem schaffen.[529] Ergänzend soll der Umfang zulässiger Beschlagnahmen festgelegt und das Verhältnis von § 97 StPO zu § 160a StPO klargestellt werden, um „bestehende Unsicherheiten“ zu beseitigen.[530] Vorgesehen ist allerdings – entgegen den Erwartungen der Praxis (Rn. 174) –, dass die Reichweite der Beschlagnahmeverbote nunmehr in allen Fällen ausdrücklich auf diejenigen Fälle beschränkt wird, in denen ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigtem besteht.
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Klargestellt wird, dass verbandsinterne Untersuchungen (§ 16 VerSanG-E) sowohl durch den Verband selbst als auch durch beauftragte Dritte durchgeführt werden dürfen, da gerade bei kleinen und mittelständischen Betrieben das Bedürfnis bestehen könne, die Untersuchungen selbst durchzuführen.[531] Eine Milderung (§ 17 VerSanG-E) „soll“ erfolgen (gebundenes Ermessen), wenn fünf (qualitative) Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (Abs. 1), damit ausschließlich „gesetzestreues Verhalten“ honoriert wird[532]:
– | „Wesentlicher“ Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat und der Verbandsverantwortlichkeit (Nr. 1). |
– | Personelle Trennung von Verteidigung und Führung der unternehmensinternen Untersuchungen (Nr. 2); hierdurch sollen potentielle Konflikte verhindert werden, die dadurch entstehen können, dass verbandsinterne Untersuchungen der objektiven Aufklärung des Sachverhalts einschließlich aller belastenden und entlastenden Umstände dienen, während die Verteidigung darauf gerichtet ist, die Verfahrensrechte des Betroffenen zu sichern und einen möglichst günstigen Verfahrensausgang zu gewährleisten.[533] |
– | „Ununterbrochene und uneingeschränkte“ Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden (Nr. 3). |
– | Den Verfolgungsbehörden wurde „das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts“ zur Verfügung gestellt (Nr. 4). |
– | Durchführung der internen Untersuchungen unter „Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens“ (Nr. 5); hierbei geht es „insbesondere“ bei Befragungen um den Hinweis auf die mögliche Verwendung der Auskünfte in einem Strafverfahren (lit. a), um das Recht, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen (lit. b), und um ein Auskunftsverweigerungsrecht, das besteht, wenn durch Auskunft auf einzelne Fragen die Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit droht (lit. c). |
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Bei der Entscheidung über die Milderung hat das Gericht insbesondere Art und Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung und das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Verband zu berücksichtigen (Abs. 3 S. 1). Eine Milderung ist ausgeschlossen, wenn die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart werden (Abs. 3 S. 2). Der Umfang der Milderung (§ 18 VerSanG-E) ist vertypt: Das Höchstmaß wird um die Hälfte reduziert und das Mindestmaß entfällt (S. 1). Zudem ist die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes ausgeschlossen (S. 2), da dies nicht angemessen ist, wenn der Verband selbst zur Aufklärung der Straftat umfassend beigetragen hat.[534]
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Die Regelungen zu Tateinheit und Tatmehrheit (§§ 19, 20 VerSanG-E) orientieren sich an den §§ 52 ff. StGB und sollen sicherstellen, dass der Verband für eine Tat im materiellen Sinne nur einmal sanktioniert wird; für die Fälle der Tatmehrheit wird die „Gesamtsanktion“ eingeführt.[535] Die Regelungen zur Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung (§§ 21, 22 VerSanG-E) greifen die §§ 78 ff. StGB auf. Wie bei § 30 OWiG soll zwischen der Organtat und der Festsetzung der Verbandsgeldbuße verjährungsrechtlich Akzessorietät bestehen.[536] Die Frist der Vollstreckungsverjährung soll grds. zehn Jahre betragen, in besonders schweren Fällen sogar 20 Jahre (§ 22 Abs. 2 VerSanG-E). Die Verjährungsfrist kann einmalig um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert werden, wenn der sanktionierte Verband oder sein Rechtsnachfolger seinen Verwaltungssitz in einen Staat außerhalb der EU verlegt und Rechts- oder Amtshilfe nicht gewährt wird (§ 22 Abs. 5 VerSanG-E). Damit soll verhindert werden, dass sich ein verurteilter Verband der Vollstreckung entzieht.[537]
3. Verfahrensvorschriften
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Teil 5 enthält in §§ 23–53 VerSanG-E umfangreiche verfahrensrechtliche Sondervorschriften. Die gerichtliche Zuständigkeit wird erstinstanzlich dem Schöffengericht beim Amtsgericht und dem Landgericht zugewiesen (§§ 25 S. 2, 74 Abs. 1 S. 3 GVG-E), um den Strafrichter beim Amtsgericht von der zeitaufwändigen Beschäftigung mit komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten zu entlasten.[538] Beim Landgericht wird eine spezielle Strafkammer zuständig sein (§ 74g GVG-E). Die Zuständigkeit für die Verfolgung richtet sich nach der Verbandstat (§ 23 VerSanG-E). Die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich StPO und GVG, gelten entsprechend (§ 24 Abs. 1 VerSanG-E). Unzulässig sind die Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen (§ 24 Abs. 2 VerSanG-E), da hierdurch eine Vielzahl von Mitarbeitern betroffen wäre.[539]
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Es wird grds. ein einheitliches Verfahren gegen die natürliche Person und gegen den Verband geführt[540] (§ 25 Nr. 1 VerSanG-E). Der Verband erhält die Stellung eines Beschuldigten (§ 27 VerSanG-E) und wird damit zur zentralen Figur des Verfahrens.[541] Für die Vertretung (§ 28 VerSanG-E) gilt, dass der Verband durch seine gesetzlichen Vertreter vertreten wird (Abs. 1), wobei Personen ausgeschlossen sind, die einer Verbandstat beschuldigt werden (Abs. 2), und entsprechend § 51 Abs. 2 ZPO das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters dem Verband zugerechnet wird (Abs. 3). Ein besonderer Vertreter (§ 29 VerSanG-E) wird bestellt, wenn der Verband keinen gesetzlichen Vertreter hat oder alle gesetzlichen Vertreter von der Vertretung ausgeschlossen sind (Abs. 1) oder ein in der Person des Vertreters bzw. der Vertreter liegendes Hindernis für längere Zeit besteht (Abs. 2). Rechtsnachfolger treten in die Lage des Verfahrens zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge ein (§ 30 VerSanG-E). Die Ausschreibung eines gesetzlichen Vertreters zur Aufenthaltsermittlung (§ 32 VerSanG-E) ist möglich.
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Für die Vernehmung des gesetzlichen Vertreters (§ 33 VerSanG-E) gilt, dass es ihm im Sanktionsverfahren freisteht, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und die Vorschriften der StPO über die Vernehmung des Beschuldigten entsprechend gelten, wobei allerdings die Vorführung nach § 134 StPO ausgeschlossen ist (Abs. 1). In anderen Verfahren kann der gesetzliche Vertreter, worüber er zu belehren ist, als Zeuge auch die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung dem Verband die Gefahr zuziehen würde, für eine Verbandstat verantwortlich gemacht zu werden (Abs. 2). Die Verwendung von